Haus für Künstler in London
Das Londoner Architekturbüro APPARATA hat im Auftrag der Künstlerstiftung Create London und der Bezirksverwaltung des Londoner Boroughs Barking and Dagenham ein Haus für Künstler gebaut, das als neues Modell für bezahlbares Wohnen und Arbeiten dienen soll.
Text: Kafka, George, Athen/London
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Im Dezember 2021 wurde das House for Artists mit zwölf Wohnungen für Künstler und ihre Familien fertiggestellt. Es fällt mit seiner Sichtbetonfassade und den spielerischen Ausschnitten auf.
Foto: Johan Dehlin
Im Dezember 2021 wurde das House for Artists mit zwölf Wohnungen für Künstler und ihre Familien fertiggestellt. Es fällt mit seiner Sichtbetonfassade und den spielerischen Ausschnitten auf.
Foto: Johan Dehlin
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A House for Artists soll mit dem öffentlich zugänglichen Innenhof ...
Foto: Johan Dehlin
A House for Artists soll mit dem öffentlich zugänglichen Innenhof ...
Foto: Johan Dehlin
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... und dem Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss auch den Anwohnern des Bezirks offen stehen.
Foto: Johan Dehlin
... und dem Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss auch den Anwohnern des Bezirks offen stehen.
Foto: Johan Dehlin
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Hinter der Dreiecksform an der Fassade befindet sich ein hohes Studioapartment, ...
Foto: Ståle Eriksen
Hinter der Dreiecksform an der Fassade befindet sich ein hohes Studioapartment, ...
Foto: Ståle Eriksen
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... das mit einer Zwischenebene nach Bedarf erweitert werden kann.
Foto: Johan Dehlin
... das mit einer Zwischenebene nach Bedarf erweitert werden kann.
Foto: Johan Dehlin
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Über großzügige Türelemente lassen sich die Wohnungen im zweiten Obergeschoss verbinden.
Foto: Johan Dehlin
Über großzügige Türelemente lassen sich die Wohnungen im zweiten Obergeschoss verbinden.
Foto: Johan Dehlin
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Den unterschiedlich ausformulierten Laubengänge an drei Seiten des Gebäudes als funktionales Gestaltungselement, ...
Foto: Johan Dehlin
Den unterschiedlich ausformulierten Laubengänge an drei Seiten des Gebäudes als funktionales Gestaltungselement, ...
Foto: Johan Dehlin
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... stehen die eingefügten geometrischen Formen in der Betonfassade entgegen und akzentuieren den Baukörper.
Foto: Johan Dehlin
... stehen die eingefügten geometrischen Formen in der Betonfassade entgegen und akzentuieren den Baukörper.
Foto: Johan Dehlin
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Durch neue Formen der flexiblen Raumaufteilung soll langfristig soziale Nachhaltigkeit demonstriert und verschiedene Nutzungsszenarien ermöglicht werden. Die Bewohner können auf Veränderungen im Familienleben z. B. durch Ein- und Rückbauten reagieren.
Foto: Ståle Eriksen
Durch neue Formen der flexiblen Raumaufteilung soll langfristig soziale Nachhaltigkeit demonstriert und verschiedene Nutzungsszenarien ermöglicht werden. Die Bewohner können auf Veränderungen im Familienleben z. B. durch Ein- und Rückbauten reagieren.
Foto: Ståle Eriksen
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Der Laubengang gewährleistet nicht nur die beidseitige Fluchtmöglichkeit aus den Wohnungen, ...
Foto: Johan Dehlin
Der Laubengang gewährleistet nicht nur die beidseitige Fluchtmöglichkeit aus den Wohnungen, ...
Foto: Johan Dehlin
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... sondern ermöglicht neue Freiräume in der Anpassung der Grundrisse.
Foto: David Grandorge
... sondern ermöglicht neue Freiräume in der Anpassung der Grundrisse.
