Bauwelt

Ich habe ihm einen Brief mit der Aufgabe geschickt

Thomas Müller war bis März Geschäftsführer der VS Vereinigte Spezialmöbelfabriken in Tauberbischofsheim. Im Jahr 2018 hat sein Unternehmen weltweit 850.000 Schul­stühle von Verner Panton verkauft. Bei einem Besuch in der Bauwelt-Redaktion stellte er „Jumper“ vor, eine neue Serie von Schul- und Objektstühlen – entworfen von Jean Nouvel

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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    Thomas Müller zu Besuch in der Bauwelt-Redaktion mit zwei der neuen Schulstühle von Jean Nouvel in Minia­turformat. Rechts im Bild: Sebastian Redecke.
    Foto: Josepha Landes

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    Die Schulstuhlfamilie Jumper als Freischwinger, Vierbeiner und Drehstuhl
    Abb.: Ateliers Jean Nouvel

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    Die Schulstuhlfamilie Jumper als Freischwinger, Vierbeiner und Drehstuhl

    Abb.: Ateliers Jean Nouvel

Ich habe ihm einen Brief mit der Aufgabe geschickt

Thomas Müller war bis März Geschäftsführer der VS Vereinigte Spezialmöbelfabriken in Tauberbischofsheim. Im Jahr 2018 hat sein Unternehmen weltweit 850.000 Schul­stühle von Verner Panton verkauft. Bei einem Besuch in der Bauwelt-Redaktion stellte er „Jumper“ vor, eine neue Serie von Schul- und Objektstühlen – entworfen von Jean Nouvel

