Bauwelt

Begeht Oslo einen historischen Fehler?

Der Zeitplan steht: Bis 2020 soll abgerissen werden. Die Proteste werden emo­­­tio­naler, die nationalen und internationalen Aufrufe dringlicher – und trotzdem soll Erling Viksjøs Y-Block, ein wichtiges Erbe der Nachkriegsmoderne, verschwinden.

Text: Schiele, Jasmin, Berlin

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    Demonstration am 24. Oktober 2018.
    Foto: Jonas Adolfsen

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    Demonstration am 24. Oktober 2018.

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    Aktuelle Situation des Geländes: Straßenführung unterhalb des Y-Block, H-Block mit Plane vor Fas­sade, da alle Fenster beim Anschlag explodierten.
    Foto: Tore Meek/NTB scanpix

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    Aktuelle Situation des Geländes: Straßenführung unterhalb des Y-Block, H-Block mit Plane vor Fas­sade, da alle Fenster beim Anschlag explodierten.

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    Vogelperspektive des neu geplanten Areals, ohne Y-Block, stattdessen mit neuem Hochhaus mit Park sowie der H-Block mit Aufstockung.
    Foto: Statsbygg/Team Urbis

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    Vogelperspektive des neu geplanten Areals, ohne Y-Block, stattdessen mit neuem Hochhaus mit Park sowie der H-Block mit Aufstockung.

    Foto: Statsbygg/Team Urbis

Begeht Oslo einen historischen Fehler?

Der Zeitplan steht: Bis 2020 soll abgerissen werden. Die Proteste werden emo­­­tio­naler, die nationalen und internationalen Aufrufe dringlicher – und trotzdem soll Erling Viksjøs Y-Block, ein wichtiges Erbe der Nachkriegsmoderne, verschwinden.

