Teatro Renato Borsoni in Brescia
Der Westen von Brescia war einst von Industriebetrieben und Arbeiterwohnungen geprägt. Der Strukturwandel verlangte nach einer Perspektive. Botticini + Facchinelli ARW liefern mit dem Teatro Renato Borsoni nun einen hell leuchtenden Bezugspunkt für das kulturaffine Publikum, um den alten Ort mit neuem Leben zu füllen.
Text: Caja, Michele, Mailand
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Die industrielle Vergangenheit von Brescia ist hinter dem Teatro Borsoni mit ruinösen Produktionshallen präsent.
Foto: Federico Covre
Die industrielle Vergangenheit von Brescia ist hinter dem Teatro Borsoni mit ruinösen Produktionshallen präsent.
Foto: Federico Covre
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Vor dem Theater liegt der Granit-gepflasterte Vorplatz.
Foto: Federico Covre
Vor dem Theater liegt der Granit-gepflasterte Vorplatz.
Foto: Federico Covre
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Die Aluminiumverkleidung der Eingangsfassade ...
Foto: Federico Covre
Die Aluminiumverkleidung der Eingangsfassade ...
Foto: Federico Covre
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... ist auch im Foyer präsent.
Foto: Federico Covre
... ist auch im Foyer präsent.
Foto: Federico Covre
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Präzise ausgeführt, kann selbst eine dem technischen Funktionieren des Theaters dienende Rückseite elegant wirken.
Foto: Federico Covre
Präzise ausgeführt, kann selbst eine dem technischen Funktionieren des Theaters dienende Rückseite elegant wirken.
Foto: Federico Covre
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Großer Saal ...
Foto: Federico Covre
Großer Saal ...
Foto: Federico Covre
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... und Kindertheater – ...
Foto: Federico Covre
... und Kindertheater – ...
Foto: Federico Covre
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... das Teatro Borsoni bietet mit seinen zwei Sälen mit 312 bzw. 169 Plätzen Angebote für jedes Alter.
Foto: Federico Covre
... das Teatro Borsoni bietet mit seinen zwei Sälen mit 312 bzw. 169 Plätzen Angebote für jedes Alter.
Foto: Federico Covre
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Die aufgeständerte Bühne ist aus Holz konstruiert, der Hohlraum darun-ter dient als Resonanzraum.
Foto: Federico Covre
Die aufgeständerte Bühne ist aus Holz konstruiert, der Hohlraum darun-ter dient als Resonanzraum.
Foto: Federico Covre
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„Oltre la strada“, jenseits der Straße, ist der Name des Stadtentwicklungsprogramms für die raue Nachbarschaft, mit dem Theater als zentralem Projekt.
Foto: Federico Covre
„Oltre la strada“, jenseits der Straße, ist der Name des Stadtentwicklungsprogramms für die raue Nachbarschaft, mit dem Theater als zentralem Projekt.
Foto: Federico Covre
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Ein Abend im Konversionsgebiet: Das Teatro Borsoni dient auch der Stadtentwicklung
Foto: Federico Covre
Ein Abend im Konversionsgebiet: Das Teatro Borsoni dient auch der Stadtentwicklung
Foto: Federico Covre
Das neue Theater von Camillo Botticini aus dem in Brescia und Mailand ansässigen Architekturbüro ARW und Brescia Infrastrutture steht am westlichen Eingang von Brescia an der historischen Via Milano, dem historischen Decumanus Maximus der lombardischen Stadt. Diese Straße führte vom Capitolium und dem antiken Theater nach Westen in Richtung Mailand, nach Osten in Richtung Verona und versinnbildlicht den Charakter der Stadt, der von langobardischen und venezianischen Einflüssen geprägt ist.
Das Theater wurde dem einflussreichen Theaterdirektor Renato Borsoni gewidmet und ist das erste Projekt eines umfassenden Stadterneuerungsplans mit dem symbolischen Namen „Oltre la strada“ („Jenseits der Straße“). Dabei handelt es sich um einen Plan, der in einem ehemaligen Industriegebiet, das im Laufe der Zeit zu einer Randzone mit sozialen Problemen verkommen ist, mit einem System kleiner Projekte eine Revitalisierung einleitet. Beim Verlassen des Zentrums, vorbei am Piazzale Garibaldi, der am sogenannten Ring von Brescia liegt – einem grünen Gürtel, der den einstigen Stadtbefestigungen und deren halb-achteckigen Form der mittelalterlichen Bastion folgt –, und dem monumentalen Friedhof Vantiniano, einem neoklassizistischen Meisterwerk von Rodolfo Vantini (1792–1856), der auch die Zollhäuser an der Porta Venezia von Mailand entworfen hat, sieht man eine Reihe der Stadterneuerungsmaßnahmen, die Camillo Botticini als Berater der Stadtverwaltung initiiert hat.
Auch wenn der Vorschlag, das Gebäude der ehemaligen Caffaro-Fabrik in ein öffentliches Gebäude umzuwandeln, bisher auf dem Papier geblieben ist, gibt es doch etwas weiter einen anderen Industriekomplex, in dem heute ein gehobenes Bistro-Restaurant sowie verschiedene kulturelle Institutionen, darunter eine Kunstakademie, existieren. Auch das Grundstück, auf dem das Theater Borsoni gebaut wurde, gehört zu einem großen, heute verlassenen Industrieareal, und zwar dem der Firma Ideal Clima, die hier Gebäudeheizsysteme produzierte. Das Gelände, auf dem sich die Kantine für die Arbeiter befand, ist heute öffentlicher Raum. Ein Stück weiter befinden sich ein Lesesaal, eine ärztliche Beratungsstelle (im Bau) und ein Gebäude im Umbau zu einer Bibliothek neben einem neuen Park mit einer Skateboard-Piste, über dem die Silhouette eines Sozialwohnungsturms hervorsticht, Anfang der 2000er geplant und realisiert von Mauro Galantino.
