Bauwelt

Eine Stadt von morgen

Die IBA Heidelberg beging am 8. Juli mit einer Abschlusskonferenz ihr Finale. Ein Gespräch mit IBA-Direktor Michael Braum über ein Projekt, das weit über die zehnjährige Laufzeit der Bauausstellung hinausreicht: die Konversion der ehemaligen US-Militärsiedlung Patrick Henry Village

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

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Michael Braum Ende Juni in der Bauwelt-Redaktion in Berlin.
Foto: Jasmin Schuller

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Michael Braum Ende Juni in der Bauwelt-Redaktion in Berlin.

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Eine Stadt von morgen

Die IBA Heidelberg beging am 8. Juli mit einer Abschlusskonferenz ihr Finale. Ein Gespräch mit IBA-Direktor Michael Braum über ein Projekt, das weit über die zehnjährige Laufzeit der Bauausstellung hinausreicht: die Konversion der ehemaligen US-Militärsiedlung Patrick Henry Village

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

Die IBA Heidelberg „Wissen schafft Stadt“ geht zu Ende. Jetzt stellt sich die Frage nach der Zukunft: Wie lassen sich die Ergebnisse der IBA in die künftige Entwicklung von Heidelberg einbinden?
Das ist eine riesige Herausforderung. Die Verstetigung der IBA ist dringend notwendig. Dafür ist es erforderlich, über neue Organisationsstrukturen in oder neben der Verwaltung nachzudenken. Wichtige Projekte sind realisiert, andere, ebenso wichtige sind in die Spur gelegt. Für Letztere folgt die Realisierung, das bedarf zwingend einer innovativen und interdisziplinär zusammengesetzten Organisation, die die Nachfolge des IBA-Teams antritt. Im normalen Verwaltungsbetrieb ist das nicht leistbar. Ich bin mit der Stadt im Gespräch, in welcher Organisationsform diese Verstetigung auf den Weg gebracht werden kann.
Das größte Konversionsprojekt der IBA ist die Umwandlung der ehemaligen US-Militärsiedlung Patrick Henry Village, kurz PHV. Hier sollen Wohnungen für 10.000 Menschen entstehen, dazu 5000 Arbeitsplätze. Dafür wurde ein „Dynamischer Masterplan“ erstellt. Was ist das genau?
In einem Dynamischen Masterplan werden die unterschiedlichen Akteure der Stadtentwicklung frühzeitig in die Konzeptentwicklung eingebunden. Sowohl interessierte Bürgerinnen und Bürger, potenzielle Interessenten als auch alle Fachplaner. Ich vergleiche das gern mit einem Mobile, in dem die unterschiedlichen Kräfte klug austariert sind. Dynamisch heißt, dass sich dieser Masterplan innerhalb des gesetzten Rahmens an veränderte Anforderungen anpasst, ohne seine Grundintention zu verlieren.
Was macht das neue Quartier neben Wohnen und Arbeiten aus?
Die 10.000 Wohnungen und die 5000 Arbeitsplätze sind ein von uns gesetztes absolutes Minimum. Das reicht für einige zusätzliche Funktionen: eine Grundschule und vielleicht zwei Einzelhandelsläden. Ein vitaler Stadtteil entsteht so noch nicht. Wir brauchen über diese Nutzung hinaus eine Reihe weiterer explizit urbaner Funktionen, wie beispielsweise eine internationale Schule, eine Dauerausstellung zur Wissensstadt von morgen sowie Innovationsanker aus den Bereichen Wissenschaft und Wirtschaft, die weit in die Region hineinwirken.
Mobilität ist inzwischen eines der wichtigsten Themen der Stadtplanung. Wie werden die Verkehrsströme im PHV organisiert?
