Sara-Kulturhus in Skellefteå
Mit dem Kulturhus im nordschwedischen Skellefteå geben White Arkitekter ein eindrucksvolles Statement für den aktuellen Holzbau und veranschaulichen dessen Potenziale. Bei dem integrierten Hotelhochhaus spielt die Modulbauweise eine entscheidende Rolle.
Text: Schittich, Christian, München
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Die kleine schwedische Stadt erlebt eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung. Voller Symbolik bildet seit kurzem das Kulturhaus mit Hotelturm ihre Mitte.
Foto: Åke Eson Lindman
Die kleine schwedische Stadt erlebt eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung. Voller Symbolik bildet seit kurzem das Kulturhaus mit Hotelturm ihre Mitte.
Foto: Åke Eson Lindman
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Der Turm wurde weitgehend in Holzmodulbauweise, das Kulturhaus weitgehend aus Holz errichtet.
Foto: Åke Eson Lindman
Der Turm wurde weitgehend in Holzmodulbauweise, das Kulturhaus weitgehend aus Holz errichtet.
Foto: Åke Eson Lindman
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Blick auf das weitgehend gläserne Foyer mit der darüber liegenden Bibliothek. Die Module des Hotelturms wurden zwischen den zwei äußeren aussteifenden Blocks aus Brettsperrholz eingefügt.
Foto: Christian Schittich
Blick auf das weitgehend gläserne Foyer mit der darüber liegenden Bibliothek. Die Module des Hotelturms wurden zwischen den zwei äußeren aussteifenden Blocks aus Brettsperrholz eingefügt.
Foto: Christian Schittich
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Montage eines Holzmoduls. Das Holz stammt aus dem näheren Umkreis der Stadt.
Foto: Jonas Westling
Montage eines Holzmoduls. Das Holz stammt aus dem näheren Umkreis der Stadt.
Foto: Jonas Westling
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Im obersten Geschoss sind die Fitnessräume mit Terrasse.
Foto: Åke Eson Lindman
Im obersten Geschoss sind die Fitnessräume mit Terrasse.
Foto: Åke Eson Lindman
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Der flexibel zu nutzende „Culture Staircase“ ...
Foto: Åke Eson Lindman
Der flexibel zu nutzende „Culture Staircase“ ...
Foto: Åke Eson Lindman
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... liegt an der Südseite zwischen Bibliothek sowie der Lobby und den Aufzügen des Hotels.
Foto: Åke Eson Lindman
... liegt an der Südseite zwischen Bibliothek sowie der Lobby und den Aufzügen des Hotels.
Foto: Åke Eson Lindman
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Das Foyer im viergeschossigen Sockelbau mit seiner markanten, sehr plastisch erscheinenden Deckenkonstrukion, die aus jeder Perspektive anders wirkt.
Foto: Åke Eson Lindman
Das Foyer im viergeschossigen Sockelbau mit seiner markanten, sehr plastisch erscheinenden Deckenkonstrukion, die aus jeder Perspektive anders wirkt.
Foto: Åke Eson Lindman
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Der große Konzertsaal mit 1200 Sitz- und 300 Stehplätzen. Zweischalige Brettschichtholzwände mit Kerndämmung trennen den Saal schalltechnisch vom Rest des Hauses.
Foto: Åke Eson Lindman
Der große Konzertsaal mit 1200 Sitz- und 300 Stehplätzen. Zweischalige Brettschichtholzwände mit Kerndämmung trennen den Saal schalltechnisch vom Rest des Hauses.
Foto: Åke Eson Lindman
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Die Bühne des „Culture Staircase“
Foto: Åke Eson Lindman
Die Bühne des „Culture Staircase“
Foto: Åke Eson Lindman
Die Verwendung von Holz für einen Prestigebau wie dem Sara-Kulturhus liegt in der waldreichen Region nur gut 200 Kilometer unterhalb des Polarkreises nahe, schließlich ist das Material so-wie das notwenige Knowhow zu dessen Verarbeitung hier reichlich vorhanden. Platz aber gibt es in dem dünn besiedelten Gebiet ebenso zur Genüge und so mag die Tatsache, ausgerechnet dort ein 20-geschossiges Hochhaus zu errichten, zunächst als Widersinn erscheinen.
