Gunta Stölzl
Pionierin der Bauhausweberei
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Gunta Stölzl
Pionierin der Bauhausweberei
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Zum kollektiven Bildgedächtnis des Bauhauses gehört das 1926 auf dem Dach des Dessauer Ateliertraktes aufgenommene Gruppenfoto der Lehrenden: zwölf Männer (Professoren, ehemals Formmeister) und eine einzige Frau, Gunta Stölzl (1897–1983), Leiterin der Weberei. Sie steht, obwohl fast am Rande des Bildes, recht selbstbewusst in der Männerschar, neben ihr noch Oskar Schlemmer, ein enger Vertrauter. Aber der Schein trügt, wie Ingrid Radewaldt in ihrem ausdrücklich als Biografie bezeichneten Buch nachweist. Zwar war Stölzl nach hartnäckigem, mehrfachem Intervenieren der Studenten im Juni 1926 zur Leiterin der Weberei ernannt worden, zum April 1927 auch vertraglich mit der Gesamtzuständigkeit betraut. Aber der Weg dahin war alles andere als glamourös, der Status ihrer Stelle ohne Professorentitel sowie ihr Gehalt ohne Pensionsanspruch waren nicht gleichrangig den Männern, ihr Erfolg nicht von langer Dauer.
Die 13 Jahre währende Bauhauszeit Gunta Stölzls begann im September 1919 als Studierende. Wie viele Kommilitonen brachte sie solide Vorbildung mit. Nach dem Abitur, 1913 an einem Münchner Mädchengymnasium, hatte Stölzl bei Werkbundmitbegründer Richard Riemerschmid studiert. An der fortschrittlichen Kunstgewerbeschule München ließ man bereits Frauen zu und theoretisierte, die Grenze zwischen angewandter und „hoher“ freier Kunst zu überwinden. Nach Kriegsdienst als Rote-Kreuz-Schwester kehrte Stölzl deprimiert nach München zurück. Gropius’ Bauhaus-Manifest vom April 1919 muss in seinem visionären Charakter neue Hoffnungen geweckt haben, besonders die Symbiose zwischen Handwerk, eigenen Werkstätten und Kunst. Der Einstieg am Bauhaus war desillusionierend, kriegsbedingt kaum Ausstattung vorhanden: Stölzls Arbeit in der Wandmalerei bestand in der Renovierung der Schulräume. Prägend wird die Arbeit bei Johannes Itten, spontan ließ er etwa für den Weimarer Weihnachtsmarkt buntes Spielzeug aus Resten fertigen: Kreativ- und Materialübung in einem. Zu dem sich nach außen so radikal progressiv und der Gleichberechtigung verpflichtet darstellenden Bauhaus gehörte die ab 1921 nachweisbare „Frauenklasse“, die spätere Weberei – laut Gropius ja ein einfach zu erlernendes Handwerk. Als selbstverständlich galt auch die Arbeit von Studentinnen in der Bauhauskantine.
Die Experimentierfreude der Textilpionierinnen Gunta Stölzl, Benita Otte oder Anni Albers war dennoch nicht zu bremsen. Erforderliches Fachwissen eigneten sich Stölzl und Otte durch regelmäßige Kurse der Textilfachschulen Krefeld an, beide wurden so inoffizielle Mentorinnen. Die Weberei war von Anbeginn wirtschaftlich erfolgreich: Bauhaus-Ausstellungen, wie 1923 in Zürich oder auf der Leipziger Messe, zeigten fast ausschließlich Textilien. Sie waren architekturbezogene individuelle Einzelstücke, das Bauhaus lieferte explizit keinen (offiziellen) Beitrag zu Mode oder Bekleidungstextil. Selbst das spröde Musterhaus „Am Horn“ konnte 1923 wohl dank seiner textilen Ausstattung die Gunst der internationalen Kritik gewinnen.
Noch in Weimar setzte die Ausrichtung auf die Industrie ein, die von Gropius proklamierte neue Einheit von Kunst und Technik. Die Weberei entwickelte neben dem künstlerischen Unikat nun funktionale Meterware, in Dessau hielten mechanische Webstühle Einzug – beides nicht unumstritten. Die 1925 gegründete Bauhaus-GmbH verlangte weitere Effizienz. Stölzls 1926 ausgearbeiteter Lehrplan sah eine 7-semestrige, mehrstufige Ausbildung vor: erst Handweberei, danach Versuchs- und Modellwerkstatt. Nach weiteren Studien war die Gesellenprüfung möglich, anschließend auch das Bauhaus-Diplom: die Weberei war somit den anderen Werkstätten gleichgestellt. Ein straffer Stundenplan sah den Unterrichtsbeginn meist um 7 Uhr morgens vor, Ende war gegen 21 Uhr, Sonnabend und Sonntag sollten Sport und Ausflügen dienen. Nicht nur dieses harte Pensum sowie die kaum mögliche Trennung zwischen Ausbil-dungs- und finanziell notwendigem Produktionsbetrieb, sondern wohl Stölzls so wenig „bürgerliche“ Lebensführung – ihre Ehe mit dem zionistisch-jüdischen Architekten Arieh Sharon, ihre fortgesetzte Lehrtätigkeit als junge, im Grunde alleinerziehende Mutter – provozierten intrigante Kritik aus reaktionären und nationalsozialistischen Zellen sowie durch konservative Kollegen, etwa Wassily Kandinsky. Stölzl bekannte sich zu Hannes Meyer, auch nach dessen Entlassung, selbst wenn er ja die Handwebteppiche der Ära Gropius als „die seelischen Komplexe junger Mädchen“, die auf den Böden der Gebäudeplastiken lagen, verspottet hatte. Radewaldt sieht in den Jahren ab 1929 einen aussichtslosen Kampf, Stölzl kündigte zum April 1931, ging wenig später in die Schweiz. Sie blieb in eigener Werkstatt der künstlerischen Handweberei treu, trotz wirtschaftlicher und aufenthaltsrechtlicher Probleme der ersten Jahre.
Gunta Stölzl zählt zu den bekannten Bauhäuslern, ihr künstlerischer Beitrag ist umfassend dokumentiert und gewürdigt. Die gut strukturierte Biografie liefert durch viele Briefe und Tagebucheintragungen ein gewichtiges Zeitzeugendokument eines langjährigen Bauhausmitglieds, ist ein Beitrag zur gesellschaftlichen und historischen Kontextualisierung der Institution.
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