In die Neue Altstadt damit!
Das DAM in Frankfurt liefert mit einer Ausstellung die notwendige Kontextualisierung der Altstadt-Nachempfindung zwischen Dom und Römer. Wenn die Schau schließt und abgebaut wird, braucht sie dringend einen neuen Ort, an dem sie dauerhaft gezeigt wird.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
In die Neue Altstadt damit!
Das DAM in Frankfurt liefert mit einer Ausstellung die notwendige Kontextualisierung der Altstadt-Nachempfindung zwischen Dom und Römer. Wenn die Schau schließt und abgebaut wird, braucht sie dringend einen neuen Ort, an dem sie dauerhaft gezeigt wird.
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Ganz ehrlich: Irgendwann im vergangenen Sommer ist uns angst und bang geworden ob der bevorstehenden Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum (DAM), die anlässlich der Eröffnung der sogenannten Neuen Frankfurter Altstadt für den Herbst angekündigt war. Es ist bekannt und überrascht wenig: Die Bauwelt-Redaktion stand und steht dem Lauf, den die Geschichte zwischen Kaiserdom St. Bartholomäus und Römer in jüngster Zeit genommen hat, mehrheitlich höchst skeptisch gegenüber (Bauwelt-Ausgaben 16.2017 und 2.2019). Und als dann, für uns gänzlich unerwartet, DAM-Direktor Peter Cachola Schmal, den wir immer auf „unserer“ Seite wähnten, mit der nahenden Fertigstellung des Dom-Römer-Areals seine ursprünglich strikte Gegnerschaft zu dem Stadtviertel-Nachbau relativierte, da begannen wir, uns innerlich auf das Worst-Case-Szenario einer peinlichen Jubelausstellung vorzubereiten. Eigentlich erschien so etwas bei dem Niveau, das wir vom DAM gewohnt sind und für das wir es schätzen, vollkommen abwegig. Aber wenn nun zur Eröffnung eines städtischen Großprojekts von einem Ausstellungshaus, das zwar Deutsches Architekturmuseum heißt, aber in Wahrheit ja ein städtisches Museum ist, doch einmal statt Diskurs Jubel erwartet würde? Man kann nie wissen.
Unsere Befürchtung hat sich – das sei klar gesagt – nicht bewahrheitet. Kurator Philipp Sturm wendete für seine Ausstellung einen Kunstgriff an, der es ihm erlaubte, sich nicht ausschließlich und auch nicht allzu sehr mit den zuletzt hinzugekommenen 35 alt-neuen Häuschen der Neuen Altstadt beschäftigen zu müssen: Er nahm sich die Baugeschichte der Frankfurter Altstadt in den vergangenen gut einhundert Jahren vor, „Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900“ lautet der Untertitel der Schau. Und ihr Haupttitel „Die immer neue Altstadt“ bringt unmittelbar auf den Punkt, worum es Sturm und dem DAM geht: nämlich vor Augen zu führen, dass schon immer (zumindest seit 1900) um den richtigen Umgang mit der Altstadt in Frankfurt am Main gerungen wurde. Dass zwischen Dom und Römer immer irgendetwas neu war, weil immer irgendetwas Neues hinzugekommen ist und mindestens genauso oft irgendetwas zerstört wurde – eben nicht erst bei der fast vollständigen Vernichtung des mittelalterlichen Stadtkerns im Zweiten Weltkrieg.
Folgerichtig startet die Schau mit dem Bau der Braubachstraße, dem ersten Ost-West-Durchbruch durch die Altstadt, und der Erweiterung des Rathauses, die zeitgleich projektiert wurde. Das waren städtebauliche Großprojekte, denen gleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit über hundert Altstadthäuser geopfert wurden, viele davon originär mittelalterlich. Ein im DAM präsentiertes Foto, das die Abrisse jener Zeit zeigt, könnten Ausstellungsbesucher, die die Bildunterschrift nicht lesen, durchaus mit einem Zeugnis von ersten Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg verwechseln. Natürlich sollte auch um 1900 dort, wo abgerissen wurde, Neues gebaut werden. So sind in diesem ersten Ausstellungskapitel Studien für das neue Rathaus ebenso zu sehen wie Wettbewerbsentwürfe für Fassaden der Neubauten entlang der neu geschaffenen Straße. Absurderweise führt das hundertjährige Hin und Her aus Zerstörung und Neubau dazu, dass der Rundgang durch „Die immer neue Altstadt“ exakt dort enden wird, wo er begann: nämlich bei Entwürfen für Fassaden in der Braubachstraße. Drei der zwischen 1909 und 1914 nach Entwürfen der Frankfurter Architekten Hermann Senf und Clemens Musch erbauten Häuser, die den Krieg überstanden hatten, wurden 1970 für den Bau des Technischen Rathauses abgerissen. Nach dem Abriss des Technischen Rathauses ab 2010 und der Neubebauung des Areals mit der „Neuen Altstadt“ sind sie nun wiedergekehrt, diesmal geplant von Knerer und Lang, Bernd Albers und Eckert Negwer Suselbeck.
Zwischen diesen beiden einhundert Jahre auseinanderliegenden Versionen derselben Häuser, die raffinierterweise die zwei Seiten ein und derselben Ausstellungswand bilden, liegt der Gang durch das Erdgeschoss des DAM mit zahllosen Zeichnungen, Modellen und Fotos in Kapiteln über: Maßnahmen zur „Gesundung“ der heruntergekommenen Altstadt in den Jahren derWeimarer Repubik und ihre nahtlose Weiterführung unter veränderten politischen Vorzeichen im Dritten Reich; die Frage nach dem Wiederaufbau des zerstörten Frankfurt, die bereits während des Krieges gestellt wurde: Ein Ausriss aus dem „Völkischen Beobachter“ ruft die wenig bekannte Tatsache ins Gedächtnis, dass die Nazis das Ruinenfeld der Frankfurter Altstadt nach dem „Endsieg“ hätten konservieren wollen, als „Mahnmal für die Verbrechen der Alliierten“. Direkt nach dem Krieg: Diskussionen und Wettbewerbe zum Wiederaufbau, schließlich der Wettbewerb von 1962/63,aus dem letztlich das umstrittene Technische Rathaus hervorging; natürlich darf hier ein Modell des ebenso faszinierenden wie anmaßenden Entwurfs von Josic Candilis Woods nicht fehlen – eine orthogonale, viergeschossige Struktur, die sich von der Braubachstraße bis zum Mainufer hätte erstrecken sollen. Weiter geht es mit der Rekonstruktion der Römerberg-Ostzeile und dem Wettbewerb zur Kunsthalle Schirn am Beginn der 80er Jahre. Schließlich die politischen Entscheidungen, Städtebau- und Fassaden-Wettbewerbe der letzten Jahre, denen wir die aktuelle Version des Viertels zwischen Dom und Römer verdanken.
„Die immer neue Altstadt“ liefert die absolut notwendige Kontextualisierung der Neuen Altstadt. Im DAM ist die Schau noch bis zum 12. Mai zu sehen. Welch eine Verschwendung, würde sie danach sang- und klanglos im Depot des Museums verschwinden. Deshalb die dringliche Forderung an die Stadt Frankfurt: Die Ausstellung gehört als Dauerausstellung mitten hinein in den Ort des Geschehens! In einem der 35 neuen Altstadt-Häuschen muss ein angemessener Platz für sie zu finden sein.
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