Bauwelt

Zurück zur Sachlichkeit

Die Brenzkirche am Stuttgarter Weißenhof entstand 1933, bereits sechs Jahre später erfolgte die Umgestaltung: Offengelegte Stahlskelettbau-Konstruktionen, abgerun­dete Gebäudekanten und flache Dächer kollidierten mit der nationalsozialistischen Vorstellung von Architektur. Im Rahmen der IBA ’27 ist endlich der Wettbewerb zum verantwortungsvollen Umgang mit dem verbauten Gemeindehaus entschieden.

Text: Kraft, Caroline, Berlin

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    1. Preis Wandel Lorch Götze Wach überformen mit Respekt, ...
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    1. Preis Wandel Lorch Götze Wach überformen mit Respekt, ...

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    ... wollen aber nicht kaschieren: Alle Spuren bleiben ablesbar.
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    ... wollen aber nicht kaschieren: Alle Spuren bleiben ablesbar.

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    Die Kirche entstand zwischen Bauhaus- und traditionalistischer Siedlung. Als Ende der 1960er der Verkehr um sie herum zunahm, stand ein Abriss im Raum.

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    Die Kirche entstand zwischen Bauhaus- und traditionalistischer Siedlung. Als Ende der 1960er der Verkehr um sie herum zunahm, stand ein Abriss im Raum.

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    Erbaut 1933 von Hans Daiber, überformt 1939 von Rudolf Lempp: Dem Baukörper ist nach der Umgestaltung von seiner ehemaligen dynamischen Leichtigkeit nichts mehr anzumerken. Das ändert sich bald.

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    Erbaut 1933 von Hans Daiber, überformt 1939 von Rudolf Lempp: Dem Baukörper ist nach der Umgestaltung von seiner ehemaligen dynamischen Leichtigkeit nichts mehr anzumerken. Das ändert sich bald.

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    2. Preis prinzmetal nennen ihren Kirchenraum „Weißen Saal“ und rekonstruieren die einseitige Belichtung.
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    2. Preis prinzmetal nennen ihren Kirchenraum „Weißen Saal“ und rekonstruieren die einseitige Belichtung.

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    Ein Vorhang und lose Bestuhlung ermöglichen eine flexible Raumorganisation.
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    Ein Vorhang und lose Bestuhlung ermöglichen eine flexible Raumorganisation.

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    3. Preis Klumpp + Klumpp Architekten und Von M Architekten geben Gemeindesaal, Kirchenraum und Dachterrasse die Überthemen Bewegung, Ruhe und Freiheit.
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    3. Preis Klumpp + Klumpp Architekten und Von M Architekten geben Gemeindesaal, Kirchenraum und Dachterrasse die Überthemen Bewegung, Ruhe und Freiheit.

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    Kritisch sieht das Preisgericht neben einer zu eigenständigen Formensprache, dass das Querhaus höher ist als der eigentliche Kirchenbau.
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    Kritisch sieht das Preisgericht neben einer zu eigenständigen Formensprache, dass das Querhaus höher ist als der eigentliche Kirchenbau.

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Zurück zur Sachlichkeit

Die Brenzkirche am Stuttgarter Weißenhof entstand 1933, bereits sechs Jahre später erfolgte die Umgestaltung: Offengelegte Stahlskelettbau-Konstruktionen, abgerun­dete Gebäudekanten und flache Dächer kollidierten mit der nationalsozialistischen Vorstellung von Architektur. Im Rahmen der IBA ’27 ist endlich der Wettbewerb zum verantwortungsvollen Umgang mit dem verbauten Gemeindehaus entschieden.

