Bauwelt

Baurecht verändern, aber wie?

Zur „Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht“, diesjähriges Leitthema der Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin

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    Die Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt fand im Mai in der Düsseldorfer Rheinterrasse statt.
    Foto: Detlef Podehl

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    Die Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt fand im Mai in der Düsseldorfer Rheinterrasse statt.

    Foto: Detlef Podehl

Baurecht verändern, aber wie?

Zur „Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht“, diesjähriges Leitthema der Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin

Manche Konferenztitel sind so offenherzig formuliert, dass sie wie eine magische Beschwörung auf die Zukunft der Stadt klingen. Die „Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ des „Deutschen Instituts für Stadtbaukunst“ ist so ein Fall, der Titel ist Programm. Die Konferenz fand in diesem Jahr bereits zum 10. Mal statt und widmete sich dem Städtebaurecht – wohl auch ein Grund, warum vor allem Baubürgermeisterinnnen, Stadtbaudirektoren und Vertreter der Wohnungswirtschaft und kaum Architekten auf der Rednerliste des anderthalbtägigen Symposiums zu finden waren.
Die beiden Veranstalter und Stichwortgeber der Konferenz, Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne, nutzten die Jubiläumskonferenz, um das Papier „Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht“ erstmals öffentlich vorzustellen. Sie haben diesen Vorschlag nicht alleine geschrieben, mit dabei waren die Initiatoren Barbara Ettinger-Brinckmann, Reiner Nagel, Jörn Walter und Peter Zlonicky.
Diese Erklärung wurde zu einer Art Tischvorlage für die Debatte auf der Konferenz in Düsseldorf. Die Veranstalter stellten die Frage, ob die Baunutzungsordnung nicht zugunsten von größerer städtischer Dichte überarbeitet oder möglicherweise ganz fallengelassen werden sollte. Auch der Nutzungsmischung der Stadt stünde sie im Weg.
Ob allerdings die gescholtene Baunutzungsverordnung nicht gerade jene Spielräume offenhält, die das Aushandeln der städtebaulichen Qualitäten bei größerer Dichte überhaupt erst ermöglichen, und ob es sinnvoll ist, dieses Faustpfand für eine bessere Stadt – zum Beispiel im Sinn einer sozialen Bodennutzung - aus der Hand zu geben, wurde in Düsseldorf engagiert aber wenig kon­trovers diskutiert. Die „Düsseldorfer Erklärung“ wurde dann zum wortgleichen „Abschlusscommuniqué der 10. Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“.
Was sich in Düsseldorf im Mai noch relativ harmonisch darstellte, veränderte sich in den folgenden Wochen. Die Erklärung wurde bei Architekten und Planern, vor allem aber auch bei Institu­tionen und Verbänden zum Diskussions- und Streitpunkt. Die einzelnen Vorschläge der Erklärung werden überinterpretiert, die Debatte wird teilweise zur pauschalen Abrechnung genutzt.
Wir veröffentlichen die Erklärung hier im Wortlaut. Weitere Angaben zu den Intentionen der Initiatoren Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne finden sich unter folgendem Link, dazu auch die Liste der Unterzeichner, die diese Erklärung unterschrieben haben. In den nächsten Heften, aber auch online, werden wir Stellungnahmen, die uns dazu erreichen, veröffentlichen. www.stadtbaukunst.de
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Die Düsseldorfer Erklärung im Wortlaut
Nichts ist erledigt!
Reform der städtebaulichen
Gesetzgebung
Abschlusscommuniqué der 10. Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt
In der „Leipzig-Charta zur nachhaltigen Europäischen Stadt“ haben sich die Bauminister Europas 2007 für eine Stärkung der Städte nach dem Leitbild der Europäischen Stadt ausgesprochen. Wie in den vielfäl­tigen Quartieren der Europäischen Stadt ablesbar, gibt es fünf Voraussetzungen für einen gelungenen Städtebau:
– klare Trennung öffentlicher und privater Räume
– gute und dauerhafte Gestaltung von Häusern, Straßen- und Platzräumen
– funktionale Vielfalt
– soziale Vielfalt
– urbane Dichte
