Wir haben uns mit André Wogenscky intensiv befasst
HENN haben das Forschungs- und Lehrgebäude der medizinischen Fakultät Necker in Paris saniert und umgebaut. Das Haus plante ein langjähriger Mitarbeiter von Le Corbusier 1966. Ein Interview mit dem Projektleiter der Sanierung Thomas Polster
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Wir haben uns mit André Wogenscky intensiv befasst
HENN haben das Forschungs- und Lehrgebäude der medizinischen Fakultät Necker in Paris saniert und umgebaut. Das Haus plante ein langjähriger Mitarbeiter von Le Corbusier 1966. Ein Interview mit dem Projektleiter der Sanierung Thomas Polster
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Wie gelangte Ihr Büro zum Auftrag der Sanierung des Forschungs- und Lehrgebäudes der medizinischen Fakultät Necker in Paris?
HENN arbeitet bei Bewerbungen für öffentliche Bauvorhaben in Frankreich mit einer Agentur zusammen, die vorab auswählt, was uns interessieren könnte. Dieses Projekt fanden wir 2010 besonders spannend und stellten eine Mannschaft mit dortigen Fachplanern zusammen, kamen in die engere Wahl und erhielten schließlich den Auftrag.
Handelt es sich um eine Vermittlungsagentur?
Ja, genau an der Schnittstelle zwischen deutschen Planungsbüros und den Auslobern. Bei uns war sicher die Expertise im Bereich Laborplanung von Vorteil.
Was wird konkret geforscht?
Die Fakultät Necker der Universität Descartes arbeitet im Bereich Krebs- und Zellforschung. Necker ist eigentlich bekannt für sein Kinderkrankenhaus „Enfants malades“. Das Forschungsgebäude befindet sich im Häuserblock dieser Klinik an der Rue de Sèvres und Rue de Vaugirard. Einige Ärzte, die dort tätig sind, arbeiten in der Forschung.
Wie kam es zur Entscheidung, dieses Gebäude zu sanieren statt einen Neubau auf einem Campus außerhalb der Stadt zu bauen?
Ich kann Ihnen nicht sagen, wer diese Entscheidung getroffen hat. Aber natürlich stellt ein erhaltener Rohbau auch schon wirtschaftlich einen gewissen Wert dar. Die Auslobung beinhaltete eine technische Ausschreibung mit zwei Zielen: Asbestsanierung und die Anpassung an geltende Bauvorschriften. Unser Büro war im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern eines von zweien, die in der Antwort auf diese technische Ausschreibung auch eine architektonische Idee mitgeliefert hat als eine Art Fortschreibung dieses Gebäudes der sechziger Jahre. Auch dies führte dann zur Beauftragung.
Der Entwurf von 1966 stammt von André Wogenscky. Er war Mitarbeiter, später Büroleiter von Le Corbusier und hatte zu der Zeit bereits ein eigenes Büro. Gab es konkrete Vorgaben der Denkmalpflege?
Das Gebäude ist nicht denkmalgeschützt. Wir hatten aber den Bauhistoriker Gilles Ragot aus Bordeaux in unserem Planungsteam. Er ist unter anderem bekannt, da er die letztlich gescheiterte Bewerbung für die Aufnahme von Le Corbusiers Gesamtwerk ins Weltkulturerbe betreute. Da Wogensckys Bau nicht geschützt ist, konnten wir ihn weiterentwickeln. Wir haben aber aus Respekt vor dem Werk den Bauhistoriker mehrmals konsultiert und uns bei allen Interventionen nach Möglichkeit durch die Schriften von Wogenscky abgesichert. Er selber hatte die „Capacité d’évolution“, die Möglichkeit der späteren Weiterentwicklung seiner Bauten hervorgehoben. Unser Ziel war es, einen Ausgleich der beiden Pole zu finden. Auf der einen Seite die denkmalpflegerischen Ansprüche, die wir selber hatten, und auf der anderen Seite den Anforderungen an ein heutiges Laborgebäude.
Wie fanden Sie das Gebäude vor?
2009 waren die Sockelgeschosse leer. Es gab keinen Lehrbetrieb mehr. Die Forscher im Hochhaus sind trotz Asbest noch einige Jahre geblieben. Die Sockelgeschosse waren in einem sehr schlechten Zustand, teilweise fast schon ruinös, mit wilder Vegetation, die aus den Lichthöfen in die Räume gewandert ist. Im Hochhaus fand konstant eine Asbestüberwachung der Atemluft statt und es gab strenge Vorgaben für die Forscher. Man durfte nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen. Es hat dann lange gedauert, bis ein Provisorium an einem anderen Standort der Universität zur Verfügung stand und die Forscher auszogen. Erst dann konnte mit der Asbestsanierung begonnen werden.
