Treten Sie ein!
Anfang September wurde in Kiel die Eröffnung eines neuen Diskursraums gefeiert: Das Baukulturforum soll die anstehenden städtebaulichen Umwälzungen vermitteln helfen. Es könnte ein Vorbild werden für alle Städte, in denen Wachstum nicht nur in Zahlen, sondern auch in Qualität gedacht wird.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Anfang September wurde in Kiel die Eröffnung eines neuen Diskursraums gefeiert: Das Baukulturforum soll die anstehenden städtebaulichen Umwälzungen vermitteln helfen. Es könnte ein Vorbild werden für alle Städte, in denen Wachstum nicht nur in Zahlen, sondern auch in Qualität gedacht wird.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Veranstaltungen im Rahmen des Berliner „Stadtforums“ der neunziger Jahre sind mir noch lebhaft im Gedächtnis: Nicht selten drohten damals die Räumlichkeiten aus allen Nähten zu platzen, egal, ob nun der Berlin-Pavillon oder der Saal im Staatsratsgebäude Ort der Zusammenkunft war. Als im Ruhrgebiet Studierender war ein derartig großes Interesse an Fragen der Stadtentwicklung und Baupolitik für mich überraschend: Wenn in Dortmund ein überregional bedeutsames Baudenkmal wie Walter Höltjes Stadt- und Landesbibliothek für ein an Banalität nicht zu überbietendes Geschäftshaus gesprengt wurde, interessierte das kaum jemand, und wenn der damalige OB Günter Samtlebe den wenigen Gegnern dieses institutionell begleiteten Vandalismus entgegenschleuderte, er wolle noch viel mehr Baudenkmäler abreißen lassen, um Platz für den Fortschritt zu schaffen, regte sich auch darüber niemand auf. Alte Geschichten, gewiss. Interessant daran in diesem Zusammenhang aber ist die Frage, warum die Bürger in der einen Stadt Interesse zeigen an der baulichen Entwicklung ihres Gemeinwesens und in der anderen nicht, und auf welche Weise sich Beteiligung und Dialog fördern lassen, soweit dies denn von Politik und Verwaltung gewünscht sein sollte.
Warum ich mich an diese unterschiedlichen Erfahrungen überhaupt erinnere, verdankt sich einer Initiative in Kiel. Am 4. September wurde dort das „Baukulturforum“ eingeweiht – ein Ort, an dem über städtische Planungen wie private Projekte informiert und gestritten, an dem das Engagement von Bürgern, Verbänden und Institutionen verknüpft werden kann. Der gemeinnützige Verein ist, nach ähnlichen Einrichtungen in Bremen und Dresden, das dritte derartige Forum bundesweit, und schon jetzt kann man anderen Städten nur raten, das Kieler Beispiel wahrzunehmen, ist die Lage doch vielerorts ähnlich: Selbst auf jahrzehntelang brachliegenden Flächen steigt der Entwicklungsdruck aufgrund des Niedrigzinsniveaus und der daraus erwachsenden, globalen Suche von Anlegern, ihren Reichtum gewinnbringend zu platzieren; aus den gleichen Gründen herrscht zunehmend Erneuerungsbedarf im Bestand, gestützt auch von politisch gesetzten Klimazielen (so wenig ehrgeizig sie auch immer sein mögen). Auf der anderen Seite drohen Wohnungsmärkte durch immer hitzigere Miet- und Kaufpreissteigerungen zu kollabieren und innerstädtische Einzelhandelsstrukturen unter der Konkurrenz des Online-Versandhandels zu zerbrechen. Und über allem wölbt sich die Aufgabe, die städtische Verkehrspolitik neu zu justieren, was auch die Neuverteilung des öffentlichen Raums, von Autostraßen, Gehwegen, Parkflächen, Fahrradwegen bedeutet: Es geht also darum, den ideologisch schon lange vollzogenen Abschied vom Leitbild der autogerechten Stadt endlich konsequenter als nur ansatzweise in Stadtentwicklung umzusetzen. Dafür braucht es nicht weniger als ein neues Selbstbild der Stadt, eine neue Verständigung über ihre „Identität“; ein Begriff, den Planer und Bürger nicht scheuen müssen, nur weil ihn neue und alte Populisten bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit im Mund führen – jene wissen mit ihrer verkürzten Sicht auf die Realität die komplexen Aufgaben am allerwenigsten zu gestalten. Aber so viel ist auch klar: Ohne Beteiligung, besser noch Mitwirkung der Bürger wird sich diese Gestaltung, diese Neuverhandlung des Städtischen, nicht ins Werk setzen lassen, zumal vielerorts die Verwaltungen in den Jahrzehnten des Marktliberalismus bis zur Handlungsunfähigkeit abgebaut worden sind und manch kommunaler Haushalt trotz des langjährigen wirtschaftlichen Booms noch immer klamm dasteht.