Text: Schiele, Jasmin, Berlin

Debatten über den Abriss von Gebäuden zeigen, wie stark kol­lektive Identität mit Orten und Architektur verbunden ist. Wie kann eine Gesellschaft mit einem Ort umgehen, der Ziel eines terroristisch Angriffs wurde? In Deutschland wurden schon vie­le Debatten über geschichtsträchtig Orte geführt, in Norwegen weniger. Beim Streit um das Regierungsquartier in Oslo geht es insbesondere auch darum, wie die norwegische Gesellschaft in Zukunft an das Attentat von 2011 erinnern möchte.
Zwei Gebäude des Osloer Regierungsquartiers bekamen in den letz­ten Jahren viel Aufmerksamkeit: Der H- und der Y-Block, ein von Erling Viksjø in den Jahren 1958 und 1969 entworfenes Ensemble, das als Norwegens wichtigstes Symbol für Nachkriegsop­timismus und den Glauben an Demokratie, internationalen Dialog und Offenheit steht. Das patentierte Naturbetonverfahren des Archi­tekten sowie die in Zusammenarbeit mit Pablo Picasso und Carl Nesjar entstandenen Wandgemälde räumen dem spätmodernen Werk auch international hohe Bedeutung ein.
Im Juni 2011 hat die oberste Denkmalbehörde Norwegens (Riksan­tikva­ren) beschlossen, beide Gebäude unter Denkmalschutz zu stel­len. Die­ser Prozess wurde am 22. Juli 2011 pausiert, als ein Rechtredikaler erst in der norwegischen Hauptstadt, später auf der Insel Utøya wütete. Im Regierungsviertel detonierte ein Sprengsatz, der acht Menschen in den Tod riss und einige Gebäude schwer beschädigte. Obwohl beide Blocks struk­turell unversehrt blieben begann nach dem Anschlag eine Debatte um den Abriss. Behutsame Stadterneuerung sieht anders aus: Nach aktuellem Stand der Pla­nung soll zwar der H-Block erhalten und aufgestockt werden, für den Y-Block hingegen liegt seit Anfang des Jahres ein Abrissgesuch vor.
Der Zonierungsplan von 2016 sah den Abriss des Y-Blocks bereits vor. Die Entscheidung hierfür wurde auf der Grundlage eines Konzeptauswahlberichts getroffen, bei dem es sich nicht um ein stadtplanerisches Steuerungsinstrument handelt. Ein Hauptargument ist das Thema Sicherheit, da der Nordflügel von einem Tunnel durchquert wird. Gemäß der Planung sollen hier ein Park und ein neues Hochhaus entstehen. Da das Sicherheitsrisiko bis heute jedoch nicht ausrei­chend untersucht wurde, steht diese Argumentation bestenfalls auf tönernen Füßen. Ein weiterer Wunsch der Regierung ist es, das Quartier optimaler auszunutzen und die verschiedenen Ministerien an einem Ort zu konzentrieren. Dass es Möglichkeiten gibt, den Y-Block zu integrierern, haben Wettbewerbe und Untersuchungen gezeigt.
In einer öffentlichen Debatte im Jahr 2014 regte Kjetil Thorsen, Gründer von Snøhetta, an, aus den Erfahrungen mit dem New Yorker Ground Zero zu lernen. Das norwegische Büro war 2004 beauftragt worden, dort ein Kultur- und Besucherzentrum zu errichten, das zehn Jahre später eröffnete. Bei solchen Projekten sei Reden wichtiger als Bauen, so Thorsen.
In Norwegen sind seit dem Anschlag acht Jahre vergangen, geredet wur­de zwar viel, jedoch sind die Fronten inzwischen verhär­tet. Zuletzt wurde der Regierung sogar vorgeworfen demokratische Spielregeln zu missachten. Grund des Ärgernisses ist der Antrag auf Abriss des Y-Blocks, welcher nach jetzigem Zeitplan bis 2020 erfolgen soll. Damit habe die Regierung die baurechtliche Reihen­folge nicht eingehalten und einige Prüfinstanzen übergangen, allen voran die Denkmalbehörde und das Umweltministerium. Ökologische, kulturhistorische und gesellschaftliche Aspekte sowie die Sicherheitsfrage seien nicht ausreichend geprüft worden. Größter Kritikpunkt ist, dass der Abriss des Y-Blocks vor Beginn des Planungsprozesses beschlossen und somit Teil des Wettbewerbs und der aktuellen Planung wurde, ohne, dass Alternativen geprüft werden konnten. Die Denkmalbehörde hat dem Abrissgesuch schwerwiegende Mängel attestiert und fordert dessen Ablehnung.
Auch auf internationaler Ebene haben sich inzwischen mehrfach Institutionen wie der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) und die Twentieth Century Society (C20) kritisch zu Wort gemeldet. So schrieb zuletzt Toshiyuki Kono, Präsident von ICOMOS, an alle Entscheidungsträger, dass er feststellen musste, dass der Heritage Alert von 2016, sowie eine Erklärung des ICOMOS-Treffens in Helsinki von 2018, in denen seine Organisation die Regierung aufgefordert hatte, die Entscheidung zu überdenken, keine Beachtung fanden und die Abrisspläne weiterhin bestehen. Er schließt das Schreiben mit dem Hinweis, dass der Abriss einer Niederlage der Demokratie gleichkäme und fordert die Regierung erneut auf ihre Entscheidung zu revidieren.
Für Catherine Croft, Direktorin der C20, darf ein schwieriges Erbe kein Grund für den Abriss sein. Die genannten Sicherheitsprobleme könnten gelöst werden, was auch auf einer symbolischen Ebene eine angemessenere Antwort auf die Ereignisse vom 22. Juli wäre. Treffend vergleicht sie die Situation mit Eero Saarinens US-amerikanischer Botschaft in London, die nach den Anschlägen des 11. September als nicht mehr sicher und da­mit nicht schützenswert empfunden wurde. Doch anders als in Oslo fand man in London einen sensibleren Umgang mit der Situation. David Chipperfield Architekten wurden damit betraut, das Gebäude in ein Hotel umzubauen, welches bis 2023 fertiggestellt sein soll.
Während einer Demonstration Ende vergangenen Jahres gab es neben politischen auch zahlreiche künstlerische Beiträge, die sich für den Y-Block einsetzten. Eine Bürgerinitiative vernetzt und engagiert sich seither rege in sozialen Medien. Mitte März startete eine Petition für den Erhalt, die bereits nach wenigen Tagen etwa 10.000 Unterschriften bekam.
Eine für 2020 geplante Ausstellung über den Y-Block wurde wegen des Abrissgesuchs vorgezogen und fand bereits im April statt. Die Ausstellung war gleichzeitig Protest, Tribut, aber auch Einladung zur Debatte. Die Kuratoren der Ausstellung sehen den Abriss als ein weiteres Beispiel der marktorientierten Entwicklung im Land.
Nach dem Terroranschlag sind die Gebäude zu wichtigen Symbo­len für die Beständigkeit demokratischer Werte geworden. Den Entscheidungsträgern fehlt der Gedanke daran, welche tragende Rolle Architektur als gebaute kollektive Erinnerung hat und wie stark sie zur nationalen Identität beiträgt. Terror zielt stets dar­auf ab, eine Angstspirale in Gang zu setzen und eine Gesellschaft dauerhaft zu destabilisieren. Das Attentat hat sich in den Ort und die Baukörper eingeschrieben. Der geplante Erhalt von Picassos Wandgemälden und deren Integration in die neuen Gebäude ist dabei eine Farce und untergräbt die symbolische und archi­tektonische Bedeutung von Viksjøs Werk. Die Gebäude spielen eine wichtige Rolle bei der Bewahrung des Regierungsviertels als Denkmal und bezeugen, was dort geschah.

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