Wo befand sich der Asbest?
Hauptsächlich in der nach Fertigstellung des Hauses Anfang der siebziger Jahre aufgebrachten Beflockung der kompletten Betonstruktur, was sehr schade war. Die Rippendecken hatten eine wunderbare Struktur. Asbest fand sich auch in den Trennwänden, die deswegen entfernt werden mussten, außerdem im Fensterkitt. So mussten auch die Fenster ersetzt werden.
Es handelte sich um Holzfenster.
Das ist richtig. Ursprünglich waren das Fenster mit massiven Profilen und Alupressleisten außen.
Gab es ein neues Raumkonzept?
In heutigen Laborbauten werden sehr viele Kernflächen benötigt. Ein Gebäude aus den sechziger Jahren hat wenige Kernflächen. Wir haben also für Nebenräume wie Dunkelkammern, Kühlräume, Lager usw. neue Orte innerhalb dieser Struktur schaffen müssen und uns dabei auf die Modularität der Grundrisse von Wogenscky bezogen. Als die Struktur bis auf das Betongerippe frei dastand und man diese plastische Qualität gesehen hat, hätte man natürlich gerne große Räume erhalten. Aber das stand komplett im Widerspruch zu dem, was die Nutzer brauchten. Wir haben jetzt auf jedem Geschoss auf beiden Seiten je zwei große Labore und die zugeordneten Auswerteplätze, also die Büro-Arbeitsplätze der Forscher, an denen sie die Ergebnisse ihrer Experimente ermitteln.
Hatten Sie bei der Ausstattung bestimmte Vorgaben oder konnten Sie eine eigene Handschrift umsetzen?
Uns war wichtig, auf abgehängte Decken in den Laboren zu verzichten. Das hat mehrere Vorteile. Zum einen sind Nachinstallationen und Wartung leichter zu bewältigen. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen bei unseren Laborgebäuden gemacht. Zum anderen hat uns das auch geholfen, die geringe Raumhöhe unter der später eingezogenen abgehängten Decke zu vergrößern. Die Rippendecken bleiben sichtbar.
Warum haben Sie einen neuen Eingangsbau neben das Gebäude gestellt?
Der Altbau besteht aus zwei Bauteilen: aus dem sehr großen, zweigeschossigen Sockelbereich und dem zehngeschossigen Hochhaus. Quasi wie eine Taille dazwischen liegt eine architektonische Fuge mit dem gläsernen Foyer, das sich nach unten ins erste Sockelgeschoss entwickelt. Unten findet die Lehre statt, im Hochhaus wird geforscht. Im Sockel gibt es zwei Neuerungen: eine medizinische Bibliothek, die wir zur Gartenseite im Norden orientiert haben, und das Restaurant, das durch die eingestanzten Lichthöfe von Wogenscky natürlich belichtet wird. Wir hatten in unserem Wettbewerbsbeitrag diese Höfe unterschiedlich interpretiert indem wir Glaskuben hinzugefügt haben. Der neue Eingangsbau greift ein in zwei der Höfe. Man blickt hinunter in die Sockelgeschosse. Diese Geste, um die neue Bedeutung der Lehreinrichtungen zu betonen, war gewünscht.
Wurden auch die Hörsäle neu gestaltet?
Ja. Die Säle waren in einem beklagenswerten Zustand. Und es gab im Gebäude das große Problem mangelnder Orientierung. Die Säle hatten kein Tageslicht und sahen alle gleich aus. Wir haben basierend auf den vorgefundenen Farben, mit denen die Projektionskabinen der Säle mit ihren U-Boot-artigen Türen lackiert waren, unser Farbkonzept entwickelt. Die neue Bestuhlung erhielt die gleiche Farbigkeit. Jetzt ist klar in welchem Saal man sich befindet.
An den beiden Längsfassaden des Turms sind Betonelemente zu sehen. Stellte es eine Schwierigkeit dar, dort die Sanierung vorzunehmen?
Bei den Betonelementen stellte sich die Frage, obman sie thermisch entkoppeln muss und ob nach einigen Abplatzungen die Überdeckung der Bewehrung nicht mehr ausreichend war. Letztlich hat man sich dafür entschieden, weil es auch konstruktiv kaum anders möglich war, die bestehenden Elemente zu belassen und die thermischen Brücken in Kauf zu nehmen.
Wie haben Sie das Dach verändert?
Das Dach war von der Haustechnik belegt und später unter anderem mit Mobilfunkmasten stark nachgerüstet worden. Wir haben eine neue TGA-Zentrale auf das Dach gesetzt mit einer geringeren Traufe als es dieser Wildwuchs der Aufbauten hatte. Außerdem planten wir eine umlaufende Terrasse für die neue Fassadenbefahranlage zur Wartung und Reinigung, die aus irgendwelchen Gründen ursprünglich nicht realisiert worden war, was zum schlechten Zustand der vorgefundenen Fassaden beigetragen hat.