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Herr Müller, Sie haben Anfang des Jahres die Schulstuhlfamilie „Jumper“ herausgebracht. Wie gelang Ihnen die Zusage von Jean Nouvel, den Stuhl zu entwerfen? Spielte eine Rolle, dass der dänische Designer Verner Panton, der für die Vereinigten Spezialmöbelfabriken die erfolgreiche Panton-Stuhlfamilie entwarf, einer seiner großen Vorbilder ist und er daher Ihr Unternehmen schon kannte?
Nein, Jean Nouvel schätzt in der Tat Verner Panton sehr, aber VS kannte er nicht. Ich habe ihm einen Brief mit der Aufgabenstellung geschickt und erhielt zunächst Antwort von seiner Marketingleiterin mit einer Einladung zum Gespräch nach Paris, wo ich die Aufgabe näher erläutern konnte. Das Unternehmen Jean Nouvel Design befindet sich in der Cité d’Angoulême im gleichen Gebäude wie das Architekturbüro. Jean Nouvel selbst hat sich dann mit dem Thema befasst und nahm den Auftrag gerne an. Später wurde das Projekt Jumper von seinem Design-Team weiterbearbeitet.
Warum haben Sie bei Jean Nouvel angefragt? Es könnte ja auch ein anderer renommierter Architekt einen Stuhl entwerfen.
Ich war davon überzeugt, dass er trotz vieler Restriktionen, die für einen Schulstuhl zu beachten sind, einen kreativen Entwurf liefern kann. Nachdem Jean Nouvel für das Gebäude der Fondation Cartier mit UniFor einen sehr überzeugenden Tisch entworfen hat, und später Outdoormöbel für einen italienischen Hersteller, wusste ich, dass er sich mit dem Thema „Möbel“ auskennt und zu uns passt. Die Bedeutung der Aufgabe liegt da­­rin, wenn ich das in aller Bescheidenheit so sagen darf, dass wir beim Stuhl, den wir 1994 mit Verner Panton gemacht haben, eine rasante Entwicklung der Stückzahl erlebten. 1996 produzierten wir ein paar Tausend Stühle, im Jahr 2001 bereits 100.000 und im letzten Jahr haben wir 850.000 Stühle verkauft. Das ist eine enorme Zahl, die man erst mal toppen muss. Wir suchten daher einen Entwerfer, der ein ähnlich geniales Konzept entwickelt. Jean Nouvel hat eine große Wertschätzung für Verner Panton. So legte er bereits früh fest, dass er die Innenkurve der Sitzschale, die Panton definierte, nicht wesentlich ändern möchte, da man sie kaum verbessern kann. Wir haben dennoch eine höhere Flexibilität bei der Rückenlehne erreicht. Die Pantonschale ist steif und hart, beim Jumper hat sie eine gewisse Flexibilität und der Sitzkomfort ist daher nochmals deutlich verbessert.
Der Name Jumper soll Dynamik ausdrücken?
Im Wesentlichen haben wir beim Jumper einen umgekehrten Freischwinger. Wenn ich mich nach vorne beuge und schreibe oder lese, will ich, dass die Sitzfläche sich ebenfalls nach vorne absenkt. Das erreichen wir durch die C-Form. Außerdem gibt es die Beweglichkeit der Rückenlehne, so dass ich tatsächlich dynamisch sitzen kann.
Der Vierbeiner ist für Sie nicht der klassische Stuhl für die Schule?
Nein, da die Sitzfläche steif ist und der Raum für die Bewegung der Füße limitiert ist.
Die Schüler wippen jetzt mehr?
Das ist erlaubt. Zappeln ist sozusagen erwünscht, weil viele Schulkinder mit Bewegungsmangel oder gar ADHS in die Schule kommen und sich bewegen wollen bis sie eine Beruhigung erreicht haben, um sich schließlich konzentrieren zu können.
Es gibt diese Stuhlfamilie in sechs Größen auch als Drehstuhlvariante. Sie heißt „Move“ und hat nicht die Leichtigkeit und Eleganz wie der Freischwinger oder Vierbeiner. War Jean Nouvel dennoch damit einverstanden?
Er hat sich von dem Argument überzeugen lassen, dass der Drehstuhl mit Gasfeder den großen Vorteil der Höhenverstellbarkeit hat. Bei Klassenräumen, die von unterschiedlichen Altersgruppen genutzt werden, braucht man diese Verstellbarkeit. Die Sitzschale ist trotzdem sehr gut auf das Drehkeuz abgestimmt. Der Drehstuhl ist natürlich sehr vergleichbar, was die grundsätzliche Konstruktion betrifft.
Hat Nouvel auch Einfluss genommen auf die Gestaltung der Noppenstruktur?
Ja, das war ein ganz wichtiges Thema. Die Noppen haben gestalterisch eine ähnliche Funktion wie die Fassadenelemente der Gebäude von Jean Nouvel, zum Beispiel beim Neubau der Philharmonie von Paris am Parc de la Villette. Die ganze Fassade hat er mit gleichen Elementen ausgestattet. Die Oberfläche changiert aber ständig nach Lichteinfall und Lichtstärke. Den gleichen Effekt haben wir bei dem Stuhl. Die Schale hat dadurch eine Oberfläche mit einer ganz anderen Wertigkeit, da sich stets ein variabler Licht-Schatten-Effekt bildet. Es entsteht eine lebendige Oberfläche und die Stühle haben nicht die Anmutung von Benzinkanistern, die übrigens aus dem gleichen Material (Polypropylen) gefertigt werden.
Wie kamen Sie zu den Farben? Es gibt ja Jean-Nouvel-Farben.
Die Farbgebung war für uns eine diffizile Aufgabe, denn der Stuhl muss zum Einrichtungsprogramm der VS passen. Wir haben lange mit Jean Nouvel diskutiert und schließlich einige von unseren bestehenden Farben angepasst. Zwei Farben sind aber neu dazu gekommen: Nouvels Rot und zukünftig auch ein Gelb.
