Köthen: IBA Sachsen-Anhalt
Text: Klauser, Wilhelm, Berlin
Köthen: IBA Sachsen-Anhalt
Text: Klauser, Wilhelm, Berlin
Lässt sich der Grundgedanke der Homöopathie auf die Stadtplanung übertragen? In der Ludwigstraße hat ein Bewohnergremium, an dem maßgeblich Ärzte beteiligt waren, die künftige Entwicklung des Quartiers mitbestimmt. Ein „Pfad der Homöopathie“ wurde angelegt und eine „Europäische Bibliothek“ zur sanften Medizin konzipiert.
Köthen verliert Bevölkerung, Abbruchmaßnahmen im Bestand sind berechtigt, denn Folgenutzungen für leer stehende Gebäude sind unwahrscheinlich. Und ein Licht am Ende des Horizonts ist nicht erkennbar. Trotzdem gilt in Köthen: Homöopathie als Ideenträger. Es geht eben doch weiter, Stichwort Stadtumbau.
Das Thema Homöopathie ist in Köthen mehr als Wirtschaftsförderung und Branding. Natürlich ist Samuel Hahnemann (1755–1843), der Vater der Homöopathie, zunächst ein besonderes Alleinstellungsmerkmal. In Köthen hat er lange Jahre gewirkt und seine Schriftenherausgegeben. Deshalb finden hier die jährlichen Kongresse des deutschen Zentralver-bandes der homöopathischen Ärzte statt. Nach der IBA gibt es jetzt auch eine europäische Zentralbibliothek der Homöopathie – als Ergänzung zu der Bibliothek in Hamburg. Eingerichtet wurde sie in der Ruine eines katholischen
Hospizes. Außerdem gibt es ab 2011 erstmals einen eigenen postgradualen Master-Studiengang „Homöopathie“.
Viele Kleinstädte versuchen – ähnlich fixiert auf ein spezifisches Thema – ihre strukturellen Probleme anzugehen. Beispielhaft wird Köthen aber erst in der Ludwigstraße, im Zentrum, denn dort wird das Dilemma einer schrumpfenden Stadt in seiner ganzen Banalität sichtbar. Hier versucht man das Thema Homöopathie als Ideengeber in einem völlig
anderen Zusammenhang anzuwenden. In der Straße war eine Anzahl von Häusern nicht mehr zu halten. Nachdem die Gründerzeit-Straße durch eine frühere Sanierung ihr Gesicht verloren hatte, setzte eine unaufhaltsame Abwärtsspirale ein. 2008 standen 17 Häuser leer – kaum jemand wollte hier noch leben. Der einzige, wirtschaftlich realistische Weg
für die Wohnungsbaugesellschaft bestand imAbbruch. 15 Häuser sollten verschwinden, und unmittelbar an der Altstadt wäre ein veritables Manifest für das Ende der Kleinstadt entstanden.
Die Stadtpolitik hat dann, begleitet von IBA-Moderatoren, anders reagiert. Das Prinzip von Aktion und Reaktion, eine zentrale Aussage der homöopathischen Therapie, erschien plötzlich interessant. Dieser Ansatz impliziert ein prozesshaftes Vorgehen. Es gibt also keinen massiven Eingriff, sondern eine Reihung unterschiedlichster Kleinstaktionen, die ihre Wirkung erst entfalten müssen, bevor eine neue Aktion erfolgt.
Für den Know-How-Transfer bildete sich im Sommer 2006 eine Projektgruppe. Unter Beteiligung von homöopathischen Ärzten des Zentralverbands arbeiteten Vertreter der Stadtplanung, des Wohnungsbauunternehmens,
der IBA und örtliche Planer zusammen. Es gab aber kein eigentliches Projekt. Stattdessen stellte man eine Menge Fragen. Binäres Denken scheidet aus in der Homöopathie. Nicht, dass diese Erkenntnis neu wäre. Aber die Tendenz zu schwarz/weiß und ja/nein, die dem zielgerichteten Planen immanent ist, wollte man jedenfalls nicht weiter verfolgen. Aus Antworten der Anlieger und Eigentümer musste sich die Lösung entwickeln. Eigenwillig war in jedem Fall die Offenheit, die das Herangehen auszeichnet: Zielvorgaben, SWOT-Analysen, Controlling und dergleichen mehr hätten hier nur die allgemeine Ratlosigkeit im Umgang mit dem Stadtkörper übertüncht. Der „homöopathische Ansatz“ gibt sich weniger selbstgewiss, ist aber auch langwieriger. Nach der Auswertung der Antworten war es schwierig, einen geeigneten Impuls zu finden. Vorschläge einer „Aktivierung der Straße“ liefen zunächst alle ins Leere. Niemand wollte Kuchen backen und Kaffeklatsch. Inszenierte Teilhabe führte nicht zu Reaktionen. „Wir wissen nicht weiter!“ – diese klare Ansage erst, die das Lenkungsgremium 2008 den Anliegern der Ludwigstraße machte, traf ins Schwarze: Stadtplanungsamt, Homöopathen und Konzeptentwickler des IBA-Büros konfrontierten die versammelten Eigentümer mit den Tatsachen.
Die Reaktion war vernichtend. Die Vorstellung,dass es einfach keinen Plan geben sollte für die Zukunft, wollte niemand akzeptieren.
Nach dieser Veranstaltung setzte ein zweiter Diskussionsprozess ein, und langsam zeigten sich Ideen. Die Wohnbaugesellschaft ging auf Hauseigentümer zu, Hauseigentümer gingen auf die Wohnbaugesellschaft zu. Substanz wurde weiter abgerissen, aber immerhin: Private Eigentümer kauften der Wohnungsbaugesellschaft die Flächen ab. Sie investier-
ten in ihre eigenen Häuser, erweiterten und renovierten. Fünf Häuser, die verkauft wurden, werden saniert, Grünflächen eingerichtet, ein Projekt für alternative Wohnformen ist angedacht. Es zeichnet sich eine Zukunft ab für die Ludwigstraße.
