Die größte Müllkippe Afrikas
Der Victoriasee ist die größte Müllkippe des Kontinents. Aus sämtlichen Dörfern und Städten der Region werden Unmengen an Unrat in den See gespült, vor allem aus Ugandas Hauptstadt Kampala.
Text: Schlindwein, Simone, Kampala (Uganda)
Die größte Müllkippe Afrikas
Der Victoriasee ist die größte Müllkippe des Kontinents. Aus sämtlichen Dörfern und Städten der Region werden Unmengen an Unrat in den See gespült, vor allem aus Ugandas Hauptstadt Kampala.
Text: Schlindwein, Simone, Kampala (Uganda)
Agrey Dravule prüft seine Pressluftflasche bevor er das Mundstück einsetzt. Dann watet er mit seinen Flossen ins grünbraune Wasser hinein. Der 25-jährige Ugander ist Mülltaucher und sammelt auf dem Grund des Victoriasees in Afrika alte Fischernetze, Schrott und Plastik ein – also alles, was aus der nahe gelegenen, ugandischen Haupstadt Kampala und den umliegenden Dörfern aufgrund mangelnder Müllentsorgungssysteme in das Gewässer hineingespült wird. Das kleine ugandische Fischerdorf Guda, von wo aus Dravule tauchen geht, liegt rund zwanzig Kilometer von Kampala entfernt. Die rund 500 Einwohnerinnen leben direkt am Ufer in selbstgebauten Holzbaracken mit Wellblechdächern, ohne Wasseranschluss oder Toiletten – und vor allem ohne Müllentsorgung. Die schmalen matschigen Gassen sind voller Unrat. Fliegen summen umher, es riecht nach Abfällen. Die meisten Einwohner von Guda sind Fischer, ihre Existenzgrundlage ist der See. Der Victoriasee im Herzen Afrikas ist der größte des Kon-tinents und der zweitgrößte der Welt, flächenmäßig in etwa so groß wie Bayern. Er spendet rund fünfzig Millionen Menschen entlang seiner Ufer Wasser, er liefert Fisch und er dient als Transportweg. Aus diesem gewaltigen Gewässer entspringt der Nil, der sich bis nach Ägypten ins Mittelmeer schlängelt.
Doch der See ist in Gefahr. Bereits am sandigen Ufer, wo Dravule in den See hineinwatet, schwimmt jede Menge Abfall: Plastiktüten, Plastikflaschen, einzelne Schuhe, ein alter Autoreifen. „Wenn es hier am Strand schon so aussieht, dann kann ich mir ausrechnen, dass unter Wasser noch mehr Unrat herumliegt“, sagt Dravule bevor er abtaucht. Als einer von nur wenigen ausgebildeten Tauchern im Land kümmert sich der drahtige junge Mann sonst im Auftrag von Fischereifirmen um die zahlreichen Fischzuchtanlagen. Am Wochenende schnappt er sich jedoch seine Ausrüstung und fährt in eines der zahlreichen kleinen Fischerdörfer im Umkreis der Hauptstadt, um in seiner Freizeit nach Müll zu tauchen. Wenn die Sicht unter Wasser klar ist, dann stellt er bei seinen Tauchgängen immer wieder fest: „Der See ist die größte Müllkippe des Landes.“
Dass sich so viel Müll im Victoriasee ansammelt, liegt vor allem an der mangelnden Müllentsorgung und der Geografie der Region. Das riesige Gewässer wird aus abertausenden kleinen Zuflüssen aus den umliegenden Ländern gespeist. Doch fast alle dieser kleinen Flüsse führen durch Dörfer oder Städte, wo es keine ausreichenden Müllentsorgungssysteme gibt und die Menschen stattdessen ihren Müll einfach in den Straßengraben werfen.
Bereits 2016 hat die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) eine Initiative gestartet, den Victoriasee zu retten und ein Gesetz erlassen, um vor allem den Gebrauch von Einwegplastik zu verbieten und mehr Plastik zu recyclen. Bis auf Uganda haben alle Mitgliedstaaten seither diese Verordnung umgesetzt. Im Nachbarland Ruanda wurde bereits 2003 die Produktion, der Import und Gebrauch von Plastiktüten verboten. 2018 folgte das Verbot auf Einwegplastik: In Restaurants gibt es Strohhalme aus Bambus und Flaschen aus Glas, im Supermarkt bekommt man Einkaufstaschen aus Baumwolle. Seitdem Ruanda auf wiederverwendbare Produkte umgestiegen ist, hat sich die schiere Masse an Müll dort deutlich verringert. Weitere Anrainerstaaten des Victoriasees wie Kenia und Tansania sind diesem Beispiel gefolgt.
Auch Uganda hat 2018 die entsprechenden Gesetze erlassen, aber an der Umsetzung mangelt es. Nach wie vor werden auf Märkten Äpfel und Mangos in Plastiktüten abgepackt, im Supermarkt gibt es nach wie vor Plastiktaschen. Der Grund: In Uganda hat die Plastikindustrie eine große Lobby. Hochrangige Politiker sind zum Teil Inhaber oder Anteilhaberinnen von Plastik produzierenden Firmen oder Abfüllfabriken, die Plastik- statt Glasflaschen nutzen. Zudem hat die nationale Umweltbehörde NEMA keine ausreichenden Befugnisse und kein Budget, das Verbot zu ahnden. Und so verendet der Müll der ugandischen Hauptstadt nach wie vor im See.