Besondere Beachtung fanden die Stirnseiten des Gebäudes. Wurden alle Blechpaneele neu installiert?
Im Originalgrundriss verfügten die beiden Fluchttreppenhäuser des Gebäudes über nur 70 Zentimeter breite Stufen. Die Treppen lagen außerdem zu weit auseinander. Wir haben also einen Teil des tragendes Kerns des Hochhauses ausgetauscht, neue Treppenhäuser gebaut und diese in einen Abstand von 35 Metern gebracht, der den Regeln entspricht. Dadurch ergaben sich hinter den Stirnseiten nutzbare Flächen. Sie dienen den Forschern als Bereiche informeller Kommunikation mit Teeküchen, die es bisher nicht gab. So kam es dazu, dass wir eine neue Befensterung dieser Giebelflächen vorgenommen haben. Durch das natürliche Licht ist es zudem möglich, sich in den Fluren besser zu orientieren.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem französischen Partnerbüro?
Sie lief sehr harmonisch und im Großen und Ganzen reibungslos. Wenn man nicht vor Ort ist, muss man der Bauleitung vertrauen. Mit den Genehmigungen hatten wir aber viel mehr zu tun als ursprünglich gedacht. Auch die ABF, die Denkmalschutzbehörde Architectes des Bâtiments de France, wurde in diesen Genehmigungsprozess einbezogen. Sie hatte keine Einwände gegen unsere Interventionen, da es kein Denkmal ist und das nächste Denkmal mit dem Krankenhaustor aus dem 18. Jahrhundert mehr als 100 Meter entfernt liegt. Zu unserer Überraschung meldete sich aber auch die Altstadtkommission „Commission du Vieux Paris“ bei uns, die zwar keine offizielle Rolle im Genehmigungsprozess hatte, aber unsere Stirnfassaden in Frage stellte. Ihre Gestalt ist letztlich das Ergebnis einer Abstimmung mit dieser Kommission und der Fondation Marta Pan – André Wogenscky. Man hat nur Fenster zugelassen, wenn die Integrität der Giebelfläche nicht zerstört wird, also keine neue ablesbare Gliederung vorgenommen wird. Wir fügten uns entsprechend ein in das bestehende Fugenraster mit einer schönen Rhythmik. Immer drei Paneele der Deckenstirnseite ergaben ursprünglich vier Paneele eines Brüstungsfelds, die wieder so breit sind wie fünf Paneele der Befensterung. Wir haben uns in dieses festgelegte Fugenbild mit unseren in die Betonwände geschnittenen Fenstern integriert. Man hat nun den Eindruck, dass in dem Fugenbild jeweils scheinbar zufällig Fenster integriert wurden. Die Fassade wurde allerdings komplett abgenommen und erneuert, da die Wärmedämmung einfügt werden musste. Sie ist durch die Dämmung etwas breiter geworden und die Proportionen mussten angepasst werden.
Kommen wir kurz zu Marta Pan, zu ihrer Kunst im Gebäude. Hatten Sie Vorgaben, sie besonders zu schützen?
Nein, das hat die Universität separat vergeben. Die Skulpturen wurden aber so gut es ging bewahrt, besonders die markante Scheidewand der Haupttreppe, aus der sich die eiförmigen Betonelemente herauslösen. Uns ist es auch gelungen, die plastischen Handläufe aus Holz beizubehalten. Die genehmigende Behörde hatte durch den Dialog mit uns erkannt, dass die Ausgestaltung mit diesen überdimensionierten Handläufen ein wesentlicher Bestandteil der Architektur ist neben dem Sichtbeton und dem Wogenscky-Rot der Geländer. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk von Wogenscky ist uns gelungen durch den Kontakt zu seinem Neffen, den Fotografen Olivier Wogenscky. Das große Wandbild seines Vaters Robert, der im letzten Jahr hundertjährig verstorben ist, konnte allerdings nicht erhalten werden, da zwingend an dieser Stelle eines der neuen Fluchttreppenhäuser Platz finden musste. Robert hatte aber im Alter von 98 Jahren seinen Neffen beauftragt, einen zeitgenössischen Künstler vorzuschlagen, der dort statt seines Werks tätig werden sollte. Dies wurde dann auch so gemacht.
Eine großzügige Geste
Ja, es war für uns eine sehr positive Erfahrung, dass wir mit den Nachkommen, den Rechteinhabern und der Universität ein gemeinsames Verständnis herstellen konnten.
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