Bauwelt

modern denken

Im Oktober verhandelte der Landtag von Sachsen-Anhalt einen von der AfD-Fraktion eingebrachten Antrag zum bevorstehenden 100-jährigen Jubiläum des Bauhaus Dessau. Der Titel: „Irrweg der Moderne“.

Text: Landes, Josepha, Berlin

modern denken

Im Oktober verhandelte der Landtag von Sachsen-Anhalt einen von der AfD-Fraktion eingebrachten Antrag zum bevorstehenden 100-jährigen Jubiläum des Bauhaus Dessau. Der Titel: „Irrweg der Moderne“.

Text: Landes, Josepha, Berlin

Das Dokument forderte eine „kritische Auseinandersetzung“ und wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Medial erzeugte der Vorgang ein großes Echo. Welche Ziele verfolgt die extreme Rechte, wenn sie baupolitische oder architektonische Fragen aufgreift? Und wie können Akteure und Akteurinnen aus Architektur und Städtebau rechtem Populismus entgegenwirken?
Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die AfD – je nach Umfrage-Institut – auf 17 bis 19 Prozent. Derzeit ist sie, nach einem Wahlergebnis von 10,3 Prozent bei der Wahl 2021, mit 76 Abgeordneten im Bundesparlament vertreten.
In Thüringen wurde die Partei bei der Landtagswahl im vergangenen Herbst mit 34,3 Prozent stärkste Kraft. In Sachsen lag der als gesichert rechtsextrem eingestufte Landesverband nach Auszählung der Ergeb­-nisse zum Landesparlament mit 34 Prozent nur 0,4 Prozentpunkte hinter der CDU, in Brandenburg mit 30 Prozent ebenfalls nur knapp hinter der SPD, die mit 32 Prozent als Wahlsiegerin aus der Abstimmung hervorging. In allen Bundesländern, auch in den westlichen, haben die Rechten im Lauf der vergangenen Legislaturen deutlich an Zustimmung gewonnen. In Schleswig-Holstein etwa, wo sie zur Landtagswahl im Mai 2022 noch die Fünfprozenthürde nicht knackten, belaufen sich aktuelle Umfragen auf zwölf Prozent.
Der Trend nach rechts ist omnipräsent, in den Ländern, im Land, in Europa und der westlichen Welt. Kommentatoren sprechen von der Sehnsucht nach Normalität, Stabilität, Klarheit. Die Rechte inszeniert sich gern als Garant des Durchblicks. „Die Kirche im Dorf zu lassen“, verspricht sie den Wählern und Wählerinnen: die Welt also nicht unnötig zu verkomplizieren, oder der komplizierten Welt – also jener, die nach rechter Lesart von den Latte-Macchiato-Fraktionen kompliziert gemacht wurde – mit einfachen Lösungen beizukommen.
Nun machte im Herbst, etwa zeitgleich mit den Wahlen in den anderen mitteldeutschen Landesparlamenten, ein Vorgang im Sachsen-Anhalti­nischen von sich reden: Der Landtag, der sich zuletzt 2021 neu aufstellte und in dem die AfD mit 21 Vertretern und zwei Vertreterinnen als zweitstärkste Fraktion sitzt, hatte über die Drucksache 8/4681 zu entscheiden, eingebracht von Oliver Kirchner, dem Fraktionsvorsitzenden der Rechtsaußen, betitelt: „Irrweg der Moderne – für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bauhaus“. Der anlässlich des anstehenden Dessauer Bauhaus-Jubiläums eingebrachte Antrag wurde abschlägig beschieden; die geforderte „kritische Auseinandersetzung“ war bereits vorab an ebenjener Stelle in einer Ansprache der Vorständin der Stiftung Bauhaus Dessau Barbara Steiner dargelegt worden.
