Bauwelt

Baukultur in Zeiten von Corona

Die Pandemie wird unsere Städte verändern, doch weiß niemand, wie diese Veränderungen genau ausfallen werden. Um sich dem Wert öffentlicher Räume in unseren Städten bewusst zu werden, empfiehlt sich der Baukulturbericht 2020/21.

Text: Bartels, Olaf, Hamburg

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Der öffentliche Raum ist vielfältig und prägt das städtische Leben. Die Erdgeschosszone kann ihn
erweitern und aufwerten.
Grafik: © Bundesstiftung Baukultur; Design: Heimann + Schwantes

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Der öffentliche Raum ist vielfältig und prägt das städtische Leben. Die Erdgeschosszone kann ihn
erweitern und aufwerten.

Grafik: © Bundesstiftung Baukultur; Design: Heimann + Schwantes


Baukultur in Zeiten von Corona

Die Pandemie wird unsere Städte verändern, doch weiß niemand, wie diese Veränderungen genau ausfallen werden. Um sich dem Wert öffentlicher Räume in unseren Städten bewusst zu werden, empfiehlt sich der Baukulturbericht 2020/21.

Text: Bartels, Olaf, Hamburg

Den seit Juni ausgelieferten Exemplaren des Baukulturberichtes 2020/21 der Bundesstiftung Baukultur liegt eine Notiz bei. Es ist so etwas wie eine Entschuldigung dafür, dass das Thema Corona bei den darin veröffentlichen Untersuchungen und Betrachtungen keine Rolle gespielt hat. Aber wie sollte es auch? Alle zwei Jahre legt die Bundesstiftung einen solchen Bericht vor. Er ist das Ergebnis langer Vorbereitung, differenzierter Fragestellungen und genauer Analysen. Er enthält gut abgewogene Aussagen und Handlungsempfehlungen zu einem besonderen Thema. In diesem Jahr geht es um „Öffentliche Räume“. Dabei berührt der Bericht selbstverständlich genau die Umstände, die seit März 2020 unseren Alltag bestimmt: Die Coronapandemie und die behördlichen Verordnungen zur Eindämmung des Virus und ihrer Folgen.
Die dringenden Empfehlungen, möglichst zuhause zu bleiben, die Verlagerung vieler Arbeitsplätze in die „Homeoffices“, die Schließungen von Schulen, Kindergärten, der meisten Geschäfte und Kultureinrichtungen und vor allem das Gebot, körperlichen Abstand zu halten, hat das Leben in den Städten verändert. Schließlich sind bauliche Dichte und räumliche Nähe das Prinzip der Stadt und die Konzentration vieler Menschen auf engem Raum ist das Besondere des städtischen Lebens. Es schafft Vielfalt mit Diversität, fordert gleichzeitig Toleranz ein, und es findet zu einem nicht unerheblichen Teil in öffentlichen Räumen statt: auf Straßen und Plätzen, in Cafés, Restaurants und Parks, auf den Sportplätzen und nicht zuletzt in Museum, Theatern, Konzertsälen, Galerien und Diskotheken. Die Bilder von leeren Plätzen und Straßen wurden zu Ikonen der Coronapandemie. Auch wenn sich gleichzeitig Parks und Uferflächen füllten, schien das öffentliche Leben in der Stadt in seinen Grundfesten erschüttert worden zu sein. Mittlerweile wurden viele Einschränkungen wieder aufgehoben, aber der Zustand vor der Krise ist noch nicht wieder erreicht. Die Vorsorge gegen die Ausbreitung des Coronavirus ist ein Ausnahmezustand, kein Regelbetrieb, und es lässt sich noch nicht sagen, welchen Einfluss Corona langfristig auf die Stadt und den öffentlichen Raum haben wird.
Was wird aus der „Mediterranisierung“ unserer öffentlichen Räume, die der Baukulturbericht als eine noch junge Tendenz in unseren Städten festgestellt hat? Was wird aus den Straßencafés, die im Sommer noch gut besucht waren, aber um ihren Umsatz fürchten müssen, wenn es draußen zu kalt und innen zu eng wird? Wo wird zukünftig mit welchen Auswirkungen auf die öffentlichen Räume gefeiert? Welche Nachwirkungen hat Corona auf den Städtetourismus und die dafür notwendige Infrastruktur? Wiewirkt sich die durch Corona erkennbar verstärkte Digitalisierung auf die Bildung, Arbeit und die Wissenschaft aus, die unlängst als wichtige Faktoren der Stadtentwicklung entdeckt worden sind?
Für seriöse Antworten auf diese Fragen ist es noch zu früh. Aber die Zeit des Wartens sollte nicht ungenutzt verstreichen. Hier empfiehlt sich die Lektüre des Baukulturberichtes 2020/21. Denn zum Verständnis der schon bestehenden und den möglichen Auswirkungen der Coronakrise ist die darin aufgeführte grundlegende Bedeutung der öffentlichen Räume für die Städte elementar.
Besonders der Abschnitt Gesundheit lässt dabei aufmerken. Beispielsweise sind die Probleme mit geistiger Gesundheit, Hitze und Lichtüberfluss in der Stadt nicht weniger wichtig geworden und bedürfen, wie die vorübergehende oder dauerhafte Begegnung mit Corona – oder anderen –Viren, einer besonderen Aufmerksamkeit bei der Gestaltung der öffentlichen Räume.
Der Bericht zitiert aus Untersuchungen der Charité, der Humboldt-Universität und der Technischen Universität Berlin, die sich den Wechselwirkungen von Stadtplanung und geistiger Gesundheit widmen. Isolation trotz sozialer Dichte birgt ein hohes Risiko, an Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie zu erkranken, und chronischer Stress ist in Städten häufiger zu finden als auf dem Land. Auch die durch den Klimawandel verstärkten Hitzewellen treffen Städte besonders stark, referiert der Bericht. In Städten ist es im Sommer bis zu 10 Grad Celsius heißer als im Umland. Weniger Bodenversiegelung und eine verstärkte Begrünung öffentlicher Räume und mehr öffentliche Parks können in beiden Fällen helfen. Sie beruhigen die Seele und verbessern das Stadtklima.
Dass sich Licht auf unseren Hormonhaushalt auswirkt, dürfte allgemein bekannt sein – zu wenig Licht am Tage genauso wie zu viel in der Nacht. Für städtische Nachtschwärmer war es schon immer reizvoll, wenn die Nacht zum Tage wird. Nur gesund war es noch nie. Leider geschieht dieser Wandel nicht nur beim Feiern, sondern allein durch die hohe Zahl heller Leuchten im öffentlichen Raum. Ein bewusster Umgang mit der Lichtintensität und der Lichttemperatur könne hier Abhilfe schaffen.
Ähnliches gilt schon lange für den Umgang mit den Erdgeschosszonen, auf den die Bundesstiftung Baukultur noch einmal ausdrücklich hinweist. Sie zeigt auf, dass Erdgeschosszonen eine Erweiterung der öffentlichen Räume in die Gebäude sind. Sie sind Begegnungszonen, Orte für Ladengeschäfte, Cafés, Restaurants, aber auch gesellschaftliche Treffpunkte, Stützpunkte der Kinder- und Altenbetreuung und dergleichen mehr. Die durch Corona verstärkte Krise im Einzelhandel macht diesen Fokus noch dringlicher und zeigt, dass auch hier über die Qualität öffentlicher Räume entschieden wird. Es lohnt sich also, den Bericht sorgfältig zu lesen und sich mit den darin enthaltenen Handlungsempfehlungen zu beschäftigen, auch um der Corona-Krise im öffentlichen Raum zu begegnen.

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