Bauwelt

Wohnanlage Thulestraße in Berlin-Pankow


Zehn Jahre für 396 Wohnungen – typisch Berlin, ließe sich höhnen, mit Blick auf die zähen Prozesse, die Bauprojekte in der Hauptstadt so oft begleiten: vom Großprojekt Flughafen BER bis hinab zu ein paar Kilometern Tramgeleise. Interessanter aber als das, was die neue Wohnanlage an der Thulestraße im Bezirk Pankow mit dem Berliner Durchschnitt verbindet, ist das, was sie davon trennt.


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Das ehemalige Brauereiareal liegt nördlich der Wisbyer Straße am Knick der Thulestraße.
    Foto: Simon Menges

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    Das ehemalige Brauereiareal liegt nördlich der Wisbyer Straße am Knick der Thulestraße.

    Foto: Simon Menges

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    Hier stoßen die dichte Stadt des 19. und der Siedlungsbau des 20. Jahrhunderts aneinander.
    Abb.: Architekten

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    Hier stoßen die dichte Stadt des 19. und der Siedlungsbau des 20. Jahrhunderts aneinander.

    Abb.: Architekten

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    Foto: Simon Menges

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    Foto: Simon Menges

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    Erdgeschoss
    Abb.: Architekten

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    Erdgeschoss

    Abb.: Architekten

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    Regelgeschoss
    Abb.: Architekten

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    Regelgeschoss

    Abb.: Architekten

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    Dachaufsicht
    Abb.: Architekten

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    Dachaufsicht

    Abb.: Architekten

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    Ungewöhnlich im Berliner Wohnungsbau ist die haushohe, hotelartige Halle.
    Foto: Simon Menges

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    Ungewöhnlich im Berliner Wohnungsbau ist die haushohe, hotelartige Halle.

    Foto: Simon Menges

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    Abb.: Architekten

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    Abb.: Architekten

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    Die Architektur ist schon da, das Grün muss noch wachsen: Das gerenderte Foto zeigt den geplanten Endzustand des Projekts
    Abbildung: zanderroth

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    Die Architektur ist schon da, das Grün muss noch wachsen: Das gerenderte Foto zeigt den geplanten Endzustand des Projekts

    Abbildung: zanderroth

Ungewöhnlich hier an der Grenze von Pankow und Prenzlauer Berg, von dichter Innenstadt des 19. und zunehmend aufgelockerter Siedlungslandschaft des 20. Jahrhunderts, ist das Volumen der sechs von außen identischen Gebäude, die das Berliner Büro zanderrotharchitekten auf dem ex-Brauereiareal angeordnet hat. Ihre Tiefe ist so groß, dass die Siebengeschosser im Lageplan eine ganz andere Nutzung zu enthalten scheinen als die Wohnbauten aus Gründerzeit, Zwischenkriegszeit, DDR und 1990er Jahren, welche die heterogene Nachbarschaft bilden (der fünfeckige Block von Erwin Gutkind aus dem Jahr 1926 im Knick der Thulestraße ist das prominenteste Gebäude darunter). Große Tiefe – und damit wenig Hüllfläche – allein ist allerdings unter den Bedingungen des heutigen Wohnungsmarktes kein Alleinstellungsmerkmal (s. den Beitrag zum Groth-Projekt in Schmargendorf, S. 30). Zanderroth erreichen bei den Häusern an der Thulestraße eine sagenhafte Effizienz von über 80 Prozent, will heißen: Von 10 Quadratmetern Geschossfläche lassen sich mehr als 8 Quadratmeter vermieten – es ist die Weiterentwicklung ihres Projekts in der Liebigstraße im Bezirk Friedrichshain (Bauwelt 18.2017), dass diesbezüglich noch optimiert werden konnte. Trotz oder vielleicht auch wegen dieser geradezu extrem anmutenden Wirtschaftlichkeit – und hier nun kommt die erste echte Besonderheit des Projekts –, konnten die Architekten ein haushohes Atrium anordnen, das eine Neuheit im Berliner Wohnungsbau darstellen dürfte, mir ist jedenfalls kein ähnlicher Raum bekannt. Diese, ein wenig an ein Hotel erinnernde Halle ermöglicht es, dass die innenliegenden Flure, welche bis zu zwölf Wohneinheiten pro Geschoss erschließen (noch so eine Kennzahl, die heutzutage auch andernorts in Berlin erreicht wird), Zenitlicht erhalten und sich Blickbeziehungen von einem Geschoss ins andere öffnen. Die in dieser Halle frei nach oben schwingende Treppe lädt ein zum Gebrauch: Wen mag man wohl erspähen, wenn man die nächste Ebene erreicht?

