Drei Monde der Moderne oder wie die Moderne klassisch wurde
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Drei Monde der Moderne oder wie die Moderne klassisch wurde
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Wie nennt man eigentlich die avantgardistische Architektur-Moderne der 1920er Jahre, die wir alle so gut zu kennen glauben? Der im Volksmund und im Maklerdeutsch beliebte Begriff „Bauhausstil“ scheidet dabei sofort aus, weil es am historischen Bauhaus keine einheitliche Architekturauffassung gab, und die dortigen Akteure, Lehrer wie Schüler, in einer extremen Bandbrei-te zwischen Expressionismus und stalinistischer „Nationaler Tradition“ unterwegs waren. „Funktionalismus“ scheidet auch aus, weil eine Fokussierung auf ein angeblich nach der Funktion ausgerichtetes Entwurfsprinzip diese Architektur viel zu eingeschränkt beschreibt. Der Rezensent bevorzugt daher den neutraleren Begriff der „Neuen Sachlichkeit“, der allerdings Kunsthistorikern nicht gefällt, weil damit in der Bildenden Kunst eine ganz bestimmte Strömung benannt wird.
Buchautor Jürgen Tietz hat sich für „Neues Bauen“ entschieden, was man allerdings auch für problematisch halten kann, weil dieser Begriff vom Architekten Hugo Häring eingeführt wurde, der damit seine eigene Auffassung vom organischen Bauen benannt wissen wollte. Die Lösung kommt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, aus dem etwa um 1980 im Zuge der Postmoderne der Begriff der „Klassischen Moderne“ zu uns herübergeschwappt ist – ähnlich, wie die Amerikaner die Rockmusik der späten 1960- er und frühen 1970er Jahre als „Classic Rock“ bezeichnen. Jedenfalls beschreibt das grundsympathische Bändchen ein Jahrhundert Architekturgeschichte, in dem die Moderne „klassisch“ wurde. Dazu beginnt Jürgen Tietz bei seinen Jugenderinnerungen aus dem bürgerlichen Südwesten Berlins, wo ihm in den 1970er Jahren Werke so unterschiedlicher Architekten wie Scharoun, Salvisberg, Bruno Taut, Paul Baumgarten, Oskar Kaufmann oder den Spätexpressionisten Ernst und Günther Paulus aufgefallen sind; in einer Zeit, in der diese Architektur kaum Beachtung und Wertschätzung erfuhr.
Das Buch kommt dann in Fahrt mit einer assoziationsreichen, nicht unbedingt chronologischen Tour de Force durch die Moderne, die der Autor in drei – sich allerdings weit überlappende – Phasen („Monde“) einteilt: Neues Bauen; Kanon und Kritik; Wiederentdeckung. Auch wenn man dieser Einteilung nicht immer folgen mag, ist der Text doch ein Plädoyer für, nein: es ist eine Liebeserklärung an die Moderne geworden, die da draußen außerhalb reiner Fachkreise weiterhin oftmals missachtet und gefährdet wird. Dieses Buch, das sprachlich angenehm unprätentiös daherkommt, leistet einen guten Beitrag zu einer wertschätzenden Rezeption der Moderne in ihren unzähligen Facetten. Jedenfalls: „Der Mond der Moderne geht nicht mehr unter!“ In Klammern: Ein Personenregister wäre ebenso hilfreich gewesen wie ein aufmerksameres Lektorat. Klammer zu.
0 Kommentare