Bauwelt

Arno Lederer

1947–2023

Text: Jaeger, Falk, Berlin

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Arno Lederer (1947–2023)
Foto: Stefan Hohloch, Stuttgart

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Arno Lederer (1947–2023)

Foto: Stefan Hohloch, Stuttgart


Arno Lederer

1947–2023

Text: Jaeger, Falk, Berlin

Die Nachricht von Arno Lederers Tod, die durch die Medien ging – auch durch die Tageszeitungen, was bei Architekten selten vorkommt – kam überraschend und schockierte die Szene. Hatte man ihn umtriebig, allzeit für die Belange der Baukultur kämpfend, doch noch vor kurzem agil und engagiert erlebt, bei Interviews, als glänzenden Festredner, bei Jurys, als belesenen Essayisten, jedenfalls mehr in der Öffentlichkeit präsent als die meisten Kollegen. Im Herbst kam die fatale Diagnose, Hoffnung gab es nicht. Am 21. Januar verstarb Arno Lederer in Stuttgart im Alter von 75 Jahren. Er wird uns fehlen, dieser in Nekrologen gern geäußerte Satz trifft auf ihn als humorvollen, empathischen Menschen und als Leitfigur der deutschen Architektenszene besonders zu.
1982 hatte er mit Burkhard Sambeth, ab 1979 sein erster Büropartner, im DAI-Nachwuchswettbewerb den 2. Preis gewonnen. Es war der einzige gebaute Entwurf im Verfahren, ein Wohnhaus in Aichschieß. Das Erstaunliche: Niemand würde sich wundern, wäre das Holzhaus 2022 gebaut worden, wäre es ein heutiger Entwurf. Vielleicht steckt darin schon der Schlüssel zu Arno Lederers Architekturverständnis. Das Gespür für die allgemeingültigen, dauerhaften Werte und Formen. In dieser Überzeugung war er unerschütterlich.
1947 in Stuttgart geboren, studierte und (nach einem kurzen Abstecher nach Wien) diplomierte er 1976 auch dort an der Universität. Anschließend arbeitete er ein Jahr in Zürich bei Ernst Gisel, dessen Architektursprache immer wieder in seinem späteren Werk aufschien – und bei dem er mehr gelernt habe als im Studium, wie er betonte. Denn an der Uni Stuttgart war man damals hypnotisiert von den Vorlesungen des charismatischen Semiotikers Max Bense über „numerische Ästhetik“ und entwickelte Planungstheorien bei Horst Rittel. Statt Diplomentwürfe gab man mehrhundertseitige Skripte ab. Lederer aber wollte entwerfen, gestalten, Häuser bauen.Und er wollte sein Wissen immer auch austauschen, diskutieren, lehren, zunächst als Professor an der HfT Stuttgart, dann an den Universitäten Karlsruhe und Stuttgart.
Er stand im Rampenlicht, und Kollegen wie Journalisten sprachen von „dem Lederer“, der dies oder jenes gebaut oder so und so gemacht hatte. Doch Arno und seine Lebens- und seit 1985 Büropartnerin, die in Island geborene Jórunn Ragnarsdóttir, haben immer gemeinsam entworfen und entschieden. Marc Oei, seit 1992 der dritte im Bunde, brachte neben dem Entwurf vor allem technische und administrative Kompetenzen ein. Seitdem firmiert das Büro mit den drei Nachnamen und dem Kürzel LRO und kommuniziert die Urheberschaften unter diesem Kürzel.
Da es Lederer nicht wie viele erfolgreiche Kollegen in die weite Welt zog, blieb Stuttgart der einzige Standort und der südwestdeutsche Raum der Wirkungskreis des Büros. Nur langsam streckten LRO die Fühler aus, bauten in Frankfurt am Main, in Köln, in Aschersleben, zuletzt das großartige Volkstheater in München. Der schwäbische Zungenschlag, er hat ihn nie abgelegt oder gar verleugnet, war so etwas wie Arno Lederers Markenzeichen und färbte selbst ein wenig bei seiner Frau, der Isländerin, ab. Das Idiom passte zu Lederers offenen, allzeit den Mitmenschen zugewandten, oft unverblümten Art. „Dich mag ich. Du bisch nett“, konnte er einer verblüfften Gesprächspartnerin sagen, und es war genauso gemeint, offene Empathie.
Im Lauf der Jahre haben sich LRO von der Fixierung auf eine Vielfalt formal wirksamer Details mehr und mehr gelöst. Denn da gab es die „Scarpa-Zeit“, wie sie Arno Lederer nennt, in der die Bauten mit delikaten Details die Fans zu verzücken wussten. (Lederers Mentor und Freund Max Bächer war glühender Scarpa-Verehrer). Später haben sich LRO auf das Wesent­liche konzentriert. Das mit viel Erfahrung und großer Sorgfalt entwickelte konstruktive Detail, das die Arbeit und den Bau vereinfacht, hat an Bedeutung gewonnen. Es ist letztlich das Credo von Ludwig Mies van der Rohe, die Details formal und technisch bis zum Extrem zu vereinfachen, wenngleich LRO, anders als Mies, manche Details überraschend und durchaus auffallend gestalten, aber eben nur wenige an jedem Bau. Arno Lederer erkannte den Ursprung dieses Gedankens in Lessings Emilia Galotti: „Etwas weniger redlicher wäre redlich“ und hielt den inzwischen altertümlich klingenden Begriff „Redlichkeit“ in diesem Zusammenhang für angemessen, wohl weil er eine moralische Kategorie ins Spiel bringt. Über Winckelmann („weniger wäre mehr“) komme es zu Mies van der Rohe: „weniger ist mehr“. Man könne den Gedanken aber noch weiter zurückverfolgen, bis zu Shakespeares Hamlet, wo Königin Gertrude den Oberkämmerer Polonius zurechtweist: „Mehr Inhalt, wen’ger Kunst!“
