Jemand zu Hause?
Benedikt Crone sucht nach der Neubau-Seele
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Jemand zu Hause?
Benedikt Crone sucht nach der Neubau-Seele
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Es gibt viele Menschen, die wie der Autor bisher nur in Häusern wohnten, die vor 1940 gebaut wurden. Warum auch nicht? Im Alten lässt sich bis heute gut leben. Und alte Häuser gibt’s ja eigentlich auch reichlich, sie sind meist nur belegt. Daher: ein Umzug in ein Zuhause, das erst dieses Frühjahr fertig werden soll.
Wer vom Alt- in einen Neubau zieht, der fürchtet neben der doppelten Neubau-Miete nicht selten: den Verlust der Altbau-Seele. Während der Mensch (vielleicht) mit einer Seele geboren wird, kann in ein Haus eine Seele nicht einfach reingebaut werden; vielmehr wird sie als ein verketteter Kraftakt aller Nachmieter über Jahrzehnte reingelebt. Nach einer Woche im Neubau sickert allerdings die Erkenntnis durch, dassdie zurückgelassene Seele womöglich gar nicht so übernatürlich war, sondern zutiefst materiell: eine einzigartige Ansammlung an Macken, Planungsfehlern und anderen Spuren des Verwohnten. Alles, was nervt – knarrende Dielen, zugige Türen, bröckelnder Putz, dunkle Nischen – wird über die Jahre als liebenswürdiger Charakter verklärt. Die Haus-Mensch-Vermählung lässt einem auch keine Wahl, will man länger miteinander auskommen.
Eine Woche drauf die zweite Erkenntnis: Auch die Liebe zum Neubau kann verklärt werden. Das neue Heim erscheint zwar in vielem besser als das alte – der Linoleumboden mit Fußbodenheizung knarrt nicht, aber wärmt, die Wände halten jeden Dübel, die schwere Balkontür mit ihrer Dreifachverglasung verschließt vakuumdicht und die Raumaufteilung ist (im Gegensatz zu einem anderen Neubau in dieser Ausgabe) nachvollziehbar praktisch. Doch auch hier ist manches erst im Werden: Eine Bodenleiste in der Küche fehlt, der Weg zur Haustür wird noch gepflastert und im „Garten“ durchnässen Dämmplatten auf Sandbergen. Anderes hin-gegen ist nicht frei von Makel – der Fahrstuhl knirscht, eines der schönen bodentiefen Fenster hat schon einen Sprung und die Deckenhöhe zwingt dazu, Bilder so niedrig zu hängen, dass man sie vom Sofa mit dem Hinterkopf wieder abstreifen kann. Das ärgert Ungeduldige wie Perfektionisten. Es könnte aber auch der Beginn einer langen Zeit der Beseelung sein.
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