Ist Jumper der erste Stuhl von Jean Nouvel in Serie?
Das kann man so sagen, da er als Großserie gedacht ist.
Nouvel betonte bei diesem Auftrag, dass seine Eltern Lehrer waren und er einen besonderen Bezug zu Schulmöbeln habe.
Ja, ich glaube sie waren Grundschullehrer in einem kleinen Ort und „Schule“ war für ihn eine prägende Erfahrung.
Jumper soll derzeit der nachhaltigste Schulstuhl auf dem Markt sein. Wie zeigt sich das?
Es ist uns natürlich wichtig, dass die Demontage und die sortenreine Entsorgung so einfach wie möglich sind. Da waren wir bereits mit dem Panton relativ weit, da er aus einem großen homo­genen Kunststoffteil und einem Stahlrohrteil besteht, die man gut trennen und recyceln kann. Uns war wichtig, dass das Polypropylen und auch das Stahlrohrgestell zu 100 Prozent recycelfähig sind. Bisher gibt es in Schulen keinen Stuhl, der das kann, weil die nicht so gut zerlegbar sind. Beim Jumper haben wir die kraft- und formschlüssige Verbindung mit einer Schnappmechanik optimiert. Ich brauche nur noch eine einzige Schraube, um den ganzen Stuhl zusammenzuhalten. Das hat dann auch für den Versand einen großen Vorteil, da Untergestell und Schale getrennt verschickt werden können. Wir haben öfter Schulen mit über 1000 Schülern, da lohnt sich aus Nachhaltigkeitsgründen das Transportvolumen einzusparen.
Was hat Sie beim Besuch der Ateliers Jean Nouvel Design besonders beeindruckt?
Jean Nouvel arbeitet gerne mit italienischen Designern zusammen. Er hat ein großes Talent, gute Bewerber auszuwählen und für seine Arbeit zu begeistern. Interessant war, dass er sich nicht allein mit dem Thema Möbel befasst, sondern beispielsweise auch mit Leuchten, Sportschuhen, Taschen und einer Menge von Lifestyle-Produkten. Ich habe den Eindruck, dass er ein sehr gutes Gespür für Formgebung und Farben hat.
Rechnen Sie sich mit der neuen Stuhlfamilie eine erfolgreiche Vermarktung besonders in Frankreich aus? Meinen Sie, dass es dort für Auftraggeber, die Schulmöbel benötigen, eine Rolle spielt, dass Jean Nouvel sie entworfen hat?
Ich glaube, dass das eine Rolle spielt. Die Franzosen schätzen Nouvel sehr. Das wird sicherlich hilfreich sein, allerdings nicht bei jeder staatlichen Beschaffungsstelle, weil möglicherweise nicht jedem der Name etwas sagt. Aber überall dort, wo ein Architekt auch für die Inneneinrichtung mit verantwortlich ist, spielt das eine große Rolle. Wir haben das schon früher in Skandina­vien beim Panton-Stuhl so erlebt.
Und außerhalb Europas?
Da ist hauptsächlich der Mittlere Osten wichtig, auch bedingt durch den Louvre Abu Dhabi und das Nationalmuseum von Qatar (Seite 36), beides Bauten von Jean Nouvel. Unsere arabischen Händler sind schon ganz heiß auf den Jumper, denn für die Menschen am Golf hat das einen unwahrscheinlichen Prestige-Charakter. Aber auch unser Händler in New York wird sich freuen, denn in wenigen Wochen erwarten wir die Fertigstellung von Jean Nouvels Tour de verre 53W53 direkt neben dem MoMA.
Namen spielen also eine große Rolle.
Na klar. Ich hatte mir während der Suche nach einem nahmhaften Designer alle Pritzker-Preisträger durchgesehen. Peter Zumthor ist mir auch sympathisch, weil er Schreiner ist und fantas­tische Innenausbauten macht, aber er hat vielleicht nicht so die Hand für ein Serienprodukt, das hat er bisher noch nicht gemacht.
Vor sechs Jahren war ich bei Ihnen in den Möbelfabriken in Tauberbischofsheim. Damals hatten Sie den Cantilever Chair von Richard Neutra herausgebracht. Welche Erfahrungen haben Sie bei diesem Projekt gesammelt? Gibt es weitere Möbel von Neutra, die von Ihnen wieder neu produziert werden?
Wir haben die Palette noch einmal ein wenig erweitert, aber das sind Produkte für Liebhaber geblieben. Der Möbelhandel ist daran kaum interessiert, weil er sich in einer schwierigen Lage befindet. Es handelt sich um eine handwerkliche Einzelproduktion, eine Manufakturkollektion auf Anfrage.
Haben Sie zurzeit ein anderes Projekt mit einem Architekten?
Wir machen noch ein Büromöbel- und Seminartischprogramm in Naturholz mit Stefan Behnisch. Mit dem Vater Günter Behnisch hatten wir ja schon ein Schreibtischmöbel produziert.
Herr Müller, eine Frage zu Ihnen persönlich, da Sie nach 32 Jahren als Geschäftsführer aufgehört haben. Was sind Ihre Pläne?
Ich möchte einige Dinge nachholen, die privat zu kurz gekommen sind, mich aber auch intensiv um unser Firmen-Schulmuseum kümmern. Ich habe in den letzten Jahren eine fast vollständige Sammlung von Schulmöbeln von Jean Prouvé aus Frankreich, Eero Saarinen aus den USA und viele andere mehr aufbauen können. Die möchte ich mit neuem Konzept im Museum zeigen, am besten in einer kompletten Klassenzimmersituation, damit man einen Gesamteindruck von der Inneneinrichtung erhält.

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