Text: Kraft, Caroline, Berlin

Wie im Zangengriff – gewaltvoll – klammert sich das rot geziegelte Satteldach an den gelblich-beigen Baukörper der Stuttgarter Brenzkirche. Die Architektur des Sakralbaus weist Elemente des Heimatschutzstils auf. Und doch verraten die teils noch vorhandenen waagerechten Fensterbänder und der offensichtlich nachträglich verkleidete Glockenturm, dass es mal anders war. Die Brenzkirche wurde, wie auch viele der Wohnhäuser der angrenzenden Weißenhofsiedlung, nach nationalsozialistischer Lesart „entschandelt“, war sie doch als „undeutsch“ verschrien worden.
1927 entstand die Weißenhofsiedlung unter der Leitung Ludwig Mies van der Rohes. Vom Deutschen Werkbund initiiert, präsentierten die Häuser die Vorstellungen des Wohnens zur Zeit des Neuen Bauens. Als „traditonalistischen Gegenentwurf“ realisierte 1933 Paul Schmitthenner in unmittelbarer Nachbarschaft die Kochenhofsiedlung. Damit benötigten etwa 3000 Gemeindemitglieder eine neue Kirche. Nach Ausschreibung eines Wettbewerbs wurde Hans Daiber, damals schon Mitglied der NSDAP und trotzdem Vertreter der Neuen Sachlichkeit, mit dem Neubau beauftragt. Die 1933 fertiggestellte Brenzkirche vereinte Elemente des Bauhaus-Stils mit modernem Mischnutzungskonzept: Kita und Gemeindesaal im Erdgeschoss, Kirchenraum im ersten Obergeschoss, Wohnräume für Mesner und Pfarrfamilie in einem querenden Gebäudeteil.
Von Beginn an diffamierte die gleichgeschaltete Presse den Bau unter anderem als „Seelensilo“; die 1939 im nahegelegenen Killesbergpark stattfindende Reichsgartenschau lieferte schließlich den letzten Sargnagel für die Bauhaus-Kirche. Rudolf Lempp als Vertreter einer Heimatschutzarchitektur – allerdings nie Parteimitglied – zwängte die Brenzkirche in ihr bis heute bestehendes Korsett. Nach kleineren Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs entfremdete er die Kirche weiter.
Karl-Eugen-Fischer, aktuell Pfarrer der Brenzgemeinde, betont die Wichtigkeit der Rolle des Baukörpers als „Portal zur Weißenhofsiedlung“ und somit der IBA 2027 in Stuttgart, die auf dem Weißenhof ihren Mittelpunkt hat. Bisher sei der Denkmalschutz des Sakralbaus Totschlagargument für bauliche Veränderungen gewesen, das jedoch die IBA aushebeln konnte – ein Glück.
Die bauliche Struktur um die Brenzkirche herum ist mit Kunstakademie, neuen und alten Wohnquartieren, Seniorenresidenz und gewerblichen Strukturen sehr heterogen, die Gemeinde interessiert an neuen Impulsen. So lob­te 2023 die Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart gemeinsam mit der IBA den Realisierungswettbewerb „Brenzkirche – Zurück in die Zukunft“ aus. Das Angebot eines für die Stadtgemeinschaft offenen Kirchenraums, der als zeitgemäßer Sakralbau mit freiheitlichen Werten zu erkennen ist, ohne geschichtsvergessen zu sein, war formuliertes Ziel.
„Palimpsest“ getauft, vereint der erstplatzierte Entwurf von Wandel Lorch Götze Wach all das. So sind die Spuren der Überformung ablesbar, gleichzeitig ist das ursprüngliche Volumen des Baus wiederhergestellt. Der neue Vorplatz mit vergrößertem Eingangspodest öffnet die Kirche dem Stadtraum, was das Preisgericht begrüßt. WLGW schaffen es, dass die Brenzkirche wortwörtlich an ihrem Schicksal wächst: Durch die kluge Entscheidung, die Satteldächer des Querbaus und des Turms nicht abzubrechen, sondern auf ihnen aufzubauen, geben sie dem Bau die ursprüngliche rechteckige Kubatur zurück. Die durchlässige, mineralische Struktur der Aufbauten macht die ehemaligen Spitzgiebel deutlich sichtbar. Auch die gerundete Gebäudekante wird wiederhergestellt, nicht ohne einen Verweis auf die eckige Überformung auf dem Boden.
Die Sprossenfenster aus den 1940er-Jahren müssen dem bauzeitlichen Trapezfenster weichen. An der Westfassade bekommt das Fensterband seine Ursprungsform zurück, die Fläche dertraditionalistischen Fenster sind durch Vertiefungen in der Fassade erkennbar.