Doch das Kulturhus, das seinen Namen der aus der Umgebung stammenden Schriftstellerin Sara Lidman (1923–2004) verdankt, war von Anfang an als Landmarke gedacht, als Symbol für den Aufbruch einer ganzen Region. Gleichzeitig definiert es in der arg zersiedelten, etwa 70.000 Einwohner zählenden Stadt (die bis 2030 die Marke von 90.000 erreichen will) das bislang fehlende Zentrum. Noch bis vor etwa zwei Jahrzehnten litt die Gegend um Skellefteå, die früher vom Holzhandel und Bergbau lebte, unter einer massiven Abwanderung, die Bevölkerung ging um beinahe die Hälfte zurück. Heute indes, nachdem der Sprung zum Hightech-Standort geschafft ist, zählt die Region, die ganz auf ihre reichlich vorhandene grüne Energie aus Wasser- und Windkraft setzt und sich selbst als Öko-Standort vermarktet, zu den wirtschaftlich am schnellsten wachsenden im Land. Neben einem der weltweit führenden Recycling-Betriebe für ausrangierte Mobiltelefone hat hier erst kürzlich das schwedische Unternehmen Northvolt, an dem auch Volkswagen beteiligt ist, Europas größtes Werk für E-Autobatterien eröffnet.
Um aber innovative Firmen und die dafür notwendigen Fachkräfte an die Gegend zu binden, braucht es auch ein überzeugendes kulturelles Angebot. Aus diesem Grund schrieb die Stadt 2015 einen Wettbewerb für ein Kulturhaus aus, das neben Konzert- und Theatersälen, ein Museum sowie eine Galerie, die Stadtbibliothek und ein Hotel an einem Ort bündelt.
Oscar Norelius und Robert Schmitz von White Arkitekter gewannen das Verfahren mit einem Entwurf, der effizient und auf spannungsvolle Weise die Funktionen zusammenbringt und gleichzeitig das gewünschte Zeichen setzt. Auf einem viergeschossigen Sockelbau aus verschiedenen, optisch differenzierten Volumina mit den kulturellen Nutzungen platzieren die Architekten einen Turm mit weiteren 16 Geschossen. Dieser beherbergt das Hotel mit 205 Zimmern, ein Restaurant und Café, ein Fitnessstudio mit Wellnessbereich sowie Tagungsräume.
Als mitarbeitergeführte und weitgehend dezentral organisierte Firma zählt White Arkitekter, mit seinen rund 700 Beschäftigten an 16 Standorten (darunter seit letztem Jahr auch Stuttgart) zu den führenden Architekturbüros Skandinaviens. Das Unternehmen habe sich schon früh dem nachhaltigen Bauen verschrieben und selbst das Ziel gesetzt, bis 2030 nur noch klimaneutrale Gebäude zu realisieren, erklären Norelius und Schmitz beim Rundgang durch das Haus. So sei es den Architekten auch in Skellefteå von vornherein darum gegangen, „das weltweit nachhaltigste Kulturzentrum zu realisieren, unter Verwendung von so viel Holz wie irgend möglich“. Dabei erschien vieles von dem, was später erreicht werden konnte, zur Zeit des Wettbewerbs tatsächlich weitgehend noch als Illusion. Doch die Architekten waren von ihrer Vision überzeugt und kämpften während des gesamten Prozesses darum, den nachwachsenden Rohstoff Holz an so vielen Stellen wie möglich zu verwenden.
