Kein Abriss! Deutsche Schule Madrid
Das gegliederte Gebäudeensemble von Alois Giefer und Hermann Mäckler war in den sechziger Jahren ein viel beachtetes Vorzeigebeispiel modernen Schulbaus.
Text: Wandler, Reiner
Kein Abriss! Deutsche Schule Madrid
Das gegliederte Gebäudeensemble von Alois Giefer und Hermann Mäckler war in den sechziger Jahren ein viel beachtetes Vorzeigebeispiel modernen Schulbaus.
Text: Wandler, Reiner
Madrid läuft Gefahr eines seiner emblematischen Gebäude zu verlieren. Anfang Juli begann der Abriss der ehemaligen Deutschen Schule an der Avenida de Concha Espina im Norden der Innenstadt. Nur wenige Tage später stoppte das Landgericht per einstweiliger Verfügung die Arbeiten. Jetzt steht ein Rechtsstreit darüber bevor, ob der 1961 fertiggestellte Komplex, der bis vor vier Jahren Grund-, Hauptschule und Gymnasium und einige Zeit lang den Kindergarten beheimatete, schützenswert ist oder nicht.
Die neuen Besitzer des Anwesens, die religiöse Ordensgemeinschaft Hermanos de San Juan de Díos, kaufte den Gebäudekomplex als die Deutsche Schule 2015 in den Neubau von Grüntuch Ernst Architekten (Bauwelt 35.09 und 47.15) in einem Außenbezirk weiter im Norden der spanischen Hauptstadt zog. Ein Teil der alten Gebäude wurde daraufhin zu einer Schule für Personal im Gesundheitswesen umfunktioniert, der Rest sollte für Erweiterungsgebäude einer Klinik abgerissen werden.
„Als wir vom Abriss des Colegio Alemán erfuhren, waren wir überrascht. Wir gingen davon aus, dass die Schule unter Denkmalschutz steht“, erklärt Anwalt Ramón Caravaca. Er erreichte die einstweilige Verfügung und damit die vorläufige Einstellung der Abrissarbeiten im Auftrag der „Vereinigung für die Verteidigung nachhaltiger ökologischer Entwicklung“, einer kleinen sehr aktiven Initiative in Madrid.
„Der architektonische Komplex war für die spanische Hauptstadt sehr wichtig. Die Gebäude waren, als sie fertiggestellt wurden, geradezu revolutionär modern“, erklärt Mercedes Pérez-Frías. Die Architektin gehörte zu jenen Kindern, die im Schuljahr 1960/61 als Erste die neuen Gebäude bezogen. Später dann, Ende der 1970er Jahre, arbeitete sie im Architekturbüro Max Borban, das am ursprünglichen Bau der Schule beteiligt war und später Erweiterungen vornahm.„Die offene, luftige Architektur ist so etwas wie ein Paradigma für die Fortschritte der Gesellschaft in Richtung Europa. So etwas wie ein Spiegelbild dessen, was in Spanien damals passierte“, sagt Pérez-Frías. Viele in Spanien, das bis 1975 von Diktator Franco mit eiserner Hand regiert wurde, hätten Deutschland für das Aufblühen seiner Wirtschaft nach einem Krieg, in dem das Land verwüstet worden war, bewundert. Die Schule war einst der größte zivile Neubau der Bundesrepublik im Ausland und kostete sechs Millionen DM.
Abgesehen von der soziologischen Bedeutung des Baus von den Architekten Alois Giefer und Hermann Mäckler – die sich durch ihre Arbeiten im Nachkriegs-Frankfurt einen Namen machten – in Zusammenarbeit mit dem Architekten vor Ort Willy Schöbel Ungría und Otto Casser (damalige Bundesbaudirektion), ist die Deutsche Schule für Pérez-Frías natürlich auch ein wichtiges Beispiel moderner Architektur der 1950er und frühen 1960er Jahre. „Es ist ein klares Erbe der Bauhaus-Architektur: Die räumliche Aufteilung, Beleuchtung, Orientierung, Licht und Farbe, die Einfachheit der Materialien, für die Ewigkeit gebaut, ohne Extravaganzen ...“, sagt Pérez-Frías. Es ist nicht das erste Gebäude von Schöbel Ungría, das aus dem Stadtbild verschwinden soll. Vor ein paar Jahren wurde ein Studentenwohnheim in gleicher Architektursprache dem Erdboden gleichgemacht.
Das besondere an der Architektur: Jedes Element hat seine klar definierte Aufgabe. Jeder Schulabschnitt, vom Kindergarten bis zur Oberschule hat sein eigenes Gebäude. Sie sind über einen Funktionsriegel (Foto links), der das Lehrerzimmer und die Schulverwaltung beherbergte, verbunden. Die Gebäude sind perfekt an des rauhe Klima in Madrid, die kalten Winter und die heißen sonnigen Sommer, angepasst. So steht etwa der Funktionsriegel auf Stelzen. Die Fläche darunter ist Teil des Schulhofs, der so im Schatten liegt. Nennenswert ist auch der Wechsel von großen und kleinen Fenstern, die für eine gute Luftzirkulation in den Klassenräumen sorgt. Die Decken der einzelnen Geschosse ragen über die Außenmauern hinaus und bieten so Schatten an der Fensterfront. Der separat stehende Kindergarten besteht einer Bienenwabe gleich aus sechseckigen Gruppenräumen, die ein freie Anordnung der Stühle, Tische und Spielflächen erlauben. Der Boden ist mit Gummi belegt. Das durch überdachte Zonen erreichbare Toilettengebäude liegt außerhalb der Hauptgebäude zwischen Schule und Eingangsbereich. Es unterteilt so den Schulhof in zwei Teile für die Kleinen und die Oberschüler. Der Hausmeister war ebenfalls hier untergebracht. Er hatte dadurch einen perfekten Überblick über die Zugänge zum Gelände und über die Freiflächen der Schule. Insgesamt bot die Deutsche Schule Madrid auf einem 9000 Quadratmeter großen Gelände Platz für 1300 Schüler.
Die gesamte Planung wurde vor dem Bau mit der Schulgemeinde abgestimmt. Modernste pädagogische Erkenntnisse flossen in die Planung ein. Die Materialen sind einfach gehalten. Ob Beton, Kacheln oder die roten Backsteine, alles unterlag einer strengen Qualitätskontrolle. Wer nicht ordentlich lieferte, musste das Material zurücknehmen. Eine solch strikte Qualitätskontrolle war im damaligen Spanien nicht üblich. Die Heizungstechnik, die Elektrik, die Aluminiumrollos und die Sanitäreinrichtung kamen ebenso wie das Schulmobiliar aus Deutschland.
Durch den richterlichen Erfolg des Anwalts Ramón Caravaca wurde auch die Öffentlichkeit auf den Abriss aufmerksam. Ehemalige Schüler der Deutschen Schule sammeln im Internet Unterschriften für den Erhalt und für die Aufnahme in die Liste schätzenswerter Gebäude in Madrid. Zusammen mit der seit Juni amtierenden rechten Stadtverwaltung legte der Orden gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch ein. „Bis Ende September mussten sie ihre Argumente vorbringen, jetzt sind wir wieder am Zuge“, erklärt Caravaca. Er hat architektonische Gutachten in Auftrag gegeben und will Architekten und Kunstverständige das Gebäude vor Gericht verteidigen lassen. „Bis eine endgültige Entscheidung getroffen wird, kann gut ein Jahr ins Land gehen“, ist sich der Anwalt sicher.
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