Inzwischen ziehen die Anwohner mit. Homöopathische Behandlung wird eben nicht „verordnet“, sie erfolgt nur, wenn der Patient sich darauf einlässt. Die Unsicherheit des langfristigen Prozesses ist Herausforderung und Schwierigkeit zugleich. Der Köthener Ansatz ist weder kompatibel mit einer Planung, deren Leistung sich nach Ablauf einer Legislaturperiode messen lässt, noch mit der Idee einer Bau-Ausstellung, die am Ende ein Exponat vorzuweisen hat. Ist die Stadt trotzdem ein Modell? Zunächst ist sie ein Beispiel.
Das Thema Homöopathie ist in Köthen mehr als Wirtschaftsförderung und Branding. Natürlich ist Samuel Hahnemann (1755–1843), der Vater der Homöopathie, zunächst ein besonderes Alleinstellungsmerkmal. In Köthen hat er lange Jahre gewirkt und seine Schriftenherausgegeben. Deshalb finden hier die jährlichen Kongresse des deutschen Zentralver-bandes der homöopathischen Ärzte statt. Nach der IBA gibt es jetzt auch eine europäische Zentralbibliothek der Homöopathie – als Ergänzung zu der Bibliothek in Hamburg. Eingerichtet wurde sie in der Ruine eines katholischen
Hospizes. Außerdem gibt es ab 2011 erstmals einen eigenen postgradualen Master-Studiengang „Homöopathie“.
Viele Kleinstädte versuchen – ähnlich fixiert auf ein spezifisches Thema – ihre strukturellen Probleme anzugehen. Beispielhaft wird Köthen aber erst in der Ludwigstraße, im Zentrum, denn dort wird das Dilemma einer schrumpfenden Stadt in seiner ganzen Banalität sichtbar. Hier versucht man das Thema Homöopathie als Ideengeber in einem völlig
anderen Zusammenhang anzuwenden. In der Straße war eine Anzahl von Häusern nicht mehr zu halten. Nachdem die Gründerzeit-Straße durch eine frühere Sanierung ihr Gesicht verloren hatte, setzte eine unaufhaltsame Abwärtsspirale ein. 2008 standen 17 Häuser leer – kaum jemand wollte hier noch leben. Der einzige, wirtschaftlich realistische Weg
für die Wohnungsbaugesellschaft bestand imAbbruch. 15 Häuser sollten verschwinden, und unmittelbar an der Altstadt wäre ein veritables Manifest für das Ende der Kleinstadt entstanden.
Die Stadtpolitik hat dann, begleitet von IBA-Moderatoren, anders reagiert. Das Prinzip von Aktion und Reaktion, eine zentrale Aussage der homöopathischen Therapie, erschien plötzlich interessant. Dieser Ansatz impliziert ein prozesshaftes Vorgehen. Es gibt also keinen massiven Eingriff, sondern eine Reihung unterschiedlichster Kleinstaktionen, die ihre Wirkung erst entfalten müssen, bevor eine neue Aktion erfolgt.
Für den Know-How-Transfer bildete sich im Sommer 2006 eine Projektgruppe. Unter Beteiligung von homöopathischen Ärzten des Zentralverbands arbeiteten Vertreter der Stadtplanung, des Wohnungsbauunternehmens,
der IBA und örtliche Planer zusammen. Es gab aber kein eigentliches Projekt. Stattdessen stellte man eine Menge Fragen. Binäres Denken scheidet aus in der Homöopathie. Nicht, dass diese Erkenntnis neu wäre. Aber die Tendenz zu schwarz/weiß und ja/nein, die dem zielgerichteten Planen immanent ist, wollte man jedenfalls nicht weiter verfolgen. Aus Antworten der Anlieger und Eigentümer musste sich die Lösung entwickeln. Eigenwillig war in jedem Fall die Offenheit, die das Herangehen auszeichnet: Zielvorgaben, SWOT-Analysen, Controlling und dergleichen mehr hätten hier nur die allgemeine Ratlosigkeit im Umgang mit dem Stadtkörper übertüncht. Der „homöopathische Ansatz“ gibt sich weniger selbstgewiss, ist aber auch langwieriger. Nach der Auswertung der Antworten war es schwierig, einen geeigneten Impuls zu finden. Vorschläge einer „Aktivierung der Straße“ liefen zunächst alle ins Leere. Niemand wollte Kuchen backen und Kaffeklatsch. Inszenierte Teilhabe führte nicht zu Reaktionen. „Wir wissen nicht weiter!“ – diese klare Ansage erst, die das Lenkungsgremium 2008 den Anliegern der Ludwigstraße machte, traf ins Schwarze: Stadtplanungsamt, Homöopathen und Konzeptentwickler des IBA-Büros konfrontierten die versammelten Eigentümer mit den Tatsachen.
Die Reaktion war vernichtend. Die Vorstellung,dass es einfach keinen Plan geben sollte für die Zukunft, wollte niemand akzeptieren.
Nach dieser Veranstaltung setzte ein zweiter Diskussionsprozess ein, und langsam zeigten sich Ideen. Die Wohnbaugesellschaft ging auf Hauseigentümer zu, Hauseigentümer gingen auf die Wohnbaugesellschaft zu. Substanz wurde weiter abgerissen, aber immerhin: Private Eigentümer kauften der Wohnungