Das falsche Instrument
Die geplante „Bau-Turbo-Norm“ in Form eines neuen § 246e im Baugesetzbuch gefährdet die integierte Stadtentwicklung und die demokratische Bodenordnung.
Text: Kurth, Detlef, Kaiserslautern; Rumberg, Martin, Kaiserslautern
Das falsche Instrument
Die geplante „Bau-Turbo-Norm“ in Form eines neuen § 246e im Baugesetzbuch gefährdet die integierte Stadtentwicklung und die demokratische Bodenordnung.
Text: Kurth, Detlef, Kaiserslautern; Rumberg, Martin, Kaiserslautern
Im November 2023 haben sich Bund und Länder auf gemeinsame Maßnahmen zur Beschleunigung des Wohnungsbaus verständigt. Der „Bau-Turbo-Pakt“ beinhaltet Vereinfachungen in den Bauordnungen der Länder, so den genehmigungsfreien Ausbau von Dachgeschossen, bundesweit gültige Typengenehmigungen, eine Genehmigungsfiktion nach drei Monaten und den Entfall der Kfz-Stellplatzpflicht bei Umbauten und Aufstockungen. Der Bund plant neben der schon länger vorgesehenen Experimentierklausel in der TA Lärm vor allem die befristete Einführung eines vom Bundesbauministerium als „Bau-Turbo-Norm“ bezeichneten § 246e BauGB. Damit soll die Notstandsregelung für Flüchtlingsunterkünfte auf den regulären Wohnungsbau ausgedehnt werden, beschränkt auf Vorhaben ab sechs Wohneinheiten und auf Gebiete mit einem nach § 201a BauGB festgestellten angespannten Wohnungsmarkt.
Somit könnten in den nächsten Jahren in vielen Großstädten, aber auch in vielen Umlandgemeinden und ländlichen Regionen größere Wohnungsbauvorhaben unter Umgehung aller Regelungen des Baugesetzbuchs und bestehender kommunaler Satzungen genehmigt werden. Eine nachvollziehbare Prüfung, ob damit tatsächlich bestehender Wohnbedarf gedeckt wird, ist nicht erforderlich, auch keine Bauverpflichtung.
Deutschland benötigt dringend mehr Wohnungen und Infrastruktur, die Umsetzungsprozesse dauern häufig sehr lang, viele Projekte sind umstritten. Grundsätzlich sind Bestrebungen zur Beschleunigung von Projektumsetzungen daher zu begrüßen – sie sollten aber an den richtigen Stellen ansetzen und nicht pauschal etablierte Planungsverfahren infrage stellen.
Das Baugesetzbuch (BauGB) existiert in Deutschland seit über 60 Jahren und bildet bei allen Schwierigkeiten im Detail einen robusten Rahmen, in dem städtebauliche Projekte verlässlich umgesetzt werden können. Wenn es nicht mehr angewendet wird, entfallen bewährte Planungsprinzipien wie die Öffentlichkeitsbeteiligung, die Planumweltprüfung, die Möglichkeit zum Abschluss städtebaulicher Verträge – im äußersten Fall müss-te selbst die Erschließung nicht mehr gewährleistet sein.
Die vom Bundeskanzler angekündigten „20 neuen Großsiedlungen“ und viele andere Projekte könnten an ungeeigneten Standorten entstehen, zum Beispiel in Gewerbegebieten, in Randlagen, auf Sportflächen, in Außenbereichen. In diesen Gebieten müssen dann nicht länger adäquate soziale Infrastrukturen, Freiflächen, Klimaanpassung und Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr geschaffen werden. Die Ziele einer nachhal-tigen, integrierten Stadtentwicklung wie Flächeneinsparung, Klimaanpassung, Innenentwicklung und Kompaktheit können so nicht umgesetzt werden. Auch Ziele einer sozialen Bodenordnung mit Sozial- und Belegungsbindungen sind nicht erreichbar. Es ist also zu bezweifeln, ob mit einem neuen § 246e BauGB tatsächlich bezahlbarer Wohnraum entstehen würde. Der § 246e BauGB wird vielmehr auf Jahrzehnte gravierende städtebauliche, verkehrliche, soziale und rechtliche Folgeprobleme erzeugen.
Der geplante § 246e BauGB unterminiert die Planungskultur in Deutschland, die auf der kommunalen Planungshoheit mit starker Beteiligung der Öffentlichkeit basiert. Mit dem § 246e BauGB wird die Position der Grundstückseigentümer und Projektentwickler einseitig gestärkt. Die Bauaufsichtsbehörden und vor allem die Gemeinden werden zu Erfüllungsgehilfen, die unter hohem öffentlichem Druck, in kurzer Frist und mit unklaren rechtlichen Vorgaben über unkoordinierte Bauvoranfragen und -anträge an verschiedensten Standorten entscheiden müssen – auch solchen, die derzeit planungsrechtlich nie genehmigt werden könnten. Es ist unrealistisch, unter diesen Umständen langfristig tragfähige Konzepte zu entwickeln oder zumindest mit den unmittelbar Betroffenen abzustimmen.
Dies untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in transparente Planungsverfahren und gefährdet dann auch die Akzeptanz planerisch sinnvoller Vorhaben. In einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft müssen alle Fachplanungen und Anregungen der Öffentlichkeit einbezogen werden – dies verlängert zunächst ein Verfahren, löst aber die Zielkonflikte und macht den Bebauungsplan konsensfähig und rechtssicher. Das Bau-gesetzbuch gewährleistet demokratisch legitimierte Planungsverfahren und schützt uns vor starken gesellschaftlichen Polarisierungen und Konflikten.
Der teilweise angespannte Wohnungsmarkt und Probleme bei der Projektumsetzung im Wohnungsbau sind nicht auf kurzfristig fehlendes Bauland oder fehlende Planungsinstrumente zurückzuführen. Es gibt derzeit zahlreiche genehmigte Projekte, die nicht realisiert werden, sowie Innenentwicklungspotenziale, für die bereits Planungsrecht besteht oder für dieses im vorhandenen beschleunigten Verfahren geschaffen werden könnte. Diese Flächen müssen konsequent aktiviert werden. Hierfür fehlt im „Bau-Turbo-Pakt“ allerdings jeder Ansatz. Seit Jahren werden dafür Mobilisierungsinstrumente wie die Innenentwicklungsmaßnahme, forcierte Baugebote und preislimitierte Vorkaufsrechte vorgeschlagen, die nur einzuführen sind.
Das Planverfahren muss endlich umfassend und nicht nur halbherzig digitalisiert werden, um effizienter abstimmen und beteiligen zu können. Und nicht zuletzt bedarf es einer kritischen Revision des Baugesetzbuchs mit seinen inzwischen weit über die städtebauliche Rahmensetzung hinausgewachsenen Regelungsinstrumenten und Verfahrensvarianten. Wichtig wäre künftig eine Beschränkung auf wesentliche Kerninhalte, eine praxisgerechte Straffung der Umweltprüfung und eine klare Abgrenzung der Bauleitplanung gegenüber der Fachplanung und der Baugenehmigung. Die angekündigte „große“ BauGB-Novelle wäre der geeignete Rahmen, dies anzugehen und damit nachhaltige Vereinfachungen und Beschleunigungen zu erreichen.
Gegen die Einführung des § 246e liegen inzwischen zahlreiche kritische Stellungnahmen vor, u.a. von den kommunalen Spitzenverbänden, der SRL, des BDLA sowie von Hochschuldozierenden an Planungshochschulen, letztere wurde von den Autoren initiiert.
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