Bauwelt

In der Mitte der Pyramide

Detaillierte Gebäudeanalyse und Theorie zum Bau der Cheops-Pyramide

Text: Escher, Gudrun, Xanten

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In der Mitte der Pyramide

Detaillierte Gebäudeanalyse und Theorie zum Bau der Cheops-Pyramide

Text: Escher, Gudrun, Xanten

Das Format ist quadratisch, ja, aber misst lei­der nur 30 x 30,2 cm. Stimmiger für dieses Buch, dessen Inhalt in berückender Weise stimmig ist, wäre das Maß einer altägyptischen Königselle von 52,4 cm. Dann aber wäre es noch unhandlicher mit seinen ca. 2,5 kg Gewicht, eher etwas für den Bibliothekstisch als für die Sofaecke, und doch ist es so spannend wie ein guter Krimi, am Anfang nichts als offene Fragen und am Ende die verblüffend einfache Auflösung. Als Handwerkszeug für die erneute Analyse eines der berühmtesten Bauwerke der Welt bringt der Architekt Bernhard Kerres die Erfahrung aus der Praxis des Regierungsbaumeisters sowie der Lehre an der Universität Stuttgart mit als da wären: die Grundlagen der Geometrie und Vermessungslehre, der Statik undMauerwerkstechnik, dazu Baustellenmanagement und Ablaufplanung, das Ganze gewürzt mit gesundem Menschenverstand, der grundsätz­lichen Annahme, dass die Ägypter vor rund 4500 Jahren nicht dümmer waren als wir heute, und der Kühnheit, Deutungstraditionen über den Haufen zu werfen.
Gliederung und Aufbau lassen den versierten Didaktiker spüren, sodass auch ein baufachlicher Laie bei etwas Verständnis für Grundrisse, Schnitte und schematische Darstellungen folgen kann. Im analytischen Teil weist er nach, dass sich alle Maße der Pyramide wie auch der Kammern und Gänge auf gerade Zahlenverhältnisse der Königselle zurückführen lassen, ausgehend vom Steigungsverhältnis der Pyramide von 14:11. Die Königskammer liegt mit ihrer Basis auf der 50. Steinlage der Pyramide, die Unterkante der Decke teilt die Gesamthöhe der Pyramide im Verhältnis 1:2. Ihre Grundfläche lässt sich in acht Quadrate von 5x5 Königsellen Länge einteilen, und der Sarkophag steht in der Mitte des west­lichen großen Quadrats exakt in nordsüdlicher Richtung, so wie die Sarkophage auch in den äl­teren Grabbauten, den Mastabas, ausgerichtet waren. Die fünf Steindecken über der Kammer, bestehend aus über 5 m langen Steinbalken, sind entgegen gängiger Bezeichnung nicht „Entlastungs“-decken, sondern, da auf den Außenwänden der Kammer aufliegend, statisch richtiger „Belastungs“-decken, die die Königskammer zur erbebensicher eingefügten „Haus-im-Haus“-Lösung machen – dies nur ein Beispiel der logischen Rückschlüsse. Bei all dem vernachlässigt Kerres nicht die ästhetische und gleichermaßen symbolische Bedeutung der Räume. Konzep­tion, Form und Wirkung gehen überall Hand in Hand.
Auch die Annahme, dass die gesamte Pyramide aus Steinblöcken bestehe, sei wenig überzeugend. Schlüssiger und der Tradition der Mastaba-Bauten entsprechend sei eine etagenwei­se Teilung in Mauerwerkskammern (nach Königsellen bemessen), die mit den vor Ort beim Behauen der angelieferten Quader anfallenden Steinabfälle und leicht zu beförderndem Sand gefüllt wurden. Dieses Teilen erfordert das genaue Vermessen gepaart mit der kontinuierlichen Kon­trolle der Neigungswinkel der Pyramide, ohne die die Seitenflächen sich nie in einer gemeinsamen Spitze getroffen hätten. Vermessungstechnisch ist dafür eine Mitte erforderlich, von der aus vermessen werden kann, ergo ein senkrechter Schacht in der Mitte der Pyramide – bezeichnenderweise umgehen alle Kammern und Gänge genau diese Mittelachse. So ergebe sich eine Bauweise in kontrollierbaren horizontalen Ebenen Schicht für Schicht.
Wer wasserdichte, seetüchtige und obendrein demontierbare Boote bauen konnte wie die zu Füßen der Cheopspyramide gefundene Königsbarke, bestehend nur aus Spannbalken und Zugseilen, wird auch sonst mit Holz umzugehen gewusst haben, auch wenn davon nichts erhalten ist, so eine weitere Annahmen. Das ermutigt Kerres zu der kühnen „Theorie“, dass es nicht nur einen mittleren Schacht (mit Treppen) gibt/gab, sondern daneben zwei weitere Schächte für einen Wechselaufzug mit Umlaufrollen zur Beförderung der Steingewichte, denn alle anderen Annahmen, wie die Steine nach oben kamen, seien rechnerisch unhaltbar. Und der Weg zur Baustelle habe sich sehr einfach zu Wasser vom Nilhafen über einen Kanal zur im Fels liegenden Mitte der Pyramide darstellen lassen. Möglicherweise habe das Auffinden einer vorhandenen großen Höhle zur Wahl des ansonsten eher ungünstigen Standortes für die Pyramide des Cheops geführt. Schlussendlich bestätigen die gewonnenen Annahmen nicht nur die viel spätere Beschreibung des Herodot, sondern lassen auch den Ablauf der Bestattungszeremonie sowie des noch ca. 400 Jahre lang beachteten Verehrungskultes schlüssig erscheinen. Demnach wäre die quadratische sog. Königinnenkammer mit umlaufender Sitzbank weder für eine Königin bestimmt gewesen noch, vor einem Planwechsel, für den Pharao selbst, sondern als Versammlungsstätte für die in die Mysterien eingeweihten Priester.
Bei allen anderen Pyramiden liegt das Pharaograb unten im Pyramidenfuß, und keine andere verwendet so große Steine – Konzeption und Herstellung der Pyramide des Cheops dürften einzigartig sein. Ob die Annahmen von Kerres tatsächlich zutreffen, könnten nur neuerliche Sondagen erhärten, die aber verbietet der ägyptische Staat.
Fakten
Autor / Herausgeber Von Bernhard Kerres
Verlag Edition Esefeld & Traub, Stuttgart 2018
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aus Bauwelt 17.2019
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