Bauwelt

Zwischen Spiel, Stadt und Spannung

Mit dem Kunstparkour auf dem Parkplatz des Berliner Gropius Baus setzt das Haus den Fokus auf das Thema Spiel und dessen gesellschaftliche Bedeutung.

Text: Rost, Sandra, Nürnberg

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    Die Open-Air-Wanderausstellung „The Play­ground Project“ zeigt 100 Jahre Spielplatzgeschichte.
    Foto: Berliner Festspiele/Camille Blake

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    Die Open-Air-Wanderausstellung „The Play­ground Project“ zeigt 100 Jahre Spielplatzgeschichte.

    Foto: Berliner Festspiele/Camille Blake

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    Der Lozziwurm ist eine Spielplastik aus den 1970er Jahren.
    Foto: Berliner Festspiele/Camille Blake

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    Der Lozziwurm ist eine Spielplastik aus den 1970er Jahren.

    Foto: Berliner Festspiele/Camille Blake

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    Die Arbeit „Play for Today“.
    Foto: Berliner Festspiele/Camille Blake

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    Die Arbeit „Play for Today“.

    Foto: Berliner Festspiele/Camille Blake

Zwischen Spiel, Stadt und Spannung

Mit dem Kunstparkour auf dem Parkplatz des Berliner Gropius Baus setzt das Haus den Fokus auf das Thema Spiel und dessen gesellschaftliche Bedeutung.