Ein Ort wie das Baukulturforum bietet nun immerhin eine Chance, die Gestaltung von Prozessen und Verfahren gesellschaftlich zu verankern, um Ideen zu verhandeln und vielleicht sogar zu gebären, und wie die Veranstaltungsreihe „Kieler Perspektiven“ mit ihrem diesjährigen Oberbegriff „Identität“ zeigt, wird die Zukunft der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt alles andere als retro-selig gedacht: „Utopie als Wegbereiter von Identität“ lautete der Titel des Vortrags zur Eröffnung des Baukulturforums; Referent war Jan Knikker vom niederländischen Architekturbüro MVRDV, das auch in Kiel tätig ist (s. nächste Seite). Die Idee zu dem neuen Diskursraum brachte Doris Grondke, seit Juni 2017 Stadträtin für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt und Erste Vorsitzende des Forums, schon zu ihrem Amtsantritt nach Kiel mit; ohne Gegenstimme, aber mit Enthaltung der Fraktionen von CDU und AfD, hat der Rat der Stadt die Einrichtungdes Forums im November letzten Jahres beschlossen. Wie der Andrang auch zur Einweihung wieder zeigte, nachdem schon bei den beiden vorangegangenen Veranstaltungen im Januar und im März, als das Forum gegründet und seine Satzung verabschiedet wurde, kaum genug Platz im Ratssaal für alle Interessierten war, dürsten die Kieler geradezu nach einem stadtbaukulturellen Aufbruch.
Verdenken kann man es ihnen nicht – im Grunde gab es seit den Olympischen Sommerspielen 1972, als in Kiel die Segel-Wettkämpfe ausgetragen wurden, und den damit enger und loser verbundenen Bauprojekten (Olympiazentrum Schilksee, Umgestaltung Alter Markt, Audimax der Universität) nicht mehr viel Anlass, Kiel unter Aspekten der Stadtentwicklung und Baupolitik überregional wahrzunehmen. Jetzt aber besteht allemal Bedarf an einem solchen Forum. Nach Jahrzehnten der Stagnation wird plötzlich geplant und gebaut, was das Zeug hält. Die Bandbreite der Projekte vermag die ganze Stadt in Atem zu halten bzw. in Baustaub zu hüllen. Die Liste beginnt mit der Notwendigkeit, die Situation am Alten Markt, dem Herz des kleinen, mittelalterlichen Stadtkerns, weiterzuentwickeln, nachdem die dortigen prismatischen, einst vom Architekten Wilhelm Neveling in Anlehnung an die mittelalterliche Raumstruktur geplanten Restaurant- und Ladenpavillons nach langen Diskussionen im letzten Jahr unter Denkmalschutz gestellt worden sind; sie enthält Fragen, auf welche Weise der öffentliche Raum neu gedacht werden kann, wie mit dem Freilegen des Kleinen Kiel-Kanals bereits geschehen und mit dem Wettbewerb zur Neugestaltung der Fußgängerzone Holstenstraße im nächsten Jahr ein gro-ßes Thema; sie greift aus über die Planungen für die „Kiellinie“, also die Wasserkante der Stadt, und springt von dort auf die Ostseite der „Hörn“, wo ehemalige Werft- und Hafenflächen für Forschungs- und Bildungseinrichtungen ebenso wie Wohnquartiere entwickelt werden. Die Liste enthält aber auch reichlich Schwarzbrotbrocken, etwa die Auflösung des Sanierungsstaus in den städtischen Bauten, zuvorderst den Schulen, die unter all dem Spar- und Schrumpfdebattenzwang der letzten zwei Jahrzehnte kaum Pflege erfahren haben, und sie enthält performative Aspekte der Stadt, ihrer Bauten wie ihrer Räume: Denn in Kiel boomt der Kreuzfahrttourismus und spült Touristenmassen in die Stadt, die bislang allerdings eher selten den Weg auch in das direkt ans Terminal angrenzende Stadtzentrum finden, weil sie stattdessen von Bussen in die Einkaufszentren der Peripherie verbracht werden, um dort Geld auszugeben, bis ihr schwimmendes Hotel wieder die Anker lichtet.