Auch im Holzbauland Schweden war dessen Einsatzmöglichkeit bei größeren Gebäuden lange Zeit stark eingeschränkt. Noch bis in die Mitte der 1990er Jahre waren aufgrund der Brandgefahr maximal zwei Geschosse im Holzbau erlaubt. Mittlerweile hingegen schlägt das Land in dieser Hinsicht einen Sonderweg ein, denn jede Größe ist nun möglich – vorausgesetzt, das Brandschutzkonzept stimmt. Mit seinen 20 Geschossen und einer Höhe von gut 80 Metern ist das Kulturhus aktuell neben dem gemischt genutzten Mjøstårnet in Norwegen das höchste Gebäude weltweit, dessen Konstruktion fast vollständig aus Holz besteht. Denn während Holzhochhäuser anderswo in Hybridbauweise errichtet werden, verzichten die skandinavischen Beispiele auf Betonkerne zur Aussteifung. So gelang es den Planern in Skellefteå letztendlich, beina-he die gesamte Tragkonstruktion bis hin zu den Aufzugsschächten und den Wänden der Fluchttreppenräume aus dem CO2-neutralen Baustoff, der in diesem Fall aus einem Umkreis von maximal 60 Kilometern kommt, zu errichten. Gleichzeitig konnten sie hier – im Gegensatz zu dem Beispiel aus Norwegen – auf mächtige Diagonalaussteifungen aus Brettschichtholz an den Fassaden verzichten, die die Transparenz einschränken und einen deutlich erhöhten Materialaufwand erfordern.
An einigen Stellen indes mussten auch beim Kulturhus Kompromisse bei der Materialwahl eingegangen werden. Etwa bei den auf Zug beanspruchten Elementen im Fachwerk über dem Foyer, wo Stahl zum Einsatz kam, ebenso wie bei dem geschosshohen Fachwerkträger, der im fünften Obergeschoss die Lasten des Hotelturms umverteilt. Darüber hinaus sind neben denFundamenten und Untergeschossen auch die Decken des als Technikbereich dienenden fünften Obergeschoss in Stahlbeton ausgeführt, um Vibrationen durch die Lüftungsgeräte zu vermeiden. Das gleiche gilt für die Decken über dem 19. und 20. Obergeschoss, die mit ihrem größeren Gewicht die durch den Wind verursachten Schwingungen dämpfen sollen.
Das Kulturzentrum ist ein hybrid genutztes Gebäude und das zeigt sich auch in seiner Konstruktion. Zusammen mit dem Tragwerksingenieur Florian Kosche entwickelten die Architekten dafür zwei unterschiedliche Konstruktionssysteme für den Kulturteil und das Hochhaus. Dabei entschieden sie sich bei den einzelnen Volumina des Kulturteils für ein Skelett aus Stützen und Trägern aus Brettschichtholz sowie aussteifende Wände und Decken aus Brettsperrholz, für das Hochhaus mit dem Hotel dagegen weitgehend für präfabrizierte Raumzellen. Denn kaum eine andere Typologie ist für die Modulbauweise gleichermaßen prädestiniert wie die Bauaufgabe Hotel mit ihren seriell wiederkehrenden Raumeinheiten. Alle der rund 20 Quadratmeter großen Zimmer konnten bei einem nur 40 Kilometer entfernten Fertighaushersteller vorfabriziert werden, der für einige Monate seine gesamte Produktion darauf ausgerichtet hat. Das half nicht nur Montagekosten und etwa ein Jahr an Bauzeit zu sparen, sondern auch, die Lärm- und Staubbelastung sowie den anfallenden Abfall auf der Baustelle zu reduzieren, wovon Bauarbeiter und Anwohner profitierten. Darüber hinaus erleichtert die Modulbauweise die schalltechnische Trennung der einzelnen Zimmer.