Doch der Vorfall schlug die vermutlich beabsichtigten Wellen: In der Neuen Zürcher Zeitung rechtfertigte Steiner erneut die Wissenschaftlichkeit der Aufarbeitung des Bauhauses. Im Deutschlandfunk beurteilte Steiners Vor-Vorgänger Philipp Oswald den parlamentarischen Vorgang ungewohnt nüchtern: Was die AfD, was Populisten im Allgemeinen zu ihren Zwecken anstachelten, sei ein „Kulturkampf“. Das beraubt die explizite Parallele des AfD-Papiers zu nationalsozialistischem Wording gleichwohl nicht des Schreckens: Von der Menschenfeindlichkeit der Moderne ist da die Rede, von Einheitsbrei, kommunistischer Lehre, Uniformismus. Noch wirbt Sachsen-Anhalt mit #moderndenken.
Die Bauhaus Universität im thüringischen Weimar hatte zu dem Sachverhalt zunächst geschwiegen – zumindest, was eine offizielle Verlautbarung betrifft. Ende November bezeichnete dann ihr Präsident Peter Benz den Antrag dem Medienportal BuzzFeed News Deutschland gegenüber vor allem als Krawall-Mache. Benz lehrte vor seiner Position in Weimar sechzehn Jahre an der Academy of Visual Arts in Hongkong. Dort sei die Verdrängung demokratischer Praxis sehr viel subtiler vonstattengegangen, dennoch mache ihm das schleichende Sich-Einnisten demokratie­feindlicher Gesinnung Sorge.
Eine herausfordernde Abwägung besteht darin, Resonanzräume zu öffnen oder gar nicht erst anzubieten. Sigrun Langner, Dekanin der Fakultät für Architektur und Urbanistik in Weimar, erachtet vor allem eines an dem Antrag der Fraktion im Nachbarbundesland als besorgniserregend: „Das Infragestellen der inhaltlichen Arbeit der Stiftung Bauhaus Dessau ist – noch dazu argumentativ so dünn untermauert – ein Angriff auf die Freiheit von Wissenschaft und Lehre.“ Da muss man gar nicht weiter ins Detail gehen; Details und Hintergründe, die die rechte Politik ohnehin nicht im Stande, geschweige denn interessiert ist zu liefern. Dem pflichtet der emeritierte Baugeschichtsprofessor der Bauhaus-Uni und Direktor des dortigen Heritage-Zentrums, Hans-Rudolf Meier, bei: „Zuerst scheint das Ganze ja wie Satire“, sagt er, „das Fatale ist, dass einfache Positionen schnell verfangen. Sachverhalte differenziert darzulegen, erfordert Aufmerksamkeit, die sehr viel schwerer zu generieren ist.“
Um welche Sachverhalte geht es der AfD, wenn sie gegen das Bauhaus – nun, man kann wohl durchaus sagen: hetzt? Auch Daniela Spiegel, die Meier in Weimar auf der Professur für Baugeschichte nachgefolgt ist, ist sich der Instrumentalisierung von architektonischen und baupolitischen Themen durch die Rechte bewusst. Beide sind als Mitglieder des DFG-Graduiertenkollegs „Identität und Erbe“ mit den Ähnlichkeiten und Unterschieden der Argumentationslinien der AfD mit jenen von Faschisten, respektive Nationalsozialisten des zwanzigsten Jahrhunderts vertraut. Spiegel sagt: „Das Bild einer in schwarz-weiß gezeichneten Baukultur entspricht ja mitnichten den Tatsachen. Allein ‚die Moderne‘ zu sagen, oder ‚das Bauhaus‘ geht an der Sache vorbei.“ Spiegel hat intensiv zum Bauen in Italien geforscht, und betont, dass moderne Formen dort etwa, andersals in Deutschland, sowohl faschistisch als auch antifaschistisch belegt seien.
Auch Meier sagt sinngemäß, allein die Forderung nach einem Satteldach entblöße noch keine rechtsradikale Gesinnung. Konservative Architekturtheorie, wie sie etwa das Institut für Stadtbaukunst vertritt, setze sich reflektiert mit baulicher Form und Bildern auseinander und sei keineswegs pauschal demokratiefeindlich. Der rechten Rhetorik mangele es hingegen an jeglichem Sachverstand. „Der angebliche Diskurs zu kulturellen, hier baukulturellen Themen dient lediglich als Steckenpferd zur politischen Meinungsbildung“, bestätigt Spiegel. „Es geht da um einprägsame, verinnerlichte Bezüge. In Staaten des ehemaligen Ostblocks etwa wird ‚modern‘ sehr schnell mit der Sowjetzeit gleichgesetzt.“