Foto: David Grandorge
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Der Bezirk Barking and Dagenham liegt im östlichen Randbereich der Stadt London. Einstmals befand sich hier ein Zentrum der Autoindustrie des Vereinigten Königreichs, mit Fabrikbauten des Herstellers Ford, die sich entlang des Themseufers erstrecken. Als die Autoproduktion im Jahr 2002 beendet wurde, kam der wirtschaftliche Abstieg. Zurzeit ist die soziale Benachteiligung im Bezirk so hoch wie fast nirgends im Land. Trotz dieser Misere – oder vielleicht gerade deswegen – wurde das Gebiet in den letzten Jahren zum Schauplatz verschiedener architektonischer und städtebaulicher Experimente, zumeist von der Bezirksverwaltung unterstützt. Der Entwurf für die Stadtmitte von Barking von muf architecture/art gewann im Jahr 2008 den European Prize for Public Open Space, und die Participatory City Foundation betreibt im Bezirk seit 2017 Kreativwerkstätten und andere soziale In-frastrukturen. Eine weitere Organisation, die sich der Vergabe künstlerischer und architektonischer Projekte auf kommunaler Ebene verschrieben hat, ist Create London. Ihre Arbeit im Bezirk in den letzten Jahren umfasst eine Ausstellungsreihe, Installationen, neue Räume für die Kunst und, am wichtigsten, das zum Jahresende 2021 fertiggestellte House for Artists.
Der Name des Künstlerhauses ist Programm. Hinter dem Bahnhof von Barking gelegen ist es nur einen Steinwurf von einem belebten Straßenmarkt entfernt. Das fünfgeschossige, rechtwinklige Bauvolumen beherbergt 12 Wohnungen für Künstler und ihre Familien. Hinzu kommen gemeinschaftliche Räume im Erdgeschoss, die einen Bezug zur Öffentlichkeit herstellen sollen. Von Create und dem Bezirksrat von Barking and Dagenham in Auftrag gegeben, stellt das Projekt ein „kleines Monument für gemeinschaftliches Leben“ dar, so Nicholas Lobo Brennan von APPARATA. Das Londoner Architekturbüro ist gerade dabei, sich einen Namen zu machen, mit sozialem Engagement als Schwerpunkt ihrer Praxis.
Die Wohngeschosse des Künstlerhauses betritt man über eine außenliegende Treppe. Sie erinnert an die sozialen Wohnungsbauten Londons Mitte des 20. Jahrhunderts. Dieser Bezug ist durchaus gewollt. Die Bewohner des Künstlerhauses finden nach dem Einzug minimalistisch gestaltete, geradezu nackte Wohnräume vor. Die Entwerfer stellen so Möglichkeiten der Anpassung und der persönlichen Aneignung in den Mittelpunkt. Die Wohnungen sollen zu „bezahlbaren“ Mieten angeboten werden (in diesem Fall zu 65 Prozent der marktüblichen Miete, im Gegensatz zu „sozialen“ Mieten, die eher 50 Prozent ausmachen). Das spiegelt sich auch in den Größen der behaglichen und gemütlichen Schlafzimmer wider, die den nationalen Standards entsprechen, ohne diese jedoch zu überschreiten. Große, offen gestaltete Wohn- und Kochbereiche können ebenso als Künstlerwerkstatt genutzt werden. Oder man trennt Bereiche ab, wenn man ein Büro oder zusätzliche Räume braucht. Ähnlich ist es bei der Kücheneinrichtung, die eher einem beweglichen Möbel gleicht statt einem festen Einbau.
Diese Flexibilität ist in die Grundstruktur des Projekts eingebaut: Das Betonskelett (mit Recyclingstahl als Bewehrung) und doppelte, außenliegende Erschließungswege und Laubengänge (aus Gründen des Brandschutzes) machen es möglich, die Wohnungsgrundrisse an jeweilige Bedürfnisse anzupassen, ohne die Tragwerksstruktur des Gebäudes anzutasten. Das ist nicht nur aus Sicht der Nachhaltigkeit sinnvoll. Der Lebenszyklus des Künstlerhauses kann erweitert werden, wenn es vielfältige, zukünftige Funktionen beherbergen kann. Standardisierte Grundrisse leisten dies nicht, und viel mehr bietet ihnen ein Großteil der historischen und neuen Wohnbauten Londons auch nicht. So können Schlafzimmer geschossweise hinzugefügt oder wieder entfernt werden – je nachdem, ob eine Familie wächst oder wieder schrumpft. Die Absicht, ein diverses Angebot an Wohnformen zu schaffen, ist auch im zweiten Obergeschoss spürbar. Hier können drei Wohnungen mittels großer (und verschließbarer) Doppelflügeltüren miteinander verbunden werden. Damit sind auch große Wohngemeinschaften denkbar.