Die Treppe gilt übrigens als Fluchtweg, ein zweiter befindet sich mit einer weiteren, formal etwas weniger spektakulären Treppe in einem abgeschlossenen Treppenhaus – dadurch ist es nicht nötig, dass die Feuerwehr im Brandfall die Fassaden anleitern kann, und das wiederum bedeutet, dass die Außenanlagen frei sind von befahrbaren Wegen – Platz für einen echten Garten auf der großen, gemeinsamen Tiefgarage. Dieser Garten, der sich kurz vor Fertigstellung der Wohnanlage Mitte Juli noch in Arbeit befindet, umfasst immerhin 11.000 der insgesamt 17.000 Quadratmeter des Grundstücks, und er soll auch für die Nachbarschaft zu betreten sein, jedenfalls ist nicht vorgesehen, das Areal abzuriegeln wie bei einer gated community. Und da die großen Gebäude freistehen, ist dieser grüne Raum von der Umgebung einsehbar, bietet Blickbe­ziehungen über und durch das Areal. In einer zen­traleren Lage könnte diese offene Bauweise städtebaulich fragwürdig erscheinen, gilt die Rückkehr zur Stadt des 19. Jahrhunderts doch Manchen als Lösung aller städtebaulichen Probleme. In dieser urbanen Übergangssituation aber wirkt der Ansatz passend. Zumal der Freiraum großzügig bemessen scheint, nicht nur aus der Umgebung betrachtet, sondern auch von innen, aus den Wohnungen heraus oder von den Balkonen: Das jeweils gegenüberliegende Haus ist weit genug weg, um sich nicht beobachtet zu fühlen, und die zueinander versetzte Anordnung öffnet den Blick immer wieder in die Tiefe des Areals, macht Diagonalbezüge erlebbar.

Dieser umgebende Garten soll sich dereinst ab dem ersten Obergeschoss in die Höhe fortsetzen. Zanderroth haben dafür tiefe Pflanztröge auf den umlaufenden Balkonen angeordnet, nicht weniger als 2460 Stück. Diese „vertikalen Gärten“, die sich immer wieder zu Loggien erweitern, sind die zweite Besonderheit des Projekts. Die Architekten wünschen sich, dass die Bewohner die Einladung zur lebendigen Nachbarschaft annehmen, Trennungen zwischen einer Wohneinheit und der nächsten sind in ihrem Konzept jedenfalls nicht vorgesehen: Man kann das Geschoss zur Gänze umrunden – eine Idee, die dem Wunsch nach Privatheit der Bewohner allerdings zum Opfer fallen könnte. Für die Wirkung des Ensembles hat das wenig Bedeutung.

Die erhoffte Gemeinschaftlichkeit, die das üppige Grün anregen, wird vom Wohnungsschlüssel gestärkt. Entgegen dem Trend zu Kleinwohnungen, die bestenfalls als Zweitwohnsitz dienen, enthalten die Häuser auch familientaugliche Grundrisse: Der modulare Aufbau ermöglicht es, Einheiten zusammenzulegen. Insgesamt 66 Wohnungen sind es pro Haus, von der 1,5-Zimmer-Wohnung mit 43 Quadratmetern bis zur 209 Quadratmeter großen Fünf-Zimmer-Einheit mit Dachterrasse. Der größte Teil, 88 von 100, entfällt aber auf die mittleren Größen mit zwei und drei Zimmern. Immerhin, eine gewisse Bandbreite von Lebensstilen und Altersstufen dürfte sich hier verzeichnen lassen – dass zur sozialen Mischung auch unterschiedliche Einkommensklassen gehören, sei dabei nicht vergessen, ist von einem privat entwickelten Wohnungsbau heutzutage aber kaum zu erwarten. Dafür liegt der Ausführungsstandard höher als die beschämende Qualität, wie man sie von Neubauten der Berliner Wohnungsgesellschaften kennt.

Für Zanderroth ist es das größte Projekt bislang. Es reicht zurück in die Zeit, als sich das Büro noch vorwiegend mit Baugruppenprojekten beschäftige (Bauwelt 39–40.2008). Die Brache an der Thulestraße entwickelten sie ab 2011 bis zur Genehmigungsreife ebenfalls auf eigene Initiative, mit der von ihnen gegründeten Firma SmartHoming, 2017 kaufte die UBM Development das Vorhaben und realisierte es nach den Plänen der Architekten. Die ungewöhnliche Materialsierung – die Fassaden etwa sind aus Thermokiefer statt aus dem allgegenwärtigen WDVS-Sondermüll in spe – schreiben Zanderroth dem österreichischen Hintergrund des Bauherrn zu.



Fakten
Architekten zanderrotharchitekten
Adresse Thulestraße 54, 13189 Berlin


aus Bauwelt 17.2020
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