Berliner Schloss – Humboldt Forum
Konstruktion und Rekonstruktion in der Architektur
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Berliner Schloss – Humboldt Forum
Konstruktion und Rekonstruktion in der Architektur
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Es ist davon auszugehen, dass bereits in wenigen Jahren Berlin-Besucher das Schloss als ein eindrucksvolles Baudenkmal bewundern werden, das nach Kriegsschäden bedauerlicherweise mit einigen neuen Bauteilen und einem neuen Interieur ausgestattet werden musste. Wer weiß denn zukünftig schon, aus der Ferne kommend, von der Geschichte des Ortes, vom langen Streit um die Rekonstruk-tion und vom Palast der Republik, der zuvor dort stand? Jenen, die die ganzen Diskussionen rund um die haarsträubende Zweidrittel-Entscheidung des Deutschen Bundestags 2002 für das „geschichtsbezogene Erscheinungsbild“ als Denkmalprodukt, den Förderverein der Schloss-Freunde mit dem Einsammeln an Geldern für die Nachbauteile der Fassaden und Kuppel, die Nutzung mit dem Schwerpunkt Ethnologische Sammlungen und Asiatische Kunst und vieles mehr verfolgt haben, bleibt dieses Humboldt Forum in exponiertester Lage ein politisch gewollter Wiederaufbau voller Symbolik.
Schloss-Architekt Franco Stella beleuchtet mit dem Buch abschließend nicht nur noch einmal seine Intention und Entwurfsidee, sondern auch den persönlichen Hintergrund, sein großes Wissen der Baugeschichte Italiens und der his-torischen Mitte von Berlin. Stella gewann 2008 den internationalen Wettbewerb und setzte mit den später zusätzlich beauftragten Routiniers Hilmer & Sattler und Albrecht für die Innenräume und gmp als Projektsteuerer das Projekt um. Aus der Sicht des Architekten aus Vicenza ist alles plausibel erklärt: Das Schloss ein offenes Haus mit zentraler Passage als „Via Colonnata“ und den „Piazze“ rechts und links. Diese „Città“ in der Stadt hebt er bei jeder Gelegenheit und auch im Buch als sein zentrales Leitbild hervor. Es bleibt aber der Eindruck eines abgeschiedenen, ganz auf sich bezogenen Ortes, der vor allem die Historie aufleben lässt. Dazu gehören auch die fünf rekonstruierten Portale in die Passage und zu den Plätzen. Sie als Stadttore in seine Città zu definieren, bleibt schwierig, denn wir sind bereits mitten in der Stadt. Das Schloss gehört zwar zum urbanen Kontext, ist ein zentrales Bindeglied und Maßstabsgeber, bietet sogar schöne Blickachsen vor allem zur Museumsinsel, bleibt aber dennoch deutlich auf Distanz.
Der Architekt will auch einen Beitrag zur Bellezza leisten. Im Textabschnitt zur Identität der Fassade legt er nochmals Wert auf die große Bedeutung der „Schmuckelemente der Stadt“, die seiner Meinung nach schon zu lange vernachlässigt werden und eine solche Rekonstruktion erklären. Die Räume dahinter sollten, wie früher in den repräsentativen Architektur üblich, den „schönen Fassaden“ angepasst werden. Folgt man dieser Argumentation, darf man behaupten, dass ihm Innenräume nicht wichtig sind. Er hat sie auch nicht entworfen. Mit diesem Denken hinsichtlich der Nutzung hinter einer Fassaden-Inszenierung sind erwartbare Zwänge entstanden. Im Buch wird auf Fotos der Ausstellungsbereiche verzichtet. Sein Werk für die Mitte Berlins bleibt für immer umstritten – aber die über drei Millionen Besucherinnen und Besucher seit der Eröffnung im Juli 2021 sprechen bei aller Kritik für den Erfolg des Humboldt Forums.
„Coincidentia Oppositorum“, das Vorwort zum Buch, hat Horst Bredekamp, einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt Forums, geschrieben. Er ist ein ausgewiesener Kunsthistoriker, Kenner der italienischen Renaissance, der zuletzt eine „monumentale Gesamtdarstellung“ zu Michelangelo – so der Verlag Klaus Wagenbach – herausgebracht hat. Er engagierte sich zunächst zögerlich und dann mit voller Überzeugung für das Entwurfskonzept Stellas. Bredekamp zeigt sich aber enttäuscht, dass die Idee des Zusammenspiels mit Blickbeziehungen der Besucher auf den drei Emporen des gedeckten Eosanderhofs mit den Besuchern unten im Erdgeschoss nicht weiterverfolgt wurde. Er verweist auf die Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom. Dort sind erhöht in einer Nische Skulpturen der Familie des Kardinals Cornaro dargestellt, die die Ekstase der Heiligen Theresa von Avila erleben, eine grandiose Inszenierung des Hochbarocks von Bernini. Stella hatte darauf gesetzt, dass sich die Besucher im Eosanderhof hinter den Brüstungen der Emporen wie in einem Theaterstück als gleichsam lebendige Skulpturen zeigen und miteinander kommunizieren. In den Wänden hinter ihnen sollten Vitrinen mit Kunstgegenständen der Sammlungen sein, an denen man entlangwandelt. Statt Schaukästen sind aber nur tote Öffnungen und keine Besucher zu sehen. Man kann als Italienbegeisterter die gewünschte Lebendigkeit der vergleichsweise winzigen Inszenierung Berninis mit Stellas Halle in Beziehung setzen, man kann aber auch anderer Meinung sein und den Eosanderhof im „Gefüge italienischer Piazze“ als eine auf drei Seiten und in der Dachabdeckung streng gerasterte Halle sehen, riesig und erschreckend einfallslos. In einer Ecke steht in allen Farben hastig flimmernd der „Kosmograf“, ein Info-Mast des Forums von Holzer Kobler Architekturen.
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