Fühlten sich LRO anfangs eher der weißen Moderne verpflichtet, streiften sie später ein wenig die Postmoderne und Memphis – hier und da tauchte eine rote Säule, eine gelb-weiß gestreifte Wand auf – aber dann waren LRO bald auf soliderem Terrain unterwegs. Der Backstein wurde ihr Lieblingsfassadenmaterial, das sie einsetzten, wann immer es der Bauherr ermöglichte. Die Schule in Ostfildern, das Salem College mit Internat (2000), das wie eine Trutzburg über dem Bodensee thront, das Bischöf­liche Ordinariat in Rottenburg (2013) mit seinem schwungvollen Giebel als kongeniale Antwort auf einen benachbarten historischen Treppengiebel, die Sparkasse Ulm (2015) mit ihrem glitzernden Fenstererker-Stakkato eines der schönsten Bürogebäude dieser Jahre, die Schule in Köln-Lindenthal (2020) und das Volkstheater in München (2021) sind die wichtigsten dieser immer auch als LRO-Architektur erkennbaren Bauten. Manchmal sind es tiefschwarze Klinkerfassaden, glasgebändert, mit deutlichen Anklängen an die 1920er Jahre, an Erich Mendelsohn oder an die russischen Konstruktivisten. Das Finanzamt Reutlingen (1991) gehört in diese Reihe oder die EnBW Hauptverwaltung (1997) in Stuttgart, die nach Besitzerwechsel abgerissen werden sollte und nach heftigen öffentlichen Protesten saniert und einer neuen Bestimmung zugeführt wurde.
Fest gemauert auf der Erden stehen sie alle, und sie scheinen aus der Erde ihre Kraft zu ziehen. Eine Kraft, die der Moderne längst abhanden gekommen ist. Dabei könnten die Häuser von LRO, was die Grundrisse betrifft, moderner nicht sein, sie sind penibel ausgetüftelt, bestens aufgeräumt, sie funktionieren, oh ja!
Über das konzeptionelle Denken hinaus sind drei Essentials der Architektur von LRO festzuhalten. „Man kann einen Raum nur durch Licht erzeugen“, benennt Jórunn Ragnarsdóttir ein entscheidendes Element, das den atmosphärisch wunderbar gestimmten Räumen zu Grunde liegt. „Wir versuchen, immer mit den Materialien auszukommen, die am Ort vorhanden sind“, fügt sie das zweite hinzu, das nicht weniger Einfluss auf die Atmosphäre hat. Stofflichkeit wird zur Wirkung gebracht, Materialwirkung nicht verfremdet. Und schließlich ist es die Farbe, die aber nicht flächendeckend, sondern signalhaft, zur Hervorhebung einzelner Bauglieder eingesetzt wird, dann aber kraftvoll, ohne Scheu und im Bewusstsein, dass jede Farbentscheidung letztlich eine spontane, gefühlsmäßige ist, die aber vom Publikum dankbar angenommen wird und in Erinnerung bleibt. Drei Essentials, die viel Zuwendung verlangen, Zuwendung an den Bau, an die Aufgabe, aber auch an den Bauherrn und vor allem an den Nutzer. Am Ende ist es die Ästhetik, die ihren Bauten durchweg zu großer Akzeptanz verhelfen, die „Schönheit“ der Häuser von LRO – ein Begriff, den Architekten gerne meiden, der Arno Lederer umso leichter über die Lippen ging.
Lederers Gerechtigkeitsempfinden kannte kein Lagerdenken. So hat er die Berliner Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt bei ihrer Ernennung vor Vorverurteilungen in Schutz genommen, was ihm das Etikett „konserva­-tiv“ einbrachte. Kein Schimpfwort für ihn, der manch konservative Werte in der Architektur durchaus gelten ließ. Weshalb ihn Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne zur Konferenz „Schönheit der Stadt“ einluden, was ihn wiederum veranlasste, in seinem Vortrag die Erwartungen listig zu unterlaufen. Schon mit seinem Auftritt, denn Jórunn war gleichzeitig in einer Jurysitzung gebunden, wohin also mit dem kleinen, lebhaften Hund? Arno nahm es mit der ihm eigenen Gelassenheit und Souveränität und erwartetedie Gelassenheit auch von seinem Publikum. Wann hat man einmal einen Referenten am Rednerpult mit Hund an der Leine gesehen?
Lederers Festvorträge waren für viele überhaupt der Anlass, eine Veranstaltung zu besuchen. Man fühlte sich klug belehrt, mit überraschenden Erkenntnissen versorgt und durch so manche skurrile Anekdote gut unterhalten. Arno Lederer war das gute Gewissen der Architektenschaft. Sein Tod reißt eine schmerzliche Lücke, die schwer zu schließen sein wird.

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