Juli_S
Jan Friedrich hat nach der Lektüre der New York Times mal wieder Richard Sennetts "Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität" aus dem Regal gezogen
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Juli_S
Jan Friedrich hat nach der Lektüre der New York Times mal wieder Richard Sennetts "Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität" aus dem Regal gezogen
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Die junge Frau, die mir entgegenkommt, heißt Julia Meyer-Senftleben, bei Facebook findet man sie unter dem Namen Jule Senft, bei Instagram postet sie als Juli_S. Sie reist gern, bevorzugt durch Südostasien, sie hört am liebsten Musik von jungen Singer-Song-Writerinnen, die vermittelten ihr das „tolle Gefühl, dass alles möglich ist, auch wenn gerade alles sch*ße läuft“, wie sie das in einem Facebook-Eintrag einmal geschrieben hat, am Tag, nachdem sie ihre Mischlingshündin Zoe hat einschläfern lassen müssen. Der betont lässig gekleidete Mann an Julias Seite heißt Paul Senftleben. Die beiden sind seit fünf Jahren verheiratet; beide haben sie an ihrem Hochzeitstag eine superprofessionell gemachte Bildstrecke bei Instagram veröffentlicht. Er nennt sich dort übrigens Senfti_1, postet aber nur selten etwas, Facebook nutzt er gar nicht. Bei Tinder sucht Paul als Scharfer_Senf gelegentlich nach einem „spontanen One-Night-Stand ohne weitere Verpflichtungen, Ihr versteht schon! *fg*“.
Mitte Januar veröffentlichte die New York Times einen Beitrag einer Journalistin, die über ein bislang unbekanntes Start-Up-Unternehmen mit dem Namen Clearview recherchiert hat. Clearview soll eine Datenbank mit mehr als drei Milliarden Fotos von Gesichtern aufgebaut haben, die sich aus öffentlich zugänglichen Bildern unter anderem von Facebook, Youtube, Twitter und Instagram speist. Über eine Software zur Gesichtserkennung werden die Fotos analysiert, zusammengestellt und mit weiteren persönlichen Daten, die im Netz zu finden sind, angereichert. In den USA sollen rund 600 Behörden, darunter das FBI, das Angebot von Clearview für Ermittlungen nutzen. Der Unternehmensgründer bestätigt, dass Clearview außerdem eine Brille entwickelt habe, deren Träger mittels Augmented-Reality-Technologie fremde Menschen auf der Straße, deren Gesichter in der Datenbank zu finden sind, identifizieren kann. Das Unternehmen plane jedoch nicht, die Brille auf den Markt zu bringen.
Sollte Clearview oder irgendjemand sonst das doch tun, dann müssen Architekten und Stadtplaner sich nicht länger Gedanken über öffentliches Leben in städtischen Räumen machen. Das gibt es dann nicht mehr (siehe oben).
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