Um die größtmögliche Effizienz bei der Serienfertigung zu erreichen, ließen die Beteiligten zu Beginn der Produktion einen Prototyp bauen, dessen einzelne Arbeitsschritte dokumentiert und analysiert wurden, um sie anschließend zu optimierten. Komplett mit Inneneinrichtung und Bädern sowie aller Haustechnikinstallation und der Verglasung wurden die einzelnen Module aus Brettsperrholz nach der stationsweisen Produktion zur Baustelle gebracht und zwischen den Aufzugsschächten an den Stirnseiten des Hochhauses lastabtragend übereinandergestapelt. Zusammen mit dem erwähnten Stahlträger im 5. Obergeschoss bilden die Schächte mit ihren 41 Zentimeter starken, ebenfalls aus Brettsperrholz errichteten Wänden die Aussteifung des Turms. Alle Raumzellen sind selbsttragend ausgebildet. Zur Ableitung der Lasten aus den darüber liegenden und über Elastomerlager verbundenen Einheiten, sind in ihre Ecken Stützen aus Brettschichtholz integriert. Aufgrund ihrer vielen Oberflächen aus Fichtenholz strahlen die fertigen Zimmer eine warme, behaglich anmutende Atmosphäre aus, wirken aber wegen der reduzierten Gestaltung gleichermaßen modern. Mit „skandinavischem Design“ bewirbt das Hotel selbst seine Ausstattung und wenn man auch den Werbebotschaften normalerweise nicht alles glauben darf, so trifft diese Beschreibung die Gegebenheiten ganz gut. Alle der hellen Zimmer sind nach Osten oder Westen ausgerichtet und bieten eine fantastische Aussicht über die Stadt und die riesigen Wälder der Umgebung. Vorgelagert ist ihnen eine zweite Glashaut, die von außen den nordischen Himmel reflektiert und beim Energiekonzept eine wesentliche Rolle spielt.
Auch für den Kulturteil waren einige besondere Lösungen gefragt, um die verschiedenen Funktionen des Gebäudes mit den erforderlichen Spannweiten, der gewünschten Flexibilität sowie den Anforderungen an Statik, Akustik oder Schallschutz in Übereinkunft zu bringen. So-gar der große Konzertsaal mit 1200 Sitz- und 300 Stehplätzen besteht beinahe komplett aus dem nachwachsenden Rohstoff. Riesige Fachwerkträger aus Brettschichtholz überspannen den Raum, während ihn mächtige, etwa einen Meter starke Wände aus demselben Material – zweischalig mit Kerndämmung ausgebildet – schalltechnisch vom Rest des Hauses trennen. Ein Novum für einen Saal dieser Größe sind gleichermaßen die vollständig aus Holz ausgebildeten Akustikelemente sowie die dunkel gestrichen Beleuchtungsbrücken aus dem gleichen Material. Im Foyer dagegen stechen die kräftigen hölzernen Druckstäbe im weit gespannten Fachwerk über den Räumen ins Auge. Bei den Zugelementen aber entschieden sich die Architekten dann doch lieber für Stahl, um die Konstruktion nicht zu massiv erscheinen zu lassen. Das Ergebnis ist eine gut strukturierte und sehr plastisch erscheinende Deckengestaltung, die aus jeder Perspektive anders wirkt. Insgesamt zeichnet sich der Kulturbereich durch schöne, bei Sonnenschein helle Raumfolgen aus, die trotz der immer wiederkehrenden Holzoberflächen abwechslungsreich gestaltet sind. Die meisten Details sind elegant gelöst, nur an manchen Stellen, etwa in den Büros des Verwaltungstrakts erscheinen sie tatsächlich etwas „hölzern“.
Ebenso wie das Baumaterial ist auch das Energiekonzept auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Betrieben wird das Gebäude zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien, unterstützt durch ein innovatives, auf künstlicher Intelligenz basierendem Steuersystem, das selbstlernend, den jeweiligen Wärme- oder Lüftungsbedarf aufgrund wiederkehrender Bedarfsmuster ermittelt und entsprechend regelt. Überschüssige Ener-gie wird in Batterien gespeichert oder in den angekoppelten Netzverbund gespeist.
Rechnerisch betrachtet ist in der Holzkonstruktion des Sara-Kulturhus mehr als die doppelte Menge der CO2-Emissionen gebunden, die durch den Bauprozess inklusive Materialherstellung und Transport sowie den laufenden Betrieb verursacht werden. Damit sollte das Gebäude, dessen Lebensdauer mit 100 Jahren angesetzt ist, nach der Hälfte dieses Zeitraums tatsächlich klimaneutral sein. Um das zu erreichen, wurden auch alle für den Bau gefällten Bäume nachgepflanzt. So setzt das prestigeträchtige neue Kulturzentrum in Skellefteå ein deutliches Zeichen für den innovativen Wan-del in seiner Region, allen voran aber auch für den aktuellen Holzbau und für klimagerechte Architektur.
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