Bauwelt

Ute Mahler, Werner Mahler, Ludwig Schirmer

Ein Dorf 1950–2022

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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Ute Mahler, Werner Mahler, Ludwig Schirmer

Ein Dorf 1950–2022

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Seit 1997 gehört Berka als Ortsteil zur thüringischen Kleinstadt Sondershausen. Was damals verwaltungstechnisch von der Landkarte verschwand, ist 25 Jahre später durch ein aufsehenerregendes Projekt in der öffentlichen Wahrnehmung wieder aufgetaucht: Ein Dorf mit knapp tausend Einwohnern, deren Alltag über zwei Generationen hinweg in eindringliche Bilder gesetzt wurde. Das daraus montierte Buch darf als Langzeit-Chronik ländlichen Lebens interpretiert werden, sollte aber auch als ein Stück Fotogeschichte – nicht nur der DDR – gelten.
Der Müllersohn Ludwig Schirmer (1929–2001) hatte nach dem Krieg die Wassermühle des Dorfes geerbt, aber seine wahre Leidenschaft galt dem Fotoapparat, mit dem er seine Nachbarn in allen zugänglichen Lebenslagen verfolgte. Die von Arbeitsmühsal und unbändiger Feierlust erzählenden Schnappschüsse landeten erst achtlos in der Kiste, später suchte er Professionalität, verließ Mühle und Dorf und wurde ab den1960ern in Berlin ein erfolgreicher Werbefotograf. Erst nach seinem Tod wurden die unbeschwerten Berka-Bilder von seiner Tochter gefunden. Die war inzwischen selbst eine namhafte Fotografin und von der Qualität jener frühen Bilder auf Anhieb gebannt – Vergleiche mit fotohistorischen Berühmtheiten wie August Sander oder den FSA-Heroen in USA drängten sich auf.
Ute Mahler, die Tochter, hatte in Leipzig Fotografie studiert, genau wie ihr Ehemann Werner, der 1977 als Diplomarbeit eine Dorfreportage wählte – praktischerweise die Heimat seiner Frau. Sein Blick auf das Leben der „Berk’schen“ war neugierig und einfühlsam. Doch auch analytisch, denn Reportagen folgen Regeln, brauchen Struktur, sind nie gänzlich frei. Trotzdem avancierten einige von Werner Mahlers Berka-Bilder zu bekannten Ikonen auf diversen Fotoausstellungen der späten DDR. Dieser Erfolg war Anlass genug, dass 1998 die Redaktion des Stern ihn noch einmal nach Berka entsandte, um zehn Jahre nach dem Beitritt die „blühenden Landschaften“ im Osten aufzuzeigen. Der Unterschied zur ersten Reportage aus den 1970ern fiel überdeutlich aus. Nähe und Einfühlung waren abhandengekommen. Der Fotograf stand vor einem „verschlossenen Dorf“, in dem „zwar immer noch hausgeschlachtet wird“, aber „die Kirche ist ein Denkmal und im sogenannten Millionenviertel stehen neue Einfamilienhäuser. Früher saßen die alten Frauen auf der Bank vor ihrem Haus, jetzt war vor den Häusern höchstens das neue Westauto zu sehen.“ So steht es im ersten der vier Begleittexte zum Buch. Der Hamburger Redaktion damals war Werner Mahlers Fotoserie „zu viel Schwarz-Weiß“. Heute eher zu registrieren: Auf diesen Bildern wird nicht mehr gearbeitet, man trägt Anziehsachen im Freizeitlook, und der Baumarkt hat das dörfliche Ambiente fest im Griff.
Wenn in solchen Bildern die Tendenz des „gesellschaftlichen Fortschritts“ aufscheint, darf nicht verwundern, dass die familiäre Entscheidung von 2021, nun auch Ute Mahler noch eine fotografische Visite ihres Heimatdorfes abzufordern, nahezu in einem Fiasko endete. Die erfahrene Beobachterin feinster zwischenmenschlicher Stimmungen trieb jetzt ratlos umher. Ihr Berka, seit Kindertagen tief vertraut, war nur noch auf sommerheißen Feldwegen und zwischen kratzigen Distelbüschen zu spüren. Den leblosen Behausungen versuchte sie zu entgehen, indem sie Jugendliche porträtierte, einzeln und draußen unter hohen Himmeln. Aus den Gesichtern dieser Milleniums-kinder spricht Absage – und damit ein Abschied vom Dorf unser aller heimseligen Überlieferung, wie er sich endgültiger kaum darstellen lässt. Wie das Land, aus dem zahllose Dörfer wie Berka übriggeblieben sind – lauter „abgeschlossene Sammelgebiete“.
Wer zum Schluss vom Soziologen Steffen Mau noch etwas sozialwissenschaftliche Expertise zum Umfeld der so unterschiedlichen Fotoszenarien erwartet, wird leider enttäuscht. Aus lauter Versatzstücken der verjährten Delegitimierungsstrategie der 1990er Jahre umreißt dessen Beitrag ein agitatorisches DDR-Bild, in dem die Häuser grau waren, Kittelschürzen aus Dederon, die Atemluft von Zweitaktern verpestet. Nichts als Mangel und Parteiwillkür, zu feiern gab es nur „kleines Glück“. Dass Ludwig Schirmer und Werner Mahler eine andere Realität vor Augen führen, in der dörflicher Alltag bei aller Beschwernis auch heute vermisste Lebensqualität bot, erreicht den Soziologen nicht. Solches Verkennen haben die ungemein poetischen, dabei sehr genauen Bilder dieses Buches nicht verdient (und die aktuelle Forschung zum Landleben Ostdeutschlands erst recht nicht). Doch im Zweifel war es ja immer die Kunst, deren Auskünfte sich auf Dauer als verlässlicher erwiesen.
Fakten

Verlag Hartmann Books, Stuttgart 2024
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aus Bauwelt 15.2024
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