Der minimalistische und dabei pragmatische Entwurfsansatz trifft unvermittelt auf zeichenhafte architektonische Gesten. Einerseits macht die Fassade die stoische Funktionalität des Gebäudes lesbar. Andererseits beleben quadratische, dreieckige und kreisförmige Ausschnitte die Eckfassade und geben ihr einen Ausdruck schlanker Solidität. Noch eindrucksvoller ist die Hauptfassade: eine geschlossene Fläche aus Beton, aus der nur ein quadratisches Fenster hervorbricht. Es gleicht einer dezenten Version des Zyklopenauges der Breuer-Met, dem berühmten Museumsbau Marcel Breuers in Manhattan.
Im Gegensatz dazu öffnet sich der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss großflächig der Straße. Vollständig verglast und teilweise eingerückt, wirkt er wie eine Weiterführung des Straßenraums ins Gebäudeinnere. Die zukünftigen Funktionen dieses Bereichs sollen von den Bewohnern bestimmt werden. Als Beitrag zum Betrieb des Künstlerhauses begründet dies auch die bezahlbaren Mieten. „Im Mietvertrag ist festgehalten, dass die Bewohner die Verantwortung dafür tragen, den Raum zu betreiben. Darum soll er in Kooperation mit ihnen entwickelt werden“, erklärt Astrid Smitham von APPARATA. „Es geht nicht darum, dass die Künstler als Lehrer auftreten. Eher darum, dass sie irgendwann feststellen, dass ein Frühstücksclub gebraucht wird – und dass sie dann eben einen Frühstücksclub für Kinder gründen.“
Eigentlich ist das die wichtigste typologische Innovation, die das House for Artists ihren Bewohnern bietet. Sie wird in den kommenden Jahren aufmerksam und kritisch beäugt werden. Schon lange hat man Künstler mit Prozessen der Gentrifizierung in Verbindung gebracht, in London oder anderswo. Deshalb ist es wichtig, das Experiment des Künstlerhauses genau zu betrachten. Hier wird versucht, eine produktive Interaktion zwischen den neuen Mietern und den Bewohnern des Umfelds zu fördern. Dadurch stellt es eine Alternative dar, um die Ungleichheiten zu verhindern, die Gentrifizierung oft genug auslösen kann. „Das zeigt, dass die Künstler eine Art öffentlichen Dienst leisten“, so Smitham. Das ist gerade an einem Ort wichtig, der so ziemlich den niedrigsten Grad an kulturellem Leben in ganz Großbritannien zu verzeichnen hat.
Für APPARATAgeht das eigentliche Ziel des Projekts über die Künstler und den Stadtteil hinaus. Brennan beschreibt es als eine Art gebautes Forschungsprojekt, bei dem es darum geht, angesichts der Krise am Wohnungsmarkt für die Menschen im Land bessere Wohnungen zu bauen. Er stellt fest: „Im Vereinigten Königreich hat jeglicher Wohnraum irgendwelche Probleme. Hier bestand die Chance, ein anderes, besseres Modell vorzuschlagen.“ Der Experimentierwille zeigt sich in den unverblümt architektonischen Aspekten des Projekts, etwa in den Grundrissen, den Materialien der Fassade, sogar den Fluchtwegen. In gewisser Weise wird es so zum Ausnahmefall, denn neue Ansätze des Wohnungsbaus aus öffentlicher Hand haben es hier schwer, seit Jahrzehnten schon. Tatsächlich hat das Projekt mehr mit beispielhaften Wohnbauten in der Schweiz oder in Deutschland gemein, etwa den Berliner Baugruppen von Heide & von Beckerath, als mit den Architekturen Londons der vergangenen Jahre. Brennan teilt mit, dass die Fertigstellung dieses einen Projekts bereits die Chancen erhöht, andere Bezirksverwaltungen zu überzeugen, diesem Beispiel zu folgen. „Es ist viel einfacher, ein Modell zu wiederholen, wenn es bereits einmal umgesetzt worden ist“, sagt er. „Wir können zwar die Regeln des Spiels nicht komplett ändern, aber zumindest ein Beispiel setzen. Darum denke ich, dass das Spiel nun insgesamt ein wenig leichter geworden ist.“
Aus dem Englischen von Mark Kammerbauer
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