In den Stadtquartiersentwürfen unserer Zeit fehlen häufig diese fünf Voraussetzungen, wie sie in den Stadtquartieren der Europäischen Stadt zu finden sind und durch die sich die schöne und lebensfä­hige Stadt entwickelt. Dafür gibt es viele Gründe. Ein entscheidender Grund liegt in den gesetzlichen Bestimmungen zum Städtebau wie der Baunutzungsverordnung (BauNVO) mit ihren Nutzungskatalogen und Dichteobergrenzen, sowie in den Bestimmungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm), die den Forderungen der Leipzig-Charta entgegenarbeiten, weil sie die funktionale Vielfalt behindern. Deshalb ist es an der Zeit, die Leipzig-Charta nun auch gesetzgeberisch zu unterstützen und umzusetzen. Nur so können diese fünf stadträumlichen und funktionalen Voraussetzungen für die Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt erfüllt werden, wie sie in der Leipzig-Charta gefordert und in den vergangenen zehn Jahren auf den Düsseldorfer Konferenzen des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst erarbeitet wurden.
Die klare Trennung öffentlicher und privater Räume
Der öffentliche Raum von Straße und Platz:
Der öffentliche Raum bildet das Rückgrat eines jeden Stadtquartiers der Europäischen Stadt. Platz- und Straßenräume repräsentieren nicht nur das Gemeinwesen der Städte in einer demokratischen
Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland, sondern sie sind auch die Räume, in denen sozia­-
ler Austausch, Handel, Verkehr und Kommunikation stattfinden. Der öffentliche Raum ist damit der So-zialraum der Europäischen Stadt.
Der öffentliche Grünraum der Stadt:
Der städtische Park, die Straßenallee oder der Boulevard der Stadt sind öffentliche Grünräume, die nicht nur der Schönheit und der Erholung dienen, sondern darüber hinaus auch einen hohen ökolo-gischen Wert für das Stadtklima haben.
Der private Blockinnenraum:
Im Unterschied zu den öffentlichen Räumen steht der private Garten- und Hofraum, der im direkten Anschluss zu den Häusern der Stadt liegt und den Hausbewohnern damit als erweiterter Lebensraum mit Gärten, Kinderspielplätzen etc. zur Verfügung steht. Nur durch die klare bauliche Trennung vom öffentlichen Raum erhält der Hofbereich als privater Raum seine eigene funktionale Qualität, die einen hohen Stellenwert im Städtebau der europäischen Stadt hat.
Die gute und dauerhafte Gestaltung von Häusern, Straßen- und Platzräumen
In der Europäischen Stadt sind Plätze und Straßen in der Regel von Häusern umgeben, die diese städtischen Erschließungsflächen zu städtebaulichen Räumen werden lassen. Die Schönheit dieser Stadträume wird dabei zunächst von der Proportion, also dem Verhältnis von Breite zu Höhe bestimmt. Darüber hinaus sind die Fassaden der Häuser, die sich den Straßen und Plätzen zuwenden, von prägender Bedeutung für den öffentlichen Raum, den sie mit ihrem Gegenüber bilden. Wie im Städtebau muss auch in der Architektur der Häuser zwischen „vorne“ und „hinten“, zwischen „öffentlich“ und „privat“ unterschieden werden. Der Entwurf der Stadt benötigt den bewussten Einsatz von Straßen- und Platzfassaden.
Die funktionale und soziale Vielfalt
Grundlegende Voraussetzung für einen gelungenen integrativen Städtebau ist die Ermöglichung funk­tionaler und sozialer Vielfalt. Diese sollte möglichst nicht nur quartiersweise, sondern auch auf der einzelnen Parzelle entwickelt werden. Hierfür bedarf es geeigneter städtischer Gebäudetypologien, wie sie im Städtebau der Europäischen Stadt mit ihren Wohn– und Gewerbehöfen zu finden ist.
Die urbane Dichte
Das Stadtquartier der europäischen Stadt verfügt über eine besondere bauliche Kompaktheit. Diese ist baulich energieeffizienter, verringert den Landflächenverbrauch, minimiert den Verkehr und ist damit durch geringeren CO2-Ausstoß klimafreundlich, erhöht die Effizienz des ÖPNV und befördert Fußläufigkeit und Fahrradmobilität (Stadt der kurzen Wege). Darüber hinaus ist eine hohe Bevölkerungsdichte die Voraussetzung für bestmögliche Versorgung. Eine erhöhte städtebauliche Dichte entspricht auch unserer Verantwortung, den besonderen Anforderungen in Bezug auf Klimawandel und ein gesundes Leben in unseren Städten mit sauberer Luft und Ruhe gerecht zu werden. Diese Zielsetzungen sind unumstößlicher Bestandteil eines guten Städtebaus.
Um sozial und funktional vielfältige Stadtquartiere mit angemessener urbaner Dichte und schönen Stadträumen entwickeln zu können, bedarf es der grundlegenden Änderung einiger Gesetze, wie beispielsweise der Baunutzungsverordnung BauNVO und der TA-Lärm.