Text: Rost, Sandra, Nürnberg

Wenn man in einem kleinen Dorf aufwächst, liegt das wahre Spektakel eines Zuhauses vor dessen Tür: der Spielplatz. Er ist nur ein paar Kinderschritte entfernt. Die Nachmittage nach der Grundschule, die Langeweile der Sommerferien und die Abenteuer der kindlichen Fantasien finden dort statt. Irgendwann besucht man ihn unwissentlich zum letzten Mal. Diese Erinnerungen ans Spielen sammeln wir alle. Der Berliner Gropius Bau möchte hier Abhilfe leisten: In Zukunft soll das Thema Spiel einen Schwerpunkt des Ausstellungshauses bilden. Aktuell wird gemeinsam mit der Künstlerin Kerstin Brätsch an einem permanenten, kostenlosen Spielort im Westflügel des Erdgeschosses gearbeitet, der ab September für alle Familien und Besuchende zugänglich sein wird. Als Auftakt dieses Schwerpunktes kann man noch bis zum 14. Juli den kostenlosen Kunstparkour „Radical Playgrounds: From Competition to Collaboration“ besuchen. Kuratiert von Joanna Warsza und Benjamin Foerster-Baldenius dient er als Beitrag zum Kunst- und Kulturprogramm der Europameisterschaft des Männerfußballs im Sommer 2024.
Welche sportlich-kreativen, vielleicht künstlerisch inspirierten Alternativen können wir der fortschreitenden Kommerzialisierung und den immer dominanteren Vermarktungsmechanismen entgegensetzen? Ganz zu schweigen von Korruptionsskandalen und Menschenrechtsverletzungen, die zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit Spitzensport und Profifußball führen. Radical Playgrounds möchte eine Antwort bieten, indem neue, imaginative und kollaborative Räume geschaffen und die Unterschiede zwischen den Konzepten Wettkampf und freies Spiel aufgezeigt werden. Siebzehn begeh- oder benutzbare Kunstwerke verschiedener
internationaler Künstler sowie fünf Pavillons von raumlaborberlin eröffnen den Diskurs im Gropius Hain. Mit einer barrierearmen Passarelle entstand ein Rundgang, der in Workshops, Veranstaltungen und Performances erweitert und umgestaltet werden kann – vor allem mithilfe der Besuchenden.
Wer sich vom Potsdamer Platz aus der eigentlich als Parkplatz genutzten Fläche nähert, hört bereits früh die Geräuschkulisse aus Kinderlachen und Gesprächen. Auf den ersten Blick findet sich ein Potpourri aus Holzarchitekturen, die von konsumfreiem Aufenthalt über Informationsvermittlung bis hin zu vielfältigem Mitmachen verschiedene Programme bieten. Auf den zweiten Blick entdeckt man unter anderem einen Wasserbrunnen mit Bademöglichkeit, einen pyramidalen Heuhaufen und eine Halfpipe auf umgedrehten Autos, die somit alle Spielplatzwünsche erfüllen
Angezogen von einer mit buntem Stoff bespannten und ineinander verschnittenen Holzkonstruktion, zeigt die von der Stadtplanerin Gabriela Bulkhalter kuratierte Open-Air-Wanderausstellung „The Playground Project“ 100 Jahre Spielplatzgeschichte, überwiegend aus Europa. Hindurch schlängelt sich der Lozziwurm – eine Spielskulptur von Yvan Pestalozzi aus dem Jahr 1972. Hier erfahren Besucherinnen und Besucher, wie der Sozialreformer Kinder von der Straße holen wollte und dass in Skandinavien in den 1930er Jahren die Überzeugung herrschte, dass Kinder mit natürlichen Materialien spielen sollten. Auch die Entstehung der Gerümpelspielplätze – besser bekannt als Abenteuerspielplätze – wird beleuchtet. Der Zusammenhang mit politischem Aktivismus wird ebenfalls deutlich gemacht. Besonders entzückend ist ein Satz auf einem Plakat für einen Spielplatz im Märkischen Viertel: Wo verbieten verboten ist.
In Sichtweite davon spielen Kinder auf der Arbeit „Play for Today“ von Céline Condorelli. Zu sehen sind übereinandergemalte Sportfelder (Badminton, Basketball, Fußball, Petanque, Volleyball und eine Laufbahn), die an ihren offiziellen Farben zu erkennen sind. Sie werden durch Jahreszahlen (1920, 1921, 1926, 1952, 1956 und 1977) an den Außenlinien ergänzt. Es sind die Daten der Jahre, in denen Frauen erstmals an internationalen Turnieren der jeweiligen Sportart teilnahmen. Dadurch werden Grenzen des Sports thematisiert, insbesondere das Untersagen der Teilnahme und somit der Ausschluss bestimmter Gruppen. Kurz gesagt: Wer hat das Recht mitzuspielen? Die Kinder, die vor mir spielen, antworten darauf: Alle!
Im Zentrum der Freispielhalle, einem der Pavillons, befindet sich eine urbane Ausgrabungsstätte für neugierige Archäologinnen. Umgeben von einem erhöhten Rundgang, der in einem kleinen Aussichtsturm mündet, können Besucher­innen untersuchen, welche Schichten der Berliner Boden freigibt. Die Arbeit „The School of Mutant“ bezieht sich einerseits auf den Akt des Grabens und andererseits durch das einst hier stehende, erste ethnografische Museum Berlins auf die lokale Kolonialgeschichte.
Klug gewählt ist auch der Zusatz des Adjektivs „radikal“ im Titel. Laut Wikipedia ist das Wort „vom lateinischen radix (Wurzel) abgeleitet und beschreibt das Bestreben, gesellschaftliche und politische Probleme „an der Wurzel“ zu greifen und von dort aus möglichst umfassend, vollständig und nachhaltig zu lösen“. Genau das versucht der Kunstparkour: Er kommt der Forderung nach konsumfreien Orten in der Stadt nach und bietet einen Ansatzpunkt für das Neu-Denken über das Spielen und den Zusammenhang zu gesellschaftlichen Themen wie Kindheit, Bildung, Freizeit, öffentlicher Raum, Autonomie, Freiheit, Kontrolle und Funktion. Besonders niedrigschwellig wird das sozialisierende, politische und sogar heilende Potenzial des Spielens deutlich. Zusammen ergibt das einen vollkommen transformierten und fast unwirklichen Ort in Berlin, an dem man gut und gerne viele Stunden verbringen kann.
27. April - 14. Juli 2024
Parkfläche am Gropiusbau
Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
Öffnungszeiten: Mi - So 11:00 bis 20:00 Uhr

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