Zu Besuch im Hotel Egon
Wie eine leerstehende Industrie-Ikone reaktiviert werden kann, zeigt die IBA Thüringen exemplarisch am Eiermannbau in Apolda und eröffnet darin ein Hotel
Text: Kunst, Jasmin, Zürich
Zu Besuch im Hotel Egon
Wie eine leerstehende Industrie-Ikone reaktiviert werden kann, zeigt die IBA Thüringen exemplarisch am Eiermannbau in Apolda und eröffnet darin ein Hotel
Text: Kunst, Jasmin, Zürich
45.000 Häuser stehen in Thüringen leer, die Gründe dafür sind vielfältig: Veränderte Bedingungen für Wirtschaft und Tourismus seit der Wende und auch ein Wandel der Alltagskultur haben dazu geführt, dass klassische Strategien für die Umnutzung stillgelegter Fabriken oder unbewohnter Plattenbauten nicht mehr funktionieren. Die IBA Thüringen, die 2011 beschlossen wurde, 2013 startete und bis 2023 dauern wird, stellt sich dem Thema Leerstand. Neben „Aufbauen: SelbstLand“ und „Neubauen: ProvinzModerne“ ist „Umbauen: LeerGut“ einer der Schwerpunkte dieser Bauausstellung mit dem Titel „StadtLand“. Ihr Ziel ist es, beispielhafte Projekte in Thüringen zu realisieren, die das Gefälle zwischen den ländlichen, von Schrumpfung und einem politischen Rechtsrutsch betroffenen Gebieten und den Ballungsräumen verringern, neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure aufzeigen und gleichzeitig die lokale (Bau-)kultur stärken.
2019 ist es nach sechs Jahren IBA nun Zeit für ein erstes Fazit. Zu diesem Anlass wurde der Eiermannbau in Apolda im Mai 2018 als IBA-Zentrale in Betrieb genommen. In der ehemaligen Löschmittelfabrik, die 1906 gebaut und 1938 von Egon Eiermann erweitert wurde, werden die teils abgeschlossenen, teils noch laufenden IBA-Projekte und Akteure vorgestellt und rekapituliert. Der Eiermannbau leistet für die IBA aber noch mehr, als bloß zentrale Ausstellungsplattform zu sein. Er steht, selbst als eines der Projekte, exemplarisch für das, was die IBA mit dem unprätentiösen Titel „LeerGut“ – laut Duden eine „zur Wiederverwendung bestimmte leere Verpackung“ – meint. Nach dem Grundsatz „Wie wenig ist genug?“ sollen in der renovierten Hülle des Eiermannbaus unterschiedlichste Nutzungen nebeneinander stattfinden und den Bau nach 25 Jahren des Leerstands in ein neues Licht rücken.
Das Haus wird vom IBA-Team als Büro genutzt, wobei sich jeweils zwei Mitarbeitende ein kleines Gewächshaus als Büroraum teilen, um im Winter nur punktuell heizen zu müssen. Die ehemalige Kantine wird als Veranstaltungssaal vermietet und kürzlich hat sich die Bauhaus Universität Weimar in eine Halle eingemietet. Das Erdgeschoss wird diesen Sommer während einiger Wochen zur Lobby des temporären „Hotel Egon“. Vier Kollektive aus Kunst und Architektur wurden eingeladen, während jeweils zehn Tagen die Hotelleitung zu übernehmen, Gäste zu empfangen und diese kulinarisch und kulturell zu versorgen.
Übernachtet wird im Co-Sleeping-Bereich in den ehemaligen Umkleidekabinen, im Zelt auf dem Gelände oder auf einem Hochbett mitten in der Ausstellung. Durch das räumliche Ineinandergreifen der verschiedenen Nutzungen ergeben sich neue Bekanntschaften: Werkstudent trifft auf Foodbloggerin, Bauhaus-Reisender auf IBA-Projektleiterin, Sternekoch auf BDA-Mitglied. Die Künstler und Architekten des Kollektivs ON/OFF aus Berlin und London wollten während ihrer Zeit als Hoteldirektoren mit romantisierenden Vorstellungen über „lokale Ernährung“ aufräumen, denn in Apolda fallen unter lokale Lebensmittel sowohl die Thüringer Rostbratwurst, Filinchen-Waffelbrot als auch Kräuter vom Waldrand oder industriell gefertigte Tiefkühlpizza. In täglichen Ausflügen begaben sich die Hotelbetreiber gemeinsam mit den Gästen auf die Suche nach Zutaten für das Abendessen.
Die Reaktivierung des Eiermannbaus als Kulturfabrik zeigt, wie Lösungsansätze für ganz unterschiedliche Herausforderungen synergetisch wirken. Die „Open Factory“ schafft im kleinen Maßstab bereits das, was die IBA Thüringen mit ihren Projekten auch im großen anstrebt.
0 Kommentare