A Room with a View
Text: Boissel, Anne, Berlin
A Room with a View
Text: Boissel, Anne, Berlin
Mildes Tageslicht durch instand gesetzte Bleiglas-Verglasungen. Gepflegte, venezianische Terrazzoböden. Zimmernummern in ovalen Messing-Emblemen auf den Türstöcken. Nachträgliche Auf-Putz-Kabelverlegung in Kunststoff-Kabelkanälen – dazu unterschiedlichste antike, venezianische Glas-Lüster. Addierte Flucht- und Rettungswegs-Zeichen. Ein angelaufener Spiegel in historischem Holzrahmen. Bauchige Kommoden mit Intarsien-Arbeiten. Frische Schnittblumen in Kristallvasen auf geklöppelten Deckchen. Küchenpapier-Rollen in Plastikverpackung hinter dem Holzmodell einer Gondel. Plastik-Wasserflaschen auf dem Nachttisch, daneben ein Tastentelefon. Ein grünes Paperback am Bett… Die Treppe führt aufs Dach: eine Dachterrasse für die Mitarbeiter, möbliert mit dunkelgrünen Plastikmöbeln – von dort aus der Blick über den Canal Grande auf Giudecca mit der Redentore-Kirche von Andrea Palladio.
Die Aufzählung beschreibt Fragmente aus den Fotos des Berliner Architekturfotografen Andrew Alberts. Diese illustrieren stimmungsvoll die Publikation, die an der Bauhaus-Universität Weimar von Verena von Beckerath herausgegeben wurde. Inhalt der Publikation ist das seit über 100 Jahren bestehende Hotel „Pensione Seguso“ in Venedig – ein Familienunternehmen mit anstehendem Generationswechsel.
Interessant an der Publikation ist, dass die Architektinnen Verena von Beckerath und Oda Pälmke, die beide einen Beitrag zu dem Buch beigesteuert haben, das Haus so nehmen, wie es ist. Es wird nicht darüber nachgedacht, dieses zu ändern, vielmehr geht es ihnen primär um das Ansinnen, diesen Ort in seiner Besonderheit zu erfassen und zu bewahren. Ähnlich wie in einem Designhotel ist hier jeder Raum anders, jedoch authentisch, da über einen langen Zeitraum gewachsen. Die antiken Möbel stammen zum großen Teil aus dem Fundus der Familie. Sie werden erhalten und gepflegt – in ihrer Kombination ergeben sie etwas, was nicht entworfen werden kann.
Kernbeitrag der Publikation ist ein Interview, geführt von Verena von Beckerath und der Kunsthistorikerin und Kuratorin Sassa Trülzsch sowie Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar mit der Betreiberin und deren Sohn. Es geht dabei um die Geschichte des Hauses, die Gäste und die Entwicklung von Venedig im Allgemeinen. Wie kann der Generationswechsel neue Impulse geben, so dass die Pension mit all Ihrem Charme weiterbestehen kann? Das Buch „A ROOM WITH A VIEW“, changierend zwischen Kunst- und Architekturbuch, verpackt diese Frage auf ansprechende Weise.
0 Kommentare