Shifting Patterns
Christopher Alexander und der Eishin Campus
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Shifting Patterns
Christopher Alexander und der Eishin Campus
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Derzeit Studierenden wird er unbekannt sein, aber wohl auch viele praktizierende Architektinnen und Architekten werden eher wenig mit ihm anzufangen wissen: Christopher Alexander, 1936 in Wien geboren, in England aufgewachsen, Architekt, Planungstheoretiker, Feldforscher sowie Publizist zu vernakulären Bauformen und zwischen 1963 und 2001 Professor an der University of California, Berkeley, wo er ab 1967 das von ihm gegründete Center for Environmental Structure (CES) leitete. Vielleicht mag in manchem Architekturbüro sein publizistisches Hauptwerk im Regal stehen: „A Pattern Language. Towns Buildings Construction“ (Erstauflage 1977, 1995 in deutscher Übersetzung als „Eine Muster-Sprache. Städte Gebäude Konstruktion“ erschienen; Bauwelt-Literaturblatt „kursiv“ Nr. 26, 1996). In der Aufmachung eher eine sektiererische Bekenntnisschrift, beschreibt das Werk auf über 1200 Seiten 253 archetypische Situationen und bewährte Lösungsansätze, die jeden Menschen befähigen sollen, die eigene Umgebung selbständig und gut zu gestalten. Mit dieser fundamentalen Architektur- und Zivilisationskritik in Gestalt einer radikalen Ermächtigung des Nutzers traf Alexander eigentlich den Nerv seiner Zeit, die ja nicht nur aussteigerbewegte self-made houses im sonnigen Kalifornien hervorbrachte, sondern auch partizipative Modelle im europäischen Planungsprocedere einforderte. So avancierte die Publikation zu einem der am meisten verkauften Architekturbücher des 20. Jahrhunderts und wurde jenseits der engen Disziplin, etwa in der Software-Enwicklung, als Meilenstein gefeiert – als professionelle Planungsmethodik jedoch blieb sie marginal. Und damit wurde auch gleich Alexanders bauliches Werk, der konkrete Nachweis seines Instrumentariums, ausgeblendet.
Der Wiener Verein Diachron „zur Verbreitung und Vertiefung des Wissens über Architektur“ hat Alexanders größter Realisierung eine Publikation gewidmet, dem Eishin Campus in der Peripherie Tokios – eine private Schule mit College, die er samt Mitarbeitern des CES zwischen 1983 und 1989 realisierte. Vorbildlich und differenziert erfolgt die neuerliche Annäherung, ähnlich dem wechselnden Fokus, den auch Alexander an seine Betrachtungsgegenstände legt. Unter den Beiträgen von zehn Autoren findet sich etwa ein atmosphärisches Stimmungsbild Tokios der 1980er Jahre, dessen für europäische Augen so chaotisch, heterogen und sperrig erscheinendem baulichen Konglomerat ein Konsens sozialer Einordnung in eine gemeinsame Disposition attestiert wird – ganz ähnlich dem pädagogischen Konzept der neuen Schule. Der Initiator des Bauprojekts rekapituliert, wie er nach dem Fehlschlag mit einem „konventionell“ arbeitenden japanischen Architekturbüro in Alexander den kongenialen Partner fand, dessen Arbeitsweise genau dem erwünschten Dialog mit rund 100 Fakultätsmitgliedern und Schülern entsprach, der in eine spezifische „Project Language“ aus insgesamt 110 Mustern mündete. Die Disposition der Baukörper wurde in gemeinsamen Gesprächen und Begehungen des Grundstücks direkt ausgeflaggt, der Bauprozess mit einer großen Firma hingegen verlief weniger harmonisch: statt traditionell in handwerklicher Holzkonstruktion hätte sie lieber alles aus Stahl erstellt. Christopher Alexander zog 2012 ein bitteres publizistisches Resümee, sah einen Kulturkampf zwischen menschlich emanzipatorischer und technisch profitorientierter Methode. Der verantwortliche Projektarchitekt sieht es konzilianter, würdigt Kompetenz und Effizienz der Zusammenarbeit.
Im Zentrum des Buches steht eine fotografische Begehung aus dem Jahr 2017. Sie zeigt die komplexe Schulanlage, vorbildlich erhalten und gepflegt, ein Umstand, den man nach 30 Jahren Betrieb sonst selten antrifft. Und erneut vermag die Disposition der Bauten zu überzeugen und ihr Zusammenspiel mit den einfachen, kargen Freianlagen: das materialisierte, intuitiv empfunde-ne Gefühl einer Ganzheitlichkeit. Irritierend hingegen ist die Gestalt der einzelnen Bauten: vielleicht für japanisch Gehaltenes trifft auf sehr traditionell Europäisches. Der Wiener Architekturtheoretiker Christian Kühn lässt dann auch seiner Enttäuschung freien Lauf: Alexander scheint für Gebäude kein anderes Konzept zu kennen als die Urhütte in Form des dekorierten Schuppens mit Satteldach; wie Papiermodelle anonymer Architektur aus dem elisabethanischen England des 16. Jahrhunderts, verziert mit unbeholfenen Ornamenten. Kühn fordert deshalb zum Gedankenexperiment, wie das Ergebnis wohl ausgesehen hätte, wären Architekten einer moderaten Moderne, etwa Frank Lloyd Wright oder Rudolph M. Schindler, eingesprungen, um die „Project Language“ in ihre architektonische Sprache zu übersetzen.
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