Leidenschaftlich modern
Karl Schwanzer und seine Architektur
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Leidenschaftlich modern
Karl Schwanzer und seine Architektur
Text: Hamm, Oliver G., Berlin
Dem Automobilkonzern BMW in München hat er Anfang der 1970er-Jahre das ikonische Ensemble aus Verwaltungsgebäude („Vierzylinder“), Museum und Parkhaus beschert. Darüber hinaus ist das umfangreiche Œuvre des Wiener Architekten Karl Schwanzer fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Freitod (1975) in Deutschland nahezu unbekannt und selbst in Österreich weitgehend in Vergessenheit geraten. Und das, obwohl er mit Fug und Recht als einer der einflussreichsten Architekten und (ab 1959) Hochschullehrer der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte in der Alpenrepublik bezeichnet werden kann.
„Architektur aus Leidenschaft“ war sein eigenes Buch 1973 betitelt – bis heute die einzige umfassende Werkmonographie. Nach der Graphic Novel „Schwanzer – Architekt aus Leidenschaft“ (2019) legt der Birkhäuser Verlag mit „Leidenschaftlich modern“ nun erneut ein sehr ungewöhnliches Buch vor, das der Person und ihrem Werk gewidmet ist. Die im Untertitel avisierte „Anthologie in Fotografien“ nimmt allein zwei Drittel der insgesamt 480 Seiten des Paperback-Bandes ein. Sie ist eine Hommage an die Architekturfotografie, der Schwanzer von Anfang an eine große Bedeutung für die Vermittlung und Dokumentation seiner Arbeiten beimaß, die insbesondere in den ersten anderthalb Jahrzehnten seiner Tätigkeit zu einem erheblichen Teil temporärer Natur waren: Messestände und Ausstellungsinszenierungen, aber auch Lokalumbauten, die nur auf Fotos und Zeichnungen erhalten sind – und als Höhepunkt der Österreichische Pavillon auf der Expo 1958 in Brüssel, der 1962 in adaptierter Form in Wien als Museum des 20. Jahrhunderts wiedererrichtet wurde (seit Adolf Krischanitz’ Umbau 2011: Belvedere 21). Die Aufnahmen von Maria Wölfl, die ab 1948 fast zwanzig Jahre lang für Karl Schwanzer tätig war, von Lucca Chmel, Yoichi R. Okamoto, Barbara Pflaum, Franz Hubmann und von anderen, teils anonymen Fotografen vermitteln ein plastisches Bild von der Aufbruchstimmung jener Zeit ebenso wie von der Experimentierfreudigkeit und Detailversessenheit eines offenbar ruhelosen Architekten, dessen Werk Sigrid Neubert mit ihren außergewöhnlichen Fotos der BMW-Bauten gewissermaßen ein zeitloses Denkmal errichtet hat (das freilich sein restliches Werk überstrahlt).
Einblicke in die Person Karl Schwanzer und in seine Arbeitsweise gewähren im letzten Drittel des Buches ein paar Aufsätze und insbesondere die „Gespräche mit Kollegen“, bei denen es sich um Auszüge aus Interviews handelt, die Max Gruber für eine Filmproduktion unter anderem mit Heinz Neumann, Rüdiger Lainer, Wolf D. Prix und Boris Podrecca geführt hat. Die prägnanteste Charakterstudie stammt von Laurids Ortner: „Schwanzer selbst war auf das Kommende, auf den Blick nach vorne gerichtet. Eine Unbeschwertheit, die instinktiv hinter sich lässt, was sich nicht neu entdecken lässt.“ Diesen Architekten und sein Werk wiederzuentdecken, hat sich das Wien Museum auf seine Fahnen geschrieben, das 2018 den Nachlass Karl Schwanzers in seine Obhut übernommen hat und es im Rahmen einer großen Werkschau zugänglich machen will. Das Buch „Leidenschaftlich modern“ gibt bereits einen Vorgeschmack darauf.
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