Neighbours
A Manifesto, A Play for Two Pavillons, and Ten Conversations
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Neighbours
A Manifesto, A Play for Two Pavillons, and Ten Conversations
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Manifeste, scheint es, haben wieder Konjunktur. Die Zeit der letzten Gewissheiten, in denen immer mehr Menschen meinen, Recht zu haben, genau zu wissen, was richtig und falsch ist, und dementsprechend glasklare Vorstellungen von der Welt, wie sie sein sollte, formulieren, schwappt auch ins Metier von Architektur und Stadtplanung. Auch „Neighbours“, das Buch zum Schweizer Pavillon auf der 18. Architekturbiennale Venedig, trägt das gewichtige Etikett im Untertitel. Doch davon lasse sich niemand abschrecken – ein Manifest ist nirgends zu finden auf den immerhin 224 Seiten des Buchs, als solches bezeichnet wird das 37 Zeilen lange Vorwort. Was danach kommt, ist dann schon interessanter: Auszüge aus dem fiktiven Gespräch, dass der Schweizer und der ihm benachbarte venezuelanische Pavillon seit Mitte der 50er Jahre führen, notiert vom Kunsthisto-riker Philip Ursprung, Kurator des Pavillons, und Interviews, die er und seine Mitstreiterin, die Künstlerin Karin Sander, mit Menschen geführt haben, die mit den beiden Gebäuden verbunden sind: etwa mit den Kunsthistorikern Roland Frischknecht, der zum Werk Bruno Giacomet-tis, Architekt des 1952 errichteten Schweizer Pavillons, geforscht hat, und Orietta Lanzerini und Kurt W. Forster, die sich mit dem Schaffen Carlo Scarpas beschäftigt haben, Urheber des 1956 fertiggestellten Pavillon von Venezuela. Oder, schon etwas überraschender, mit Lehrenden und Forschenden in Caracas, wohin die bei-den Kuratoren gereist sind, um mehr über das benachbarte Gebäude und seine wechselnde Wahrnehmung in Venezuela herauszufinden – vom Aushängeschild eines aufstrebenden, wohlhabenden Staates hin zum vernachlässigten Menetekel einer historisch überholten Kultur-Elite: Elisa Silva und Margarita López-Maya, die die beiden über nachbarschaftliche Realitäten in der venezuelanischen Hauptstadt heute und die Kulturpolitik der Regierung aufklären. Noch näher heran an die beiden Gebäude und ihre Geschichte sowie über ihre Nachbarschaft mit der Flora der Giardini kommen die beiden dank ihrer Treffen mit den Fotografen Paolo Gasparini und Gui-do Guidi, die Scarpas Pavillon bzw. die Firmen, die in seinen Bau involviert waren, ins Bild gesetzt haben, sowie mit Fred Stauffer, Kurator am Botanischen Garten Genf, der sie über den Schweizer Botaniker Henri Pittier aufklärt, welcher Anfang des 20. Jahrhunderts die Pflanzenwelt von Venezuela untersucht und dokumentiert hat – Duplikate seiner Sammlung finden sich auch in Zürich und Genf.
„Neigbours“ ist der Titel des Schweizer Pavillons von Sander und Ursprung: ein Gebäude, das sich selbst ausstellt und seine Beziehung zum Nachbarn überprüft: „We learn only through contact with others“, schreiben die beiden. Dieses Manifest entfaltet sich langsam, über die ganze Seitenstrecke, mit einem genauen Nachgehen der Beziehungen, die sich rund um die beiden Pavillons erzählen lassen. Eine wunderbare Lektüre weit über diese Biennale hinaus – und doch eine Momentaufnahme, an einem Zeitpunkt, in dem die Zukunft der beiden Gebäude wie der Biennale selbst in Frage steht. Wieder einmal.
0 Kommentare