1. Soziale und funktionale Vielfalt versus Baunutzungskataloge BauNVO
Das vielfältige Stadtquartier muss prinzipiell die soziale und funktionale Mischung gewährleisten.
Im Sinne dieser Vielfalt eines Quartiers sind die Nutzungskataloge der Baugebietstypen der BauNVO deshalb grundsätzlich zu überarbeiten:
– Das „Kleinsiedlungsgebiet“ und das „Reine Wohngebiet“ sind überholt und sollten gestrichen
werden.
– Im „Allgemeinen Wohngebiet“ bedarf es einer stärkeren Öffnung des Nutzungskataloges für Gebäude mit wohnverträglichem Gewerbe und moderner wohnverträglicher Produktion für freie Berufe sowie für Sportstätten.
– In der Zweckbestimmung von „Kerngebieten“ bedarf es einer generellen Aufnahme von Wohnnutzung.
– Im „Gewerbe- und Industriegebiet“ (§ 8, § 9 BauNVO) muss die dem primären Gebietscharakter widersprechende Ansiedlung von Nutzungen wie Handel, Beherbergungsbetriebe usw. effektiver verhindert werden. Gewerbe- und Industriegebiete sollten ausschließlich nur Nutzungen zugeordnet werden, die tatsächlich grundlegend stadtunverträglich sind.
Für die grundsätzlich notwendige funktionale Mischung im Stadtquartier muss es möglich werden, die gewerbliche Betätigung (z.B. moderne emis­sionsarme Produktionsweisen) zurück in die Stadt zu holen. Dies gilt neben Beherbergungsbetrieben gerade auch für Einzelhandelsbetriebe und solche Dienstleistungsbetriebe, die sinnvollerweise in der Nähe von Wohnnutzungen angesiedelt sein sollten. Die Nutzungs- wie auch die soziale Vielfalt sollte nicht nur auf das Quartier, sondern auch auf die einzelne Parzelle bezogen werden können. Geeignete städtische Haustypologien, die Wohnen in unterschiedlichen Preislagen und Kleingewerbe ermög­lichen, finden sich bereits heute im Städtebau der Europäischen Stadt mit ihren Wohn- und Gewerbehöfen.
2. Funktionale Vielfalt versus TA-Lärm
Der Schutz vor Lärm in der funktional gemischten Stadt ist ausdrücklich zu gewährleisten. Die tech­nischen Möglichkeiten des aktiven und passiven Lärmschutzes müssen durch geänderte immis-sionsschutzrechtliche Vorgaben auch für gewerb­liche Nutzungen und Freizeitlärm möglich gemacht werden. Grundsätzlich bedarf es der Zulässigkeit des passiven Lärmschutzes zum Schutz von Gewerbelärmemissionen, um die funktionale Mischung im Stadtquartier zu ermöglichen, denn die Lebens­fähigkeit der Europäischen Stadt wird erst durch die funktionale Mischung und Vielfalt ermöglicht. Deshalb ist die Überwindung des durch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BlmSchG) mit seinen Ver­ordnungen eines zweiteiligen Lärmrechts für Verkehr einerseits und Gewerbe andererseits unumgänglich, um die funktionale und auch die soziale Mischung im Stadtquartier wieder zu ermöglichen. Mit der heutigen Wirtschaftsstruktur, in der industrielle und gewerbliche Betriebe mit erheblichem Produktionslärm die Ausnahme darstellen, und durch den technischen Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte bei Schallschutzfenstern, ist das zweiteilige Lärmrecht überholt.
