Bauwelt

Britische Bodenhaftung

Benedikt Crone wird nach einem Ende der Brexit-Debatten nicht nur die Krawattenkollektion des Speakers vermissen

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Britische Bodenhaftung

Benedikt Crone wird nach einem Ende der Brexit-Debatten nicht nur die Krawattenkollektion des Speakers vermissen

Text: Crone, Benedikt, Berlin

Lange hieß es, die Digitalisierung habe das Ende der analogen Welt eingeläutet – und damit das Abrutschen der Architektur in die Bedeutungslosigkeit. Wer die Nachrichten verfolgt, wird eines Besseren belehrt. Wetterverhältnisse haben politisches Gewicht bekommen. Menschen ziehen wieder mit Schildern und Stöcken durch die Straße, um gegen Unrecht zu demonstrieren. Selbst die Wahl des Verkehrsmittels ist zum Politikum geworden. Das eindringlichste Beispiel einer anhaltenden Raum- und Architekturrelevanz bietet aber der Einfluss des gebauten britischen Unterhauses auf die Brexit-Debatte. In dem von Charles Barry und August Pugin 1836 entworfenen Saal geraten Labours und Tories in Spuckweite aneinander. Der rechteckige Grundriss mit zwei sich gegenübersitzenden Lagern wurde beim Wiederaufbau nach 1941 von Architekt Giles Gilbert Scott bewusst beibehalten. Heute führen die 427 Sitze bei 650 Abgeordneten zu einer erhöhten Quetschdichte auf den moosgrünen Lederbänken. Die Nähe zum schwitzenden Sitznachbarn erhitzt Gemüter und Debatte. Hinzu kommt das gymnastische Aufspringen, um den Wunsch einer Wortmeldung zu signalisieren. Auch die Blicknähe vom Redner zum gegnerischen Lager, begünstigt durch die abgetreppte Reihung der Sitzbänke, fördert Augenrollen und Stirnrunzeln.
Als der Konservative Phillip Lee im September die Partei wechselte, setzte er sich einfach auf die andere Saalseite. Ein Platzwechsel, dem ein politisches Erdbeben folgte. Man stelle sich diese Inszenierung im kraterartigen Plenarsaal des Bundestags vor (ein Werk des Briten Norman Foster), wo der Stuhl zunächst vom herbeigerufenen Hausmeister losgeschraubt, zur Wunschpartei getragen und dort wieder verankert werden müsste. Bis dahin wären alle Abgeordneten wohl wieder in ihr mobiles Endgerät vertieft.
Man mag weder den Brexit noch die Debatte ertragen können. Was man dem Parlament aber lassen muss: In sein Kammerspiel bezieht es die Bühnenarchitektur angemessen ein. Dass der Palace of Westminster langsam verfällt, tut der Sache keinen Abbruch. Für seine Sanierung gibt es ja noch ein paar mit der analogen Welt vertraute Planer. Diesseits und jenseits des Ärmelkanals.

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