In diesem relativ fragmentarischen Kontext tritt das neue Theater kraftvoll hervor und wird dank der gewählten kompositorischen Entscheidungen zum Fanal der Wiederbelebung dieses mar-ginalisierten Randbereichs der Stadt. Solch städtebauliche Wirkung wird einerseits erreicht durch die stereometrische Schlichtheit – einem horizontalen rechteckigen Baukörper, an dessen hinterem Teil der Bühnenturm senkrecht emporragt, und einem zweiten getrennten Gebäudeteil an der Rückseite mit den technischen Einrichtungen –, andererseits durch die Klarheit der architektonischen Lösungen bei den Hauptfassaden. Während der Haupteingang durch ein großes gefaltetes, zur Straße hin offenes Atrium hervorsticht, dominiert die symmetrischen Seitenfassaden ein gigantisches Bossenwerk aus vorgefertigten, geschliffenen Betonblöcken. Eine Gestaltung, die sofort auf berühmte historische Vorbilder verweist, wie den Palazzo dei Diamanti von Biagio Rossetti in Ferrara (kürzlich vom Büro Labics aus Rom restauriert, s.
Bauwelt 11.2023) oder auch – wie von den Architekten beabsichtigt – die lange Mauer mit den unregelmäßigen Quadern des Palazzo Pitti in Florenz.
Auch wenn diese Rückgriffe auf die Geschichte an jüngere Beispiele erinnern können, wie die Bossenfassade des ikonischen Mövenpick-Motels von Fabio Reinhardt und Bruno Reichlin an der Autobahn bei Bellinzona (1991), wird hier jedoch jede theatralische Geste vermieden, sie ist vielmehr Teil der strukturellen Gestaltung des Theatergebäudes. Anders als bei den vorherigen historischen Beispielen wird das Bossenwerkhier um neunzig Grad zur Straße gedreht und verdoppelt, wodurch eine zweifache harte Hülle entsteht, die die ansonsten leichte Aluminiumstruktur des Theatervolumens umschließt. Die Längsseiten des Bühnenturms sind mit Polycarbonatplatten verkleidet, die, hinterleuchtet, abends mit dem erleuchteten Foyer korrespondierende Flächen schaffen. Die schon erwähnte gefaltete Eingangsüberdachung zieht die Besucher magisch in das Haus hinein.
Die Abstraktion der Fassadengestaltung findet sich im Inneren wieder, das durch Einfachheit und Harmonie in der Materialverwendung geprägt ist: Im Wesentlichen sind das geschlif-fener Beton und große vertikale Lamellenverkleidungen aus Tropenholz an der zweigeschos-sigen Rückwand des Eingangsfoyers und den Wänden der zwei Theatersäle. Die trichterförmige Gestaltung des Eingangs akzentuiert als Negativ den diamantartigen Charakter der Gebäudehülle und schafft gleichzeitig einen perspektivischen Raum, der sich zum Inneren wendet. Von der Eingangsebene mit Abendkasse, Garderobe und kleiner Bar erreicht man über einen seitlichen Flur die mittlere Ebene des großen Saals, der 312 Personen fasst.
Von der stählernen Treppe im Foyer führt ein Weg zu einem erhöhten Raum, in dem verschiedene Nutzungen für Kinder vorgesehen sind und von dem aus man durch einen langen, orange verputzten Gang einen zweiten Saal mit 169 Plätzen für das Kindertheater erreicht, der hinter dem Bühnenturm liegt. Von hier aus gelangt man zum Hinterausgang, der technisch durch eine breite, feuerfeste Stahltreppe erschlossen ist, an deren Ende im Erdgeschoss der zweite Eingang des Gebäudes liegt. Dieser Serviceeingang führt zu den Besprechungsräumen und den Büros der Theatermitarbeiter sowie zu den Bereichen für die Schauspieler, den Umkleideräumen und sanitären Einrichtungen sowie dem Backstagebereich der Bühne.
Auch wenn die architektonischen Entscheidungen einfach erscheinen, gleiten sie doch nicht in einen oberflächlichen, heute in seinen verschiedenen Formen überstrapazierten Minimalismus ab, sondern bestätigen die Möglichkeit, zeitgenössische städtische Gebäude mit wenigen Mitteln zu realisieren, ohne dabei die Geschichte aus den Augen zu verlieren. Dies lehrte uns der große Mies van der Rohe, der nicht zufällig eine Leidenschaft für die lange Mauer des Palazzo Pitti hatte, die er auf seiner Italien-reise 1908 so beschrieb: „A huge stone-wall, with windows cut out of it. And that is that. You see with how few means you can make architecture – and what an architecture!“1 (Eine gewaltige Steinmauer, aus der Fenster herausgeschnitten sind. Und das war’s. Man sieht, mit welch we-nigen Mitteln man Architektur schaffen kann – und was für eine Architektur!)
Übersetzung aus dem Italienischen von Iris Lüttgert
1 Mies in Peter Carter, Mies van der Rohe at Work (New York: Praeger, 1974), p. 174 zitiert in: Franz Schulze & Edward Windhorst, Mies van der Rohe. A critical biography, New and revised Edition (Chicago & London, The University of Chicago Press 2012), p. 21
Fakten
Architekten
Botticini+Facchinelli ARW, Brescia/Mailand; Brescia Infrastrutture, Brescia
Adresse
Via Milano, 83, 25126 Brescia BS, Italien
aus
Bauwelt 4.2025
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