Wir wollten von Anfang an einen autoarmen und stellplatzfreien Stadtteil. Zu Transportzwecken oder für Bewohner mit Mobilitätseinschränkungen ist zwar jede Wohnung mit dem Auto erreichbar, geparkt wird aber in den Quartiersgaragen am Rand. Bei einem derartigen Konzept kommt es auf den Luxus der letzten Meile an: mit autonomen Fahrzeugen, Fahrrädern oder Rollern, die so komfortabel sind, dass es Freude macht, sie zu nutzen. Mit den gewonnenen Flächen kann ich etwas anderes machen, einen Mehrwert für die Bewohner schaffen. So kann ich ohne Tiefgaragen alle Innenhöfe mit Großbäumen begrünen, ich muss nicht diese Mickerdinger pflanzen, die zehn Jahre vor sich hin krepeln und dann eingehen.
Wie sieht das Energiekonzept im zukünftigen Quartier aus?
Unser Konzept geht über den gebäudebezogenen Ansatz hinaus hin zu einem quartiersbezogenen. Wir werden im PHV „dienende“ und wir werden „fordernde“ Häuser haben. Unser Ziel ist es, dass das Quartier 60 bis 65 Prozent der Energie, die es benötigt, selbst produziert.
Bei vielen Menschen wächst die Sehnsucht nach Überschaubarkeit und angemessenem Maßstab. Der Wunsch nach öffentlichem Raum, gemeinschaftlich genutzt, der bestenfalls einen hohen Grün-Anteil hat, ist groß. Wie passt das zusammen mit einem Stadtteil, der derart durch die Themen Innovation, Digitalisierung und Hightech bestimmt wird?
Dies lösen wir in Nachbarschaften mit Einheiten von ca. 2000 Bewohnern. Jede dieser Nachbarschaften ist städtebaulich so ausgebildet, dass sie einen Quartiersplatz hat und gut angebunden ist. Das Quartier setzt sich aus gestalterisch und architektonisch ganz verschiedenen Einheiten zusammen, so entstehen unterschiedliche räumliche Identitäten. Ziel ist Heterogenität statt Homogenität. Wir bauen keine „Weiße Stadt“ und auch keine Architekturskulptur. Die Heterogenität unserer Gesellschaft muss sich in der Heterogenität unserer Bauten und Freiräume widerspiegeln.
Im PHV sollen die wesentlichen Aspekte einer „Stadt von morgen“ realisiert werden. Welche Aspekte sind das?
Die Stadt von morgen wird dichter sein als die Stadt von heute. Das heißt höhere Häuser und mehr Frei- und Grünräume. Dafür müssen wir eine gute Balance zwischen der Höhe der Gebäude und den Freiflächen finden. Im PHV haben wir einen Freiflächenanteil von 50 Prozent und einen Bebauungsanteil von 50 Prozent. Wir müssen Wege finden, wie wir Arbeiten und Wohnen wieder radikal mischen können. Radikal mischen heißt: Wie schaffen wir Wohnungs- und Arbeitstypologien, die für unterschiedliche Anforderungen auch in Zukunft flexibel nutzbar sind? Mit ziemlicher Sicherheit wird sich im Zuge der Sharing-Ökonomie Privates und Öffentliches zunehmend vermischen. Dies bedeutet, dass wir über Funktionen in der Stadt nachdenken müssen, die einander überlappen, wir nennen das multitalentierte Häuser. Ein Haus muss mehr können, als ausschließlich dem Wohnen oder dem Arbeiten dienen, es muss sich unterschiedlichen Anforderungen flexibel anpassen. Im Weiteren braucht eine Stadt heute ihr eigenes Ökosystem. Wenn wir künftig bauen, müssen wir dies ressourcenfreundlicher und umweltverträglicher tun. Die Stadt der Zukunft muss als Stoffkreislauf funktionieren. Dabei müssen wir viel konsequenter über das Zusammenwirken von Landschaft und Stadt nachdenken.
Und am Ende, das ist die Erkenntnis aus alledem: Die Stadt von morgen muss von ganz vielen gebaut werden und nicht von einzelnen. Die Zeit ist vorbei, in der wir uns die Wohnungstypologien von der Immobilienwirtschaft diktieren lassen. Wir brauchen keine 2- oder 4-Raum-Wohnung von der Stange. Diese teilweise radikalen Ansätze stecken alle im PHV, und es bedarf kluger und verantwortungsvoller Menschen, einer entsprechenden Organisationsstruktur und viel Rückgrat, um das auch umsetzen zu können.

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