One-Shot Harry
Eine ebenso lehrreiche wie spannende Lektüre, bei der nur die eingestreuten Sexszenen etwas pflichtschuldig wirken.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
One-Shot Harry
Eine ebenso lehrreiche wie spannende Lektüre, bei der nur die eingestreuten Sexszenen etwas pflichtschuldig wirken.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Kriminalromane werden auf diesen Seiten normalerweise nicht besprochen. In diesem Fall sei eine Ausnahme gestattet: „One-Shot Harry“ ist der erste ins Deutsche übertragene Roman von Gary Phillips – und ein Porträt von Los Angeles zu Beginn der 1960er Jahre. Der 2022 erschienene Roman des 1955 in L.A. geborenen Afroamerikaners dreht sich um die private Recherche eines Schwarzen Fotografen und Korea-Kriegsveteranen nach den wahren Hintergründen des Unfalltods eines Freundes auf dem Mulholland Drive. Das ist die Krimi-Ebene. Darunter – oder besser darüber – aber schwebt eine andere Geschichte, nämlich die des Kampfes der Schwarzen um ihre Rechte als Bürger. Gleich mehrere politisch-historische Hintergründe webt Philips in die Geschichte ein, die für das Verständnis der amerikanischen Gesellschaft und des Lebens in Los Angeles damals von Bedeutung waren (und leider auch heute noch) sind: den Rassismus der Polizei (der Protagonist wird gleich zu Beginn von drei Polizisten verprügelt, obwohl er sich als Pressefotograf ausweisen kann, der am Unfallort Fotos macht); die mächtige Unternehmergilde, deren Mitglieder an der Aufdeckung der wahren Motive keinerlei Interesse haben und dem privaten Ermittler zwei Killer auf den Hals hetzen, so dass der Jäger zum Gejagten wird; die Unterdrückung der Arbeiterbewegung unter dem Schlagwort „Antikommunismus“; die Schwarze Bürgerrechtsbewegung, gespalten zwischen der reformistischen Agenda Martin Luther Kings und der radikalen von Malcolm X und seiner „Nation of Islam“ – und nicht zuletzt auch das ebenfalls rassistisch beeinflusste Agieren der Stadtplaner, die neue Freeways mit Vorliebe durch besser gestellte Schwarze Wohnviertel schlagen und für den Neubau des Dodgers Stadium ein mittelständiges Quartier der mexikanisch stämmigen Angelenos einebnen lassen. Der Showdown findet dann auf einem Schrottplatz der Straßenbahn statt, deren Betrieb in jenen Jahren Linie um Linie eingestellt wird, um die autogerechte Stadt zu vollenden. Eine ebenso lehrreiche wie spannende Lektüre, bei der nur die eingestreuten Sexszenen etwas pflichtschuldig wirken.
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