Neue Brücken schlagen
In Bad Neuenahr-Ahrweiler wurden durch die Flut im Sommer 2021 bis auf eine Ausnahme alle Brücken zerstört. Nun wurde ein Wettbewerb zum Neubau zweier Brücken entschieden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Neue Brücken schlagen
In Bad Neuenahr-Ahrweiler wurden durch die Flut im Sommer 2021 bis auf eine Ausnahme alle Brücken zerstört. Nun wurde ein Wettbewerb zum Neubau zweier Brücken entschieden.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Das Verfahren offenbart neue Anforderungen an eine alte Bauaufgabe und zeigt: Die Abmilderung zukünftiger Flutfolgen haben wir zumindest teilweise in der Hand.
Zwischen der Ahrquelle in Nordrhein-Westfalen und ihrer Mündung in den Rhein fünfundacht-zig Kilometer weiter östlich liegt ein Höhenunterschied von etwa 420 Metern. Für Hochwasser bedeutet das einen schnellen Pegelanstieg und hohe Strömungsgeschwindigkeit. Aufzeichnungen über Fluten im Ahrtal gibt es seit dem 14. Jahrhundert. Nicht nur durch die Klimakrise, sondern von Natur aus ist das Ahrtal ein überschwämmungsgefährdetes Gebiet. Achtzig Prozent der regionalen Bevölkerung gaben nach der Flutkatastrophe 2021 an, davon nichts gewusst zu haben. Diese Fehleinschätzung ist gefährlich.
Aktuell werden statt einer ehemals angedachten, resilienten Modellregion für flutungsgefährdete Gebiete und entgegen der Warnungen von Hochwasserexperten und Architektinnen 99 Prozent der verwüsteten Gebäude in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz flussnah wiederaufgebaut – 4000 von Hochwasser bedrohte Gebäude stehen allein im Ahrkreis.
Gebaute Katalysatoren der Zerstörung waren auch die Brücken. Bisher prägten historische Rundbogenbrücken das Ahrtal, oftmals denkmalgeschützt – doch der Schutz der Bevölkerung muss über dem des Denkmals stehen. Vie-le der niedrigen Natursteinbrücken wurden während der Flut zu Wehren, hinter ihnen sammelte sich Treibgut, bis sie brachen und das Wasser in Flutwellen freigaben – sogenannte Verklausungen. Als Leitfaden für den Großteil der neuen Brücken gibt es inzwischen ein Gestaltungshandbuch, beauftragt unter anderem vom Projektbüro Wiederaufbau Ahrtal des Landesbetriebs Mobilität und der Deutschen Bahn. Als die Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler den offenen Wettbewerb „Brückenschlag“ vor einem Jahr auslobte, war das Handbuch noch nicht beschlossen und diente lediglich der Information.
Zu planen waren Frei- und Verkehrsflächen, Uferzonen und deren Befestigung sowie zwei zerstörte Brücken im Zentrum der Kreis- und Kur-Doppelstadt: die Kurgarten- und die Casinobrücke. Bereits 2020 war auf dem Gebiet eine neue Freiraumplanung angedacht, die aber nach der Flut nicht mehr funktionierte. So verbreiterte sich beispielsweise der Ahrquerschnitt, was eine Verlängerung der Brücken erfordert.
Die Gehfläche der Kurgartenbrücke war als „shared space“ ohne Bordsteine zu planen und sollte die Kapazität der alten Brücke nicht unterschreiten. Die Auslobung wünschte „den Charakter eines Boulevards“ und die barrierefreie Anbindung an Straßen- und Uferbereiche.
Auch die schmalere Casinobrücke verbindet wie ihre breitere Nachbarin Kurviertel und Innenstadt. Die Brücke war barrierefrei für den Fuß- und Radverkehr auszuarbeiten.
Schlaich Bergermann Partner aus Stuttgart und Atelier Loidl aus Berlin überzeugten mit zurückhaltenden und doch starken Stahlbrückenkonstruktionen. Pflasterbelag, Beleuchtungs- und Moblierungskonzepte der Kurpromenade setzen sich auf der Kurgartenbrücke fort. Die lange Holzbank mittig der Flussquerung kann bei Hochwasser entfernt, das Stabgeländer umgeklappt werden. Die Brücke liegt wesentlich höher als ihre Vorgängerin, was neben dem sich verjüngenden Querschnitt zur Flussmitte hin der Verklausung entgegenwirkt. Die Casinobrücke mit perforierter, mittragender Cortenstahlbalustrade kann sich durch Hubzylinder bei Flut über die Hochwassermarke erheben. Der im Entwurf beschriebene Anspruch an die Klimaökologie ist laut Jury durch den hohen Versiegelungsgrad allerdings nicht eingelöst.
Die „weißen Brücken“ von Sterling Presser Architects + Engineers und RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten überzeugten durch ihre robuste Konstruktion. Das zweitplatzierte Brückenpaar ist in filigran anmutender, stromlinienförmiger Spannbetonbauweise ausgebildet. Bilden die Bauwerke zwar eine Einheit, so erachtete die Jury die Konstruktionsweise für die Casinobrücke nicht als angemessen; die Einbindung des nördlichen Brückenkopfs sei nicht gelungen. Der Vorschlag einer gastronomischen Nutzung im Böschungsbereich stieß ob der Hochwasser-ereignisse auf Irritation, zumal ein Verzicht darauf einen geringeren Versiegelungsgrad bedeutet.
Das „selbstverständliche Bewegen aller Verkehrsteilnehmer“ über die Uferzonen und Brücken, in der Arbeit der Gemeinschaft aus Nu_Architecture und Agence Ter.de Landschaftsarchitekten würdigte die Jury mit dem dritten Platz. Die Arbeit verstehe Stadtraum und Flusslandschaft als Einheit, was allerdings auch bedeute, dass die recht niedrig liegenden Brücken im Hochwasserfall hydraulisch angehoben werden müssen. Die Jury beurteilte dies als zu teuer und wartungsintensiv.
Es ist zu hoffen, dass neue Brücken den Menschen im Ahrtal die Gewohnheit zurückgeben, den Fluss zu queren und mit ihm zu leben. Zukünftige Planungen müssen die neuen Bedingungen dieses Lebens anerkennen. Nächste notwendige Wettbewerbsaufgaben wären das Planen von Wasserrückhaltebecken und der Renaturierung trockengelegter Nebenarme der Ahr.
Offener, zweiphasiger Realisierungswettbewerb
1. Preis schlaich bergermann partner, Stuttgart und Atelier Loidl Landschaftsarchitekten, Berlin
2. Preis Sterling Presser Architects + Engineers, Berlin und RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten,Bonn
3. Preis Nu_Architecture, Paris und Agence Ter.de Landschaftsarchitekten, Karlsruhe
Anerkennung bfr lab Architekten und Grow Landschaftsarchitektur, beide Köln
Anerkennung Ramboll Deutschland, München/Hamburg und Greenbox, Köln
Ausloberin
Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, vertreten durch die Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler
Fachpreisgericht
Alfred Bach, Gregor Bäumle (Vorsitz), Matthias Pfeifer, Jochen Schuh, Thomas Wirth
Verfahrensbetreuung
Hille Tesch Architekten + Stadtplaner, Ingelheim
1. Preis schlaich bergermann partner, Stuttgart und Atelier Loidl Landschaftsarchitekten, Berlin
2. Preis Sterling Presser Architects + Engineers, Berlin und RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten,Bonn
3. Preis Nu_Architecture, Paris und Agence Ter.de Landschaftsarchitekten, Karlsruhe
Anerkennung bfr lab Architekten und Grow Landschaftsarchitektur, beide Köln
Anerkennung Ramboll Deutschland, München/Hamburg und Greenbox, Köln
Ausloberin
Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, vertreten durch die Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler
Fachpreisgericht
Alfred Bach, Gregor Bäumle (Vorsitz), Matthias Pfeifer, Jochen Schuh, Thomas Wirth
Verfahrensbetreuung
Hille Tesch Architekten + Stadtplaner, Ingelheim
0 Kommentare