Mit rund zwei Millionen Einwohnern zählt Kampala zu den kleineren Hauptstädten Afrikas. Dennoch produzieren die Einwohnerinnen jede Menge Abfall, vor allem aus Plastik. Laut Statistiken der NEMA werden landesweit pro Tag rund 600 Tonnen Plastikmüll weggeworfen, der Großteil davon in der Hauptstadt. Doch nur vierzig Prozent wird von der Müll-abfuhr eingesammelt und auf einer riesigen Müllhalde am Stadtrand entsorgt. Rund zwanzig Prozent wird meist in den Hauhalten verbrannt, was jedoch zur Luftverschmutzung beiträgt. Der Rest endet in Straßengräben und Abwasserkanälen, wo es beim nächsten Regenschauer davon gespült wird.
Von Kampalas Innenstadt verläuft bereits seit Kolonialzeiten entlang der Eisenbahnlinien, die zum Hafen führen, ein gewaltiger offener Abwasserkanal: der Nakivubu-Kanal. Er zieht sich durch zahlreiche Armenviertel und das Industriegebiet bis zum See hinunter. Unterwegs sammeln sich tonnenweise Abfälle an, die dann beim nächsten Starkregen von den Wassermassen in den See gespült werden. Im besten Fall fördert Taucher Dravule sie dann wieder zutage.
In der Regenzeit kann dieser Plastikmüll aber auch zur tödlichen Falle werden. Denn er verstopft sämtliche Abwasserkanäle, auch den Naki-vubu-Kanal, sodass das Regenwasser nicht abfließt und die Straßen und umliegenden Wohngebiete überschwemmt. In den vergangenen Jahren häufte sich in Kampala die Zahl der Toten durch Ertrinken, denn die Straßen verwandeln sich in gefährliche Ströme, die Autos und Menschen die Hügel hinabreißen. Mit dem Klimawandel wird der Regen stärker und das Problem größer. Mittlerweile hat Ugandas Umweltbehörde die Verschmutzung der Abwasserkanäle durch Müll zum größten Risiko für die städtische Bevölkerung erklärt.
Kampala verfügt über keine öffentliche Müllabfuhr. Die meisten Lastwagen, die einmal die Woche den Hausmüll einsammeln, sind private Unternehmen – und sie sind teuer. Bei weit über 100 Euro umgerechnet liegt die jährliche Gebühr. Das können sich nur die wenigsten Haushalte leisten. Die Müllfirmen operieren deswegen nur in den Stadtvierteln, wo die wohlhabende Menschen wohnen. Für den Unrat in den Armenvierteln oder entlang der Straßen und auf öffentlichen Plätzen fühlen sie sich nicht verantwortlich.
Doch all das soll sich nun bald ändern, verkündete im Februar diesen Jahres Ugandas Staatsministerin für Umwelt, Beatrice Atim Anywar, auf einer Konferenz zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft, die von der deutschen Außenhandelskammer in Kampala veranstaltet wurde. Zahlreiche ugandische sowie deutsche Unternehmen waren vertreten: vom größten Abfallentsorger Ugandas BIN IT, der gerade in eine neue Anlage am Stadtrand mit modernen Müllsortiermaschinen investiert, bis hin zur deutschen Fir-ma Achelis mit Sitz in Bremen, die Müllfahrzeuge liefern wollen, um den Müll geruchsneutral abzutransportieren. Ugandas Regierung sei bereit, so Ministerin Anywar, Partnerschaften mit deutschen Firmen einzugehen, um die Kreislaufwirtschaft auf ein höheres Niveau zu bringen. Dabei hofft sie auf finanzielle Zuschüsse aus internationalen Klimafonds.
Viele deutsche Unternehmen, darunter auch Siemens, sehen in der Kreislaufwirtschaft in Afrika ein riesen Potenzial, das bislang noch unangetas-tet ist. Nach wie vor wird in Uganda nicht einmal Mülltrennung betrieben, von der Bananenschale bis zum Elektrokabel landet dort alles in einem Sack – oder eben im See.
Als Dravule nach dreißig Minuten unter Wasser wieder auftaucht, ist er enttäuscht. Gerade einmal eine Handvoll Plastikflaschen hat er einfangen können. „Die Sichtweite ist gleich null“, klagt er. Am Strand sammelt er noch ein kaputtes Fischernetz ein, in welchem er sich fast mit seinen Flossen verfängt. Während sich der Taucher aus dem Neoprenanzug schält, kommen Leute angelaufen und klatschen und jubeln ihm zu. Dass er heute keine großen Säcke voller Unrat vom Seeboden bergen konnte, ist für den Aktivisten kein Problem. „Was langfristig einen Unterschied macht, ist, dass mein Tauchgang bei der Bevölkerung ein Umdenken bewirkt“, so Dravule.
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