Der Gemeindesaal kann sich durch bodentiefe Fenstertüren nach allen Seiten dem Außenraum öffnen. Im darüberliegenden Kirchenraum verschwinden in Anlehnung an den Ursprungsbau die an der Ostfassade nachträglich eingebauten Fenster hinter einer lichtdurchlässigen, gebogenen Vorsatzschale. Das Preisgericht hinterfragt die Rundung, zudem sei der Innenraum eventuell zu unflexibel.
Neben einem neuen Gruppenraum liegen im Querbau nach wie vor Wohnungen der Pfarrfamilie und ein Gästeappartement. Durch die Wiederherstellung des Flachdachs über dem Kirchenraum entsteht Platz für einen Dachgarten, der allerdings, was das Preisgericht bemängelt, nur vom Querbau und nicht barrierefrei erreichbar ist – der Zugang über einen Aufzug im Glockenturm sei zu prüfen.
Auch prinzmetal verbessern mit ihrem zweitplatzierten Entwurf den Zugang zur Brenzkirche. Außenbereiche und Gemeindesaal funktionieren zusammen als „Marktplatz“ mit Mischnutzung zum Musizieren, Kochen oder Werken. So gelingt die Öffnung zum Stadtraum. Im Kirchenraum und auf dem Dach setzt der Entwurf ebenso auf flexible Nutzungen. Der ehemalige Luftschutzbunker im Kellergeschoss wird zum Ausstellungs- und Gedenkraum umformuliert.
Die durch den teilweisen Rückbau des Dachstuhls zur Verfügung stehenden Baustoffe sollen neben Material aus Bauteilbörsen für die Transformation zum Einsatz kommen. Generell lobt die Jury wesentliche Punkte des Entwurfs, stellt aber die Materialstrategie sowie den Rückbau des Satteldachs in Bezug auf Denkmalschutz und Rohstoff- sowie Identitätsverlust infrage.
Drittplatzierte sind Klumpp + Klumpp und Von M Architekten. Auch dieser Entwurf öffnet den Gemeindesaal richtigerweise zum Stadtraum und bietet Flexibilität auf allen Ebenen an. Das Preisgericht befürchtet aber, dass die Brenzkirche durch die formale Neuinterpretation ihre Identität im Stadtraum verlieren könne, aus der Zeit nach 1939 ist im Entwurf außerdem so gut wie nichts mehr zu sehen.
Für „freie Menschen in einer direkt nach der Fertigstellung unfreier werdenden Gesellschaft“ steht die Brenzkirche von 1933 für LoebnerSchäferWeber, die mit einer Anerkennung bedacht wurden. Die neu angefügten Elemente sind größtenteils reversibel geplant, auf der Dachterrasse befindet sich eine Bauteilbörse.
Der Wettbewerb zur Brenzkirche veranschaulicht die Wichtigkeit eines diskursfähigen, kritikoffenen wie transparenten Selbstverständnisses der Institution Kirche. Ohne Anpassungsfähigkeit wird sie keinen Bestand haben.
Nichtoffener Realisierungswettbewerb mit Ideenteil
1. Preis Wandel Lorch Götze Wach, Frankfurt amMain
2. Preis prinzmetal, Stuttgart/Köln
3. Preis Arge Klumpp+Klumpp Architekten, Stuttgart; Von M Architekten, Stuttgart
Anerkennung LoebnerSchäferWeber, Heidelberg; Schleicher Ragaller, Stuttgart
Teilnahme Florian Nagler Architekten, München; LRO, Stuttgart; Schulz und Schulz Architekten, Berlin; Bottega+ Erhardt Architekten, Stuttgart; Brückner&Brückner, Tischenreuth/Würzburg; Königs Architekten, Köln; ruggero tropeano architekten, Zürich; Oxid Architektur, Zürich; Arge Kamm Architekten, Stuttgart, Schuler und Winz Landschaftsarchitekten, Stuttgart; Studio Cross Scale, Stuttgart
Ausloberin
Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart
Fachpreisgericht
Andreas Hofer, Silke Langenberg,Thilo Mrutzek, Wolfgang Riehle (Vorsitz), Sabine Stark, Gesine Weinmiller, Gerald Wiegand
Verfahrensbetreuung
sanwaldstraub Architekten, Gerlingen
Fakten
Architekten Wandel Lorch Götze Wach, Frankfurt am Main; prinzmetal, Stuttgart/Köln; Klumpp+Klumpp Architekten, Stuttgart; Von M Architekten, Stuttgart
aus Bauwelt 16.2023
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