3. Urbane Dichte versus Dichte-Obergrenzen der BauNVO
Prinzipiell ist im vielfältigen Stadtquartier der Schutz vor zu engen Wohnhöfen, wie sie die Stadt der Industrialisierung hervorbrachte, zu gewährleisten. Die heutige Baunutzungsverordnung entspricht jedoch einem Städtebau, der auf überholten Planungsideen fußt und von einer grundsätzlichen Funktionstrennung der Stadt (hier Arbeiten/dort Wohnen) ausgeht. Im Sinne dieser Ideen war die Geschossflächenzahl (GFZ) mit ihren Obergrenzen wie auch die Grundflächenzahl (GRZ) in der in den sechziger Jahren entstandenen Baunutzungsverordnung nachvollziehbar, um eine mathematische Festlegung der zu planenden Baumassen regeln zu können. Dies ist aus damaliger Zeit verständlich; heute aber sind diese Obergrenzen (auch mit Ausnahme § 17.2 BauNVO) bei wachsenden Wohnflächenansprüchen für den Entwurf von Stadtquartieren absolut untauglich. Rein rechnerisch haben Anfang des 20. Jahrhunderts viermal mehr Menschen in den Gründerzeitquartieren gewohnt als heute, was die Unzeitgemäßheit dieser Regeln einmal mehr verdeutlicht. Obwohl stadträumlich ohne jede Aussagekraft, sind die mathematischen Verhältniszahlen der GFZ und ihre Obergrenzen in der BauNVO bis heute grundlegender Bestandteil eines jeden rechtskräftigen Bebauungsplans. Mit der Einführung des „urbanen Gebietes“ ist die Dichte-Obergrenze mit einer GRZ von 0,8 und einer GFZ von 3,0 für dieses Quartier zwar angehoben worden, für alle anderen derzeit in Planung befindlichen Baugebiete aber bestehen noch immer die Obergrenzen des § 17 BauNVO (Allgemeine Wohngebiete GFZ 1,2). Dies steht den Anforderungen des gemischten vielfältigen Stadtquartiers der Europäischen Stadt diametral entgegen. Die Dichteobergrenzen im § 17 BauNVO der Baunutzungsverordnung müssen daher prinzipiell entfallen.
4. Zusammenfassung
Es bedarf einer grundlegenden Novellierung der Baunutzungsverordnung BauNVO mit ihren Dichteobergrenzen und Nutzungskatalogen sowie des zweiteiligen Lärmrechtes der TA-Lärm, damit in Zukunft schöne und lebensfähige Stadtquartiere, wie sie die Leipzig-Charta fordert, planbar werden und nicht
an überholten planungsrechtlichen Restriktionen scheitern.
Prof. Christoph Mäckler, Deutsches Institut für Stadtbaukunst
Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur
Prof. Dr. Wolfgang Sonne, Deutsches Institut für Stadtbaukunst
Prof. Jörn Walter, Oberbaudirektor a.D. Freie und Hansestadt Hamburg
Prof. Peter Zlonicky, Stadtplaner und Professor em. TU Dortmund und TU Hamburg-Harburg

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