Fabrikerweiterung in Crevillent
Alberto Burgos hat in Crevillent bei Alicante eine Fabrik entwickelt, in der Kartons für die lokale Schuhproduktion entstehen – Falzen und Knicken im Akkord und mit Präzision.
Text: Golda-Pongratz, Kathrin, Barcelona
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Abendlicher Blick auf den Eingangsbereich mit überdachtem Portal und darüber liegendem Chefbüro.
Foto: Mariela Apollonio
Abendlicher Blick auf den Eingangsbereich mit überdachtem Portal und darüber liegendem Chefbüro.
Foto: Mariela Apollonio
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Innenraum der durchgetakteten Produktionswelt, im Hintergrund Sortierroboter
Foto: Mariela Apollonio
Innenraum der durchgetakteten Produktionswelt, im Hintergrund Sortierroboter
Foto: Mariela Apollonio
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Eingangsbereich und Zugang zu den Lagerräumen im Untergeschoss.
Foto: Mariela Apollonio
Eingangsbereich und Zugang zu den Lagerräumen im Untergeschoss.
Foto: Mariela Apollonio
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Die Falttore öffnen die Fabrik im Nordwesten.
Foto: Mariela Apollonio
Die Falttore öffnen die Fabrik im Nordwesten.
Foto: Mariela Apollonio
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Recyclingpapierrollen vor der Verarbeitung zu Pappe
Foto: Mariela Apollonio
Recyclingpapierrollen vor der Verarbeitung zu Pappe
Foto: Mariela Apollonio
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Neben der Be- und Entladezone führen außenliegende Treppen zu den Büros.
Foto: Mariela Apollonio
Neben der Be- und Entladezone führen außenliegende Treppen zu den Büros.
Foto: Mariela Apollonio
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Blick in den Schulungsraum
Foto: Mariela Apollonio
Blick in den Schulungsraum
Foto: Mariela Apollonio
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Doppelgeschossiges Foyer vor den Büros und Besprechungsräumen
Foto: Mariela Apollonio
Doppelgeschossiges Foyer vor den Büros und Besprechungsräumen
Foto: Mariela Apollonio
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Im Südwesten ist den Personalräumen ein für die Region untypischer Grünstreifen vorgelagert.
Foto: Mariela Apollonio
Im Südwesten ist den Personalräumen ein für die Region untypischer Grünstreifen vorgelagert.
Foto: Mariela Apollonio
Die Anfahrt nach Crevillent südwestlich von Alicante ist eine Art Röntgenbild der radikalen Landschaftsveränderung durch die global orientierte Industrialisierung Spaniens seit dem spä-ten 20. Jahrhundert. Dem Prozess der Zersiedelung ist der eines Nutzungs- und Produktionswandels gefolgt, und so sind unter anderem die Namenszüge ehemaliger Teppichfabriken heute mit chinesischen Lettern überklebt und die tiefen Lagerhallen randvoll gefüllt mit asiatischen Billigprodukten, die im Großhandel vertrieben werden. „Cutre“ nennt der Architekt Alberto Burgos die suburbanen und scheinbar ohne Logik zwischen Verkehrsadern, trockenen Hügelketten und gestaltlosen Restlandschaften verteilten Industrie- und Lagerhallen. Ihrer einfallslosen Schäbigkeit hat er sich mit dem Umbau der Kartonfabrik im Industriepark an der Carretera de la Estación zweifellos gestellt.
In den siebziger und achtziger Jahren, so wird erzählt, war in den Dörfern um Elche und Alicante eigentlich jeder und jede irgendwie in den Prozess der Schuhfabrikation einbezogen – nähte, nietete oder klebte, in halboffenen Räumen oder vor den Häusern sitzend – und war so Teil einer lokalen und dezentralen Industrie, deren Produktion sich bis in die Familien fortsetzte. Die Schuhherstellung hat sich seither weitverbreitet, ist zur Fließbandproduktion übergegangen und in Teilbereichen an andere Standorte der Welt verlagert worden. Inzwischen gibt es in der Stadt Elche die Zentrale des weltweit operierenden Schuhherstellers Tem-pe, der jährlich um die fünfzig Millionen Paar Schuhe verkauft und weltweit vertreibt. So kommt es, dass ein Familienbetrieb im benachbarten Crevillent, der seit Anfang der siebziger Jahre Pappkartons für lokal angesiedelte Betriebe herstellt, seine Produktion nach dem Vertragsschluss mit dem Schuhhersteller einer spektakulären Multiplikation der Nachfrage anzupassen hatte.
Waren es ursprünglich 140 Meter Papier, die täglich verarbeitet wurden, sind es seit fünf Jahren 250.000 Meter pro Tag – Recyclingpapier, das in meterhohen Rollen aus ganz Europa angeliefert und bei Envabox zu Kartons verarbeitet wird. Der Architekt Alberto Burgos wurde mit der notwendigen Umorganisation und Erweiterung der bestehenden Fabrik beauftragt. Die Herausforderung bestand darin, bei laufendem Betrieb die Struktur des Gebäudes anzupassen und das Raumprogramm zu vergrößern – zum einen für die Kartonproduktion, also für Papierwalzen, Rotations- und Flachstanzen, Falzmaschinen, Offsetdrucker und Portionier- und Bündelungsanlagen; zum anderen für die Lagerung der Zwischen- und Endprodukte, für Flächen des Be- und Entladens. Zudem wurden mehr Räume für den Empfang von Kunden, für Büros und zur Warenannahme sowie Schulungs- und Aufenthaltsräume für die Belegschaft geschaffen.
Was der Architekt im Vorfeld schon mit der Zeichnung Saint-Exuperys vom Elefanten unter dem Hut paraphrasiert – das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar –, zeigt sich als zweifacher Kontrast: der des Gebäudes zu seinem Umfeld und der der Hülle zu ihrem Inhalt. Im unwirtlichen Kontext des Gewerbegebiets würde man ebenso wenig die äußere Eleganz der neuen Kartonfabrik erwarten, wie man sich beim Anblick des Gebäudes von außen die riesige, komplexe, geräuschvoll und bewegungsreich durchgetaktete Produktionswelt in seinem Inneren vorstellen kann. Hinter der gleißend weißen Aluminiumfassade hat das Architektenteam Alberto Burgos, Javier Cortina und Teresa Carrau eine riesige Arbeitsfläche geschaffen und neu organisiert, auf der sich pausenlos Maschinen bewegen und wo inzwischen auch ein Roboter arbeitet, der mit feinen Laserstrahlen die von ihm zu drehenden und zu sortierenden Pappstapel millimetergenau positioniert. Die Wichtigkeit der Präzision und der absoluten Ebenerdigkeit erklärt sich da von selbst, und so ist die Höhenquote von 77,6 Metern zu einer Art Leitmotiv für den Um- und Neubau geworden.
Das Zusammenspiel von Architektur und industriellen Abläufen in der Firma ist faszinierend: Ein Raster von 25 mal 10 Metern, das von den bestehenden Gebäuden übernommen und auf 4500 Quadratmeter erweitert wurde, lässt an ein Spielbrett denken, das Flexibilität zulässt und Materialien, Maschinen, Bewegungen und auch den Personen ihren Ort zuweist. Das von oben durch das filigrane Sheddach gleichmäßig einfallende Licht erzeugt eine angenehme Atmosphäre, die den Lärm der laufenden Maschinen und andauernden Transformation von Altpapier in Wellpappe und schließlich zum Abtransport gestapelten gestanzten und bedruckten Kartons abfedert. Der Übergang von Alt zu Neu ist an den unterschiedlichen Profilbreiten der Träger und Stützen abzulesen – aufgrund neuerer baulicher Bestimmungen haben sie sich fast verdreifacht.
Den Produktionskern, der von feingliedrigen vertikalen Aluminiumstreifen umhüllt ist, flankieren zwei schlanke Nebengebäude im Südosten und Südwesten, die aus vorgefertigten Sandwich-Elementen zusammengesetzt sind und ein stimmiges Gesamtbild erzeugen. Der langgestreckte, zweigeschossige Trakt im Südosten führt den Besucher in einer ebenso funktionalen wie logischen Weise vom Eingangsbereich, der von der einzigen Caprice des Auftraggebers, einem freistehend überdachten Portal, geprägt ist, entlang eines kleinen und edel eingerichteten Kundenempfangsraums in die offenen Büros und verbindet dort die Warenannah-me und die LKW-Abfertigung miteinander. Über dem Eingangsbereich liegt das Chefbüro, das Blickbezüge in die Umgebung, in die Büros, zur Anlieferung und in die gesamten Produktionsabläufe der Hallen hat.
Im Südwesten vor der Halle liegt, entlang eines für die Umgebung ungewöhnlichen vorgesetzten grünen Gartens mit Rasen, Büschen und Bäumen, der Trakt für das Personal. Vom Schulungs- und auch vom Speiseraum hat man den Blick in diese „Natur“. Zur Produktionshalle gedämmte Verbindungsfenster erzeugen eine hohe Aufenthaltsqualität durch Ruhe und Abgeschirmtheit und ermöglichen trotzdem direkten Blickkontakt. Erstaunlich und unklar ist, warum der Speiseraum und auch die großzügigen Bäder und Umkleideräume kaum genutzt werden. Direkt unter diesem Trakt liegt der vielleicht interessanteste Raumkomplex der Fabrik überhaupt: in einer langen Flucht lagern dort, fensterlos und entlang einer hellen und schlanken Leuchtlinie an der Decke, links und rechts in regalartigen Strukturen Formen für die Kartonstanzungenund -faltungen sowie säuberlich nummerierte Schablonen in allen Größen zum sofortigen erneuten Bedrucken neuer Exemplare aller jemals hergestellten Kartonagen.
Was also spektakulär unspektakulär ist, setzt den Beginn einer neuen Ästhetik in der Randstadt, die ein schräg gegenüberliegendes Unternehmen mit einer neuen und ebenfalls leicht gerippten weißen Fassade bereits imitiert zu haben scheint – Alberto Burgos sieht sich in seiner Mission gegen die gestaltlose Schäbigkeit und darin, dass Architektur denen, die sie nutzen, erziehen kann, bestätigt. Für eine nahe Zukunft steht bereits die nächste Erweiterungsphase an, sodass die Kartonfabrik bald bis zu 30.000 Tonnen Recyclingpapier jährlich verarbeiten kann. Eine weitere Öffnung des Geländes soll eine bessere Verbindung mit den Restnaturen und Infrastrukturen schaffen und so der Zersiedelung der Landschaft entgegenwirken.
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