Hannes Meyers neue Bauhauslehre
Von Dessau bis Mexiko
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Hannes Meyers neue Bauhauslehre
Von Dessau bis Mexiko
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Man kann natürlich, ähnlich Magdalena Droste im entsprechenden Kapitel ihres Buches, beredt daran festhalten, der gebürtige Basler Hannes Meyer (1889–1954) sei bis heute der „unbekannte Bauhausdirektor“ geblieben. Das stimmt eigentlich schon lange nicht mehr, es gab Publikationen und Ausstellungen, zuletzt etwa 2015/16 in Dessau und München zu Meyers „Prinzip Coop“, der Idee kollektiver Gestaltung. Den Praxisbeweisin Gestalt zweier größerer Bauvorhaben – die Bundesschule des ADGB in Bernau sowie fünf Laubenganghäuser in Dessau-Törten – hat Meyer zwi-schen 1928 und 1930 gemeinsam mit Studierenden angetreten, das Resultat ist seit Juli 2017 UNESCO-Welterbe.
Der nun vorgelegte Band auf Basis einer Tagung im April 2018 fächert in rund 35 Beiträgen das Lehrkonzept Meyers am Bauhaus auf, das zwischen 1930 und 1936 eine Fortsetzung an zwei Moskauer Architekturinstituten sowie 1940/ 41 am Polytechnischen Institut in Mexiko City fand. Die Beiträge umfassen ältere, teils seit langem publizierte Texte von Meyer selbst oder seiner Weggefährten, lassen aber auch erfreulich viel jüngere, internationale Forscher und Architekten zu Worte kommen, die nicht aus der Tradition einer bundesrepublikanisch geprägten Bauhausrezeption argumentieren. Dass viele ihrer Erkenntnisse dann doch nicht als „neu“ überraschen, mag vielleicht beweisen, wie viel Basisarbeit zu Hannes Meyers Wirken und Verdienst am Bauhaus in den letzten Jahrzehnten geleistet wurde und mittlerweile zum sanktionierten Kenntnisstand über Institution und Person gehört.
Trotzdem ist es ja nicht verkehrt, etwa an Meyers Prägung durch die (schweizerische) Genossenschaftsbewegung des frühen 20. Jahrhunderts zu erinnern. Als sich selbstorganisierende Solidargemeinschaft blieb sie sein geistiger Bezugsrahmen, in ihrer kollaborativen Praxis wurde sie Vorbild für seine Neuausrichtung des Bauhaus. In den dortigen Werkstätten hätte Meyer gerne die „Doppelspitze“ aus Werkmeister (Fachpraxis) und Formmeister (künstlerische Lehre) zugunsten eigeninitiativen Experimentierens aufgegeben. Er straffte aber insgesamt, fasste mehrere Werkstätten zur Ausbauabteilung zusammen, schuf neue Bereiche wie eine systematische Lehre der Fotografie und Werbung. In der 1927 installierten Bauabteilung, als deren Leiter er ans Bauhaus geholt worden war, griff er von Anbeginn durch. Sein Credo eines „lebendigen Bauens“ hatte nicht nur technischen, funktionalen und, allen andersgearteten Verlautbarungen zum Trotz: ästhetischen Anforderungen zu genügen, sondern gesellschaftswissenschaftliche und psychologische Grundlagen, besonders aber Landschaftsbezüge zu beherzigen. Entsprechend groß war die Zahl neu berufener Lehrender, und sei es, dass sie als Gastdozenten wichtige Akzente setzten, auch für eine breite Allgemeinbildung. Vertreter des multidisziplinären „Wiener Kreises“, so der politische Ökonom Otto Neurath oder der Philosoph Rudolf Carnap kamen ans Bauhaus, der Leipziger Psychologe Graf Dürckheim, sein Kollege Hans Prinzhorn mit einem Vortrag über die „Leib-Seele-Einheit“ oder der schweizerische Agrarreformer Konrad von der Meyenburg: Gewichtig ist folglich der Teil zu diesen Akteuren im Buch.
Auch Meyers Schüler, darunter leider auch unrühmliche, werden in ihrem oft internationalen Wirken vorgestellt. Arieh Sharon ist sicherlich ein herausragender „Meyerist“, er war Bauleiter der ADGB-Schule, ab 1931 dann in Tel Aviv, später zudem in Afrika, als Architekt genossenschaftlicher Wohn- sowie öffentlicher Bauten auch publizistisch prägend. Der Linzer Hans Ertl hingegen sah keine ethischen Bedenken, sein Bauhauswissen in den Dienst der NS-Vernichtungsmaschinerie zu stellen. Ab 1941 war er für das damals noch als Kriegsgefangenenlager konzipierte KZ Auschwitz zuständig, seine Planung missachtete aber bereits völkerrechtliche Standards. In einem Prozess vor dem Wiener Geschworenengericht wurde er 1972 freigesprochen, Bauhauskommilitonen hatten sich für ihn eingesetzt. Im Nachruf erwähnte Studienkollege Hubert Hoffmann die ihm bekannte Tätigkeit Ertls in Auschwitz mit keinem Wort.
Was die Frage nach dem politischen Klima am Meyer-Bauhaus aufwirft, neben der lange diskreditierten „roten“ Parteinahme. Von aktiven, antisemitischen NS-Sympathisanten vernimmt man leider nur am Rande, so bei Gunta Stölzl. Gegen sie wurde wegen ihrer Ehe mit Arieh Sharon systematisch von Kollegen und Studenten intrigiert.
Dieses Werk lässt somit viele Desiderate offen, wie Herausgeber Philipp Oswalt bekennt. Es fehlen aber nicht nur Beiträge zu Hans Wittwer, als langjähriger Büropartner Meyers am Bauhaus, zu Mart Stam oder Alfred Arndt. Von den über 400 Studenten der Ära Meyer bleiben wichtige Persönlichkeiten unerwähnt: Otti Berger, Wera Meyer-Waldeck, Max Bill oder Hin Bredendieck (dem das Landesmuseum Oldenburg mit drei weiteren norddeutschen Bauhäuslern zwischen 27. April und 4. August 2019 eine Ausstellung widmet). Man vermisst den Austausch mit den BXYTEMAC, der pädagogischen Parallelaktion im nachrevolutionären Moskau, oder Bekannte wie Munio Weinraub, aufrechter „Meyerist“ in Israel mit bemerkenswertem Œuvre. Protagonisten scheinen zudem oft blutleer, ohne private Beziehungen und Verstrickungen existiert zu haben, die aber Leben und Lehre am Bauhaus eben auch ausmachten. Und: Warum traut sich niemand an eine psychologische Deutung des schwierigen, rastlosen, widersprüchlichen Hannes Meyer, der in eigenen Notizen seine traumatische Prägung durch Waisenhaus und Probleme mit Frauen bekannte? „als bauhäusler sind wir suchende“, so Meyer 1929. Zur weiteren Suche fordert dieses Buch nun auf.
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