Themen von tatsächlicher baupolitischer Relevanz betrachtet die Rechte nicht. Der Wohnungsfrage wird mit ihrer Forderung: „Bezahlbaren Wohnraum schaffen! Wohneigentum fördern! Heimatbindung stärken!“ nicht beizukommen sein, abgesehen von der augenfälligen inhaltlichen Diskrepanz des Slogans. Dass gerade die Moderne und insbesondere das Bauhaus – auch unter dem linkssozialistischen Dessauer Direktor Hannes Meyer – recht effektive Wohnungsbaulösungen lieferte, ist ihr bereits aus ideologischen Gründen keine Beachtung wert.
Doch auch hier soll der Resonanzraum nicht zusätzlich geweitet werden. Viel wichtiger ist die Frage nach den Mitteln, die Architekten, Bauherrinnen, Professuren und Stiftungen zur Verfügung stehen, um einfache Antworten auflaufen zu lassen. „Dem Feindbild-Framing entgegenwirken“, fordert die Dekanin. Dazu sei der Austausch zwischen Lehre, Praxis und Bevölkerung wichtig. „Wir dürfen Themen wie die Energie- und Mobilitätswende nicht einer populistisch agierenden Rechten überlassen“, sagt Langner. Die Universität zeige die von den Studierenden und Forschenden bearbeiteten Themen in der jährlichen Sommerschau, im Rahmen von Stadtgesprächen, bei Bürgerdialogen oder indem sie ihre Türen als Kinder­uni oder für die Nacht der Wissenschaften öffnet. „Außerdem veranstalten verschiedene Professuren Entwurfslabore, gehen also zum Beispiel mit den Projekten vor Ort, etwa in kleine Gemeinden im Thüringer Wald“, erklärt sie.
Hans-Rudolf Meier verweist außerdem auf Tendenzen, diese oder jene kulturelle Strömung unter rechte Hegemonie fallen zu lassen. „Der Diskussion zum Bauhaus ging in Sachsen-Anhalt ja schon eine andere voraus: das Bestreben, Caspar David Friedrich als deutschesten aller Maler zu labeln“, erinnert er. Die Drucksache 8/4010, Titel: „Auslobung eines Caspar-David-Friedrich-Preises für Malerei“ war Ende April verhandelt und abgelehnt worden. Das Plädoyer des Antragstellers Hans-Thomas Tillschneider (AfD) endete auf: „Und wir sind da, um den deutschen Nationalstaat mit seiner deutschen Nationalkultur zu verteidigen.“ Innerhalb der Baukultur sagt Meier, stoße ihm, wie jüngst Hochparterre berichtete, die wachsende Szene reaktionärer Architektur-Influencer wie „Architectural Uprising“ oder „Architecture Rebellion“ auf.
Es ist dringend an der Zeit, die Grabenkämpfe zwischen progressiven und konservativen Kreisen innerhalb der Fachwelt zu befrieden. Die von der Rechten betriebene Sabotage kann nicht viel mehr als eben das: Sacharbeit behindern. Um dieser Zermürbungstechnik entgegenzuwirken, braucht die progressive auch die konservative Clique derer, die bestrebt sind, Fragen der Architektur und des Städtebaus mit ernsthaftem Inte­resse zu beantworten. Denn es sind die Konservativen, die Gefahr laufen, unterwandert zu werden. Meier glaubt, Einfallstor für Dogmatik sei, dass es an positiven Zukunftserzählungen fehle. Das ließe sich ändern: Die Gegenwart ist nicht schwarz und weiß, und die Zukunft macht schön und streitbar, wenn wir argumentativ geeint in der Uneinigkeit sein können. Das sollte die Bauwelt bleiben! Und Daniela Spiegel berichtet, dass sich alle Mitglieder der Welterbestätten „Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau“ auf ihrem jährlichen Koordinierungstreffen zuletzt ihren Zusammenhalt deutlich versichert hätten; denn jeder weiß: „Solche Anträge können allen blühen.“

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