Doch nicht nur solch große, die Stadt grundsätzlich verändernde Planungen müssen diskutiert werden, es geht auch um eine neue Sensibilität für die kleinen Dinge der Stadtgestalt. Wer heute nach Kiel kommt, muss feststellen, dass der Stadt neben dem quantitativen Wachstum, neben Neubau und Verdichtung, unbedingt auch eine qualitätvolle Weiterentwicklung ihres Bestands zu wünschen ist – gerade dafür aber braucht es viele „sehende Augen“, viele baukulturell interessierte Bauherren, viel Offenheit für Anregungen von außen und Neugier für Blicke über die Mauern der Stadt. Deren Lage ist ja famos, so direkt an der Kieler Förde, von Binnengewässern gegliedert und drumherum auf sanfte Hügel gebettet, und auch ihr Wiederaufbau nach den starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg schuf durchaus Ansehnliches. Woran es an vielen Stellen fehlt, gerade im Stadtzentrum, ist aber eine gewisse Feinheit der Details – gerade diese sind oft entscheidend für die Wirkung einer Stadt. In der Fußgängerzone etwa ist der partielle Eindruck von Schäbigkeit nicht allein den Angeboten geschuldet, die nicht durchweg hochklassig sind (und auch nicht sein müssen), sondern auch und mehr noch der lieblosen Gestaltung von Einzelheiten. Grobschlächtige Fensterprofile aus Kunststoff, Türen wie aus dem Baumarkt, Beleuchtungs- und Werbeanlagen ohne formalen Anspruch, monströse Fassadenverkleidungen und Vordächer, die das ursprünglich so feingliedrige Stadtbild aus den fünfziger Jahren im Lauf
der letzten vier Jahrzehnte zunehmend verunklart und ins Gewöhnliche gezogen haben, bieten wenig Grund zu verweilen und das Auge schweifen zu lassen. Der Wettbewerb wird hier hoffentlich Abhilfe schaffen.
der letzten vier Jahrzehnte zunehmend verunklart und ins Gewöhnliche gezogen haben, bieten wenig Grund zu verweilen und das Auge schweifen zu lassen. Der Wettbewerb wird hier hoffentlich Abhilfe schaffen.
Dabei wissen die Kieler durchaus, wie es geht – dies zeigte sich am Abend des 4. September in der Turnhalle der ehemaligen Lehrerbibliothek in der Waisenhofstraße: Das Baukulturforum darf sich freuen über einen Raum, in den man sich umstandslos verlieben kann. Das 1904/06 nach Plänen des Architekten Pregyn vom Städtischen Hochbauamt errichtete Backstein-Gebäude steht seit 1995 unter Denkmalschutz und befindet sich in städtischem Besitz – eine gute, weil mietfreie Ausgangslage, um hier künftig Ausstellungen, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Wettbewerbsjuries und -präsentationen durchzuführen. Die Adresse ist zwar nicht ganz so symbolträchtig, wie es einer der Pavillons auf dem Alten Markt gewesen wäre, die Grondke zunächst als Standort des Baukulturforums im Blick hatte, aber nicht minder zentral, direkt hinter dem Rathaus. Das einzige, was hier zu vermissen ist, ist Ausstrahlung in den öffentlichen Raum: Die Chance, zufällig Vorbeikommende anzulocken, wäre in einem der Neveling-Pavillons ungleich größer gewesen. Sei’s drum. Die Umbau- und Renovierungskosten des zuvor von einer Flüchtlingsinitiative genutzten Gebäudes hielten sich mit 250.000 Euro in Grenzen; einen barrierefreien Zugang zu schaffen sowie eine Bar einzubauen, waren schon die größeren der erforderlichen Maßnahmen. Nächste Gelegenheit, den neuen, alten Raum in Aktion zu erleben, ist am 22. Oktober: Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe diskutieren Caroline Nagel vom Kopenhagener Architekturbüro Cobe und Otto Flagge, Kiels ehemaliger Stadtbaurat, unter dem Titel „Identität 2.0“ über Infrastruktur und Konversionsflächen, öffentlichen Raum und Vergessen, neue und alte Orte und ihre Bedeutung für die Stadt. Anmeldung unter: perspektiven@kiel.de
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