Städtebaulicher Wettbewerb zum großen Berlin und zu Brandenburg
Wie sieht die Zukunft der Metropolregion Berlin aus? Ein vom Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg AIV ausgelobter internationaler Wettbewerb blickt 50 Jahre nach vorne und sucht Perspektiven für die Transformation. Die Ergebnisse sind enttäuschend. Die Fixierung auf „Realismus“ und massive Verdichtung sind Ausdruck einer Haltung, die sich der dringlichen Auseinandersetzung mit neuen städtischen Lebensmodellen verweigert.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Städtebaulicher Wettbewerb zum großen Berlin und zu Brandenburg
Wie sieht die Zukunft der Metropolregion Berlin aus? Ein vom Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg AIV ausgelobter internationaler Wettbewerb blickt 50 Jahre nach vorne und sucht Perspektiven für die Transformation. Die Ergebnisse sind enttäuschend. Die Fixierung auf „Realismus“ und massive Verdichtung sind Ausdruck einer Haltung, die sich der dringlichen Auseinandersetzung mit neuen städtischen Lebensmodellen verweigert.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
„Internationaler Wettbewerb Berlin Brandenburg 2070“ – so der Titel des städtebaulichen Wettbewerbs, den der AIV und eine Reihe von Partnern 2019 auslobten und dessen Ergebnisse jetzt im Kronprinzenpalais Unter den Linden zu sehen sind. Ein Blick weit in die Zukunft also, und ein umfassender Auftrag an die Teilnehmer, sich über die europäische Metropolregion Berlin-Brandenburg, ihre mehr als 30.000 Quadratkilometer und 6 Millionen Einwohner, Gedanken zu machen. Der Wettbewerb wurde parallel zur Konzeption einer Ausstellung über die letzten 100 Jahre Berliner Großstadtplanung durchgeführt. Aus ihr gewinnt er seine Orientierung. Ausgangspunkt der Ausstellung ist der Wettbewerb „Groß-Berlin“ aus dem Jahr 1910 und die Großstadtwerdung Berlins am 1. Oktober 1920. Von diesem Fixpunkt aus verfolgt die opulente Schau (Besprechung kommt in Heft 22.2020) die wechselvolle und häufig widersprüchliche Berliner Großstadtplanung bis in die Gegenwart. Der Wettbewerb hingegen will „Fragen des Bauens und Planens von morgen öffentlich diskutieren“. Der großmaßstäbliche territoriale Ansatz des Wettbewerbs verlangte von den Teilnehmern einen Spagat zwischen regionalplanerischem Großraumdenken und architektonisch-stadträumlicher Konkretisierung, das heißt: außer einem Gesamtkonzept für Berlin-Brandenburg die Auswahl und Bearbeitung von drei Teilräumen. Gefragt war eine „nachhaltige städtebauliche Ordnung des Wachstums der Großstadtregion.“ 55 Teilnehmer beteiligten sich an dem zweistufigen Wettbewerb, 18 kamen in die zweite Runde, 5 von ihnen wurden prämiert.
Die Preisträger
Der 1. Preis ging an Bernd Albers, Silvia Malcovati und Günther Vogt und ihr Konzept „Zusammenwachsen – Landschaf(f)tStadt“. Der Beitrag fußt auf einer Planungsauffassung, die die 90er Jahre in Berlin geprägt hat und setzt diese eingängig fort. Er platziert in den drei untersuchten Teilräumen Folgen von meist gleichen Baublöcken, die – soweit sie Berlin betreffen – einer 2.0-Phase des Planwerks Innenstadt entstammen könnten. Nur eben in Zukunft dichter, höher und enger. Bei der Ausstellungseröffnung erläuterte es der Vorsitzende des AIV, Tobias Nöfer so: Die Bewohner würden mehr Enge und Dichte gerne tolerieren, wenn diese dem Konzept einer „schönen und lebenswerten Stadt“ folgten. Jene präsentiert sich bei diesem Vorschlag als möglichst homogene Abfolge aus geschlossenen Blocks, Straßen und Plätzen. Bei ihrem Teilbereich entlang der Berliner Stadtautobahn südlich des ehemaligen Flughafens Tempelhof etwa fädeln die Preisträger Blockformationen entlang der bisher teils unbebauten Ränder der Schnellstraße auf, mit geometrischer Regelmäßigkeit und in investorenfreundlicher Dichte. Ein Aufgreifen der in der Nachbarschaft vorhandenen kleinteiligen Typologien erfolgt nicht. Die intendierte Großstadtarchitektur wird dem Ort übergestülpt. Der Entwurf entwickelt sein Vokabular aus einem räumlichen Werkzeugkasten, der politisch-ökonomische Rückendeckung garantiert, weil die gleichförmig großen Blöcke schnell und einfach umzusetzen wären. Die Zwischenräume der massiven Bebauung sind begrünte Resträume. Die kilometerlange Straße, die die Blockreihen mittig zusammenhält, endet im Westen wie mit der Axt abgehackt, am Tempelhofer Damm mündet sie in einer Hochhausformation. Dort, wo der 1. Preis diesen Ansatz in die Region übersetzt, verfolgt er die Verlängerung des bestehenden Siedlungssterns entlang der Schienenstränge mit Erhaltung der grünen Zwischenräume. Existierende Strukturen werden ergänzt und verdichtet und, so die vermutete Wachstumsperspektive 2070, Wohnraum für eine Million zusätzliche Bewohner geschaffen.
In eine ähnliche Bresche springt der 3. Preis von Marc Jordi, Susanne Keller und Alexander Pellnitz. Die Metropolregion wird hier vor allem im umliegenden Städtekranz verdichtet, wobei die Planer von einer Verdoppelung (!) der Bevölkerung bis 2070 ausgehen. Im Berliner Stadtzentrum werden die Blockstrukturen mithilfe einer Schwarzplan-Konzeption – nach dem Prinzip eines strikten Gegenübers von geschlossenen Bauformen und offenen Stadträumen – weiter verdichtet. Wie wenig sich diese Arbeit mit dem aktuellen Nachdenken über städtebauliches Upcycling, neue Programme und Quartiersbeteiligung auseinandersetzt, zeigt sich am Beispiel der intendierten Nachverdichtung der Berliner Stadtmitte: das aktuelle Berliner Vorzeigeprojekt „Haus der Statistik“ rund um die Plattenbauten nordöstlich des Alexanderplatz (Heft 8.2019) wird einfach abgerissen zugunsten einer Blockbebauung nach Maßgabe des 19. Jahrhunderts.
Der 2. Preis von Kopperoth, SMAQ, Alex Wall und Stefan Tischer konzentriert sich auf die Übergangszonen von Stadt und Landschaft und behandelt diesen „Saum“ zwischen Berlin und Brandenburg als vordringliche Zukunftsaufgabe. Für diese Stadtlandschaft haben die Entwurfsverfasserinnen bauliche Cluster entwickelt, in denen sich Landwirtschaft, private wie genossenschaftliche Wohnbebauung und Flächen für Energieversorgung die Waage halten. Die zukünftige Metropole, so die Idee, kann sich nur aus der Landschaft heraus entwickeln.
Auch der 4. Preis von Thomas Stellmach mit dem Büro fabulisme und Lysann Schmidt geht von der künftigen Entwicklung des Landschaftsraums und der Grünräume der Stadt aus. Ein Netz von reaktivierten und neu angelegten Wasserwegen ergänzt den bisherigen Siedlungsstern und die dazwischenliegende Grünstruktur. Verwegen wirkt der Vorschlag dort, wo das Prinzip der Wasserwege auf das Teilgebiet Kreuzberg übertragen und der Bereich nördlich des Urbanhafens in eine niederländische Kanallandschaft transformiert wird. Der 5. Preis schließlich ging an den Madrider Architekten Pedro Pitarch, der eine Art Revival eines Ungerschen Inselurbanismus mit architekturhistorisch signifikanten Versatzstücken propagiert.
Man darf sich wundern über die Debatten in der Jury, die ein derart widersprüchliches Ideenkonglomerat zwischen Zukunftsorientierung und Fortführung des Status quo prämiert hat. Der 1. und der 3. Preis bestimmen die Zielrichtung des Wettbewerbs, „in der Beschränkung“ zeige sich „der Meister“. Es geht um die Verdichtung der Hauptstadtregion. Dabei spielen die dringlichen Fragen der aktuellen europäischen Metropolendebatte, die im Zeichen der Coronakrise wie nie zuvor auf den Nägeln brennen, so gut wie keine Rolle: Welche neue Aufgaben muss der öffentliche Raum bewältigen? Wie funktioniert der soziale Ausgleich zwischen den unterschiedlich prosperierenden Stadtrandbezirken? Wie lässt sich eine stadtverträgliche Industrie integrieren, die es erlaubt Wohnen und Arbeiten näher zusammenzubringen? Wie lassen sich Raumkonzepte für ein bezahlbares Wohnen anhand von beispielhaften Clustern umsetzen, bei denen auch Genossenschaften die Federführung für die Quartiersentwicklung übernehmen? Welche neuen Stadträume entstehen im Umfeld der für Berlin lebenswichtigen Wissenschaftsstandorte? Wie kann die Digitalisierung in den Umlandgemeinden eingesetzt werden, um den Städtekranz besser miteinander zu verknüpfen? Welche Rolle soll die „Stadt von unten“ bei der Konzeption städtischer Nachbarschaften spielen? Diese Fragen werden von den prämierten Arbeiten weder vordringlich thematisiert noch beantwortet. Allein die fantastische Ressource der Berliner Landschaft für die Umlandentwicklung wird im 2. und 4. Preis mit neuen Ideen unterlegt.
Keine Ideen für den Speckgürtel
Schließlich die in den nächsten Jahren entscheidende Frage nach dem Stadtrand, der Peripherie. Der Berliner Speckgürtel ist kein eigentliches Ziel dieses Wettbewerbs gewesen. Wenn aber dort, an den Rändern der Metropole, wo momentan die Auseinandersetzung zwischen einem investorengetriebenen Laissez-faire der Bebauung und einer möglichen programmgesteuerten Konzeptentwicklung – die vor allem dem ideenlosen Wohnungsbau aus der Klemme helfen muss –, in seine entscheidende Phase tritt, keine habhaften Ideen aus dem Wettbewerb abzuleiten sind, worin liegt dann der Sinn einer Perspektive 2070? Welche Zwischenschritte wären zu einem nachhaltigen Stadtumbau der Hauptstadtregion in 10, 20, 30, 40 Jahren sinnfällig? Die Frage wird nicht einmal gestreift, Phasenpläne waren laut Ausschreibung nicht gefordert. Stattdessen haufenweise düstere Plangrafik und eine eindeutige Botschaft: Städtebau wird auch im Jahr 2070 von Experten gemacht.
Berlin als europäische Großstadtregion
Die Veranstalter weisen auf den europäischen Kontext hin, in dem sich die Metropolregion entwickelt und sehen Berlin in einer Reihe mit Moskau, Paris, Wien und London, deren Planungsgeschichte in den letzten 100 Jahren in der parallel gezeigten Ausstellung aufgeblättert wird. Die aktuelle Entwicklung und ihre Dynamik wird nur angedeutet. Die neuen Steuerungsinstrumente, mit denen es beispielsweise der Stadt Wien gelingt, innovativen Wohnungsbau auch mit privaten Entwicklern in Kerngebieten wie dem Südbahnhof umzusetzen, werden nicht analysiert.
Der AIV lobt den 1. Preis als „realistischen Vorschlag“. Darin ist ihm Recht zu geben. Realismus ja. Mit großen Plänen wird auf einen „Zielzustand 2070“ hingesteuert, der dem Extrapolieren eines von der aktuellen Immobilienentwicklung bestimmten Weiter-So entspricht. Aufbruchsstimmung ist nirgends zu sehen. Aber die Enttäuschung über die vertane Chance dieses Wettbewerbs ist im Grunde nicht an den AIV zu richten. Das Programm, das der Verein auf die Beine gestellt hat, Wettbewerb plus Ausstellung plus Gesprächsprogramm, ist eine Leistung, die Respekt verdient. Zumal sich der AIV über Lottogelder und private Sponsoren auch um die Finanzierung dieser Kraftanstrengung kümmern musste.
Die Kritik geht an das Land Berlin, das über die Stadtforen hinaus die vielen offenen Knoten zur Zukunft der Stadtentwicklung längst hätte zusammenbinden und für ein unabhängiges Architekturzentrum hätte sorgen müssen, an dem diese Fragen diskutiert würden. Die biedere Visionslosigkeit, die dieser Wettbewerb sichtbar macht, zeigt vor allem dies: In Berlin fehlt eine unabhängige, international anerkannte Institution, die Woche für Woche die Debatten über die Form der künftigen Stadt und ihre Architektur anstößt und kritisch moderiert.
Internationaler Städtebaulicher Ideenwettbewerb
1. Preis Bernd Albers und Silvia Malcovati, Berlin, Potsdam, mit Vogt, Zürich, Berlin, und Arup, Berlin
2. Preis Kopperroth/SMAQ, Berlin, und Alex Wall mit Stefan Tischer
3. Preis Jordi & Keller/Pellnitz, Berlin, mit Christina Kautz und Ludwig Krause
4. Preis Thomas Stellmach/fabulism, Berlin, L. Schmidt, M. Gómez), M. Andreas, F. Strenge
5. Preis Pedro Pitarch, Madrid
Jury
Fachpreisrichter: Arno Lederer, Christoph Metzger, Hans Kollhoff, Jo Coenen, Miroslav Šik, Reiner Nagel, Silke Weidner, Birgitte Bundesen Svarre, Cornelia Müller (1. Phase).
Sachpreisrichter: Harald Bodenschatz, Katrin Lompscher, Markus Tubbesing, Tobias Nöfer, Wolfgang Schuster, Benedikt Goebel, Guido Beermann, Melanie Semmer, Peter Lemburg.
Sachverständige: Carlo Becker, Manfred Kühne
Auslober
Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV)
1. Preis Bernd Albers und Silvia Malcovati, Berlin, Potsdam, mit Vogt, Zürich, Berlin, und Arup, Berlin
2. Preis Kopperroth/SMAQ, Berlin, und Alex Wall mit Stefan Tischer
3. Preis Jordi & Keller/Pellnitz, Berlin, mit Christina Kautz und Ludwig Krause
4. Preis Thomas Stellmach/fabulism, Berlin, L. Schmidt, M. Gómez), M. Andreas, F. Strenge
5. Preis Pedro Pitarch, Madrid
Jury
Fachpreisrichter: Arno Lederer, Christoph Metzger, Hans Kollhoff, Jo Coenen, Miroslav Šik, Reiner Nagel, Silke Weidner, Birgitte Bundesen Svarre, Cornelia Müller (1. Phase).
Sachpreisrichter: Harald Bodenschatz, Katrin Lompscher, Markus Tubbesing, Tobias Nöfer, Wolfgang Schuster, Benedikt Goebel, Guido Beermann, Melanie Semmer, Peter Lemburg.
Sachverständige: Carlo Becker, Manfred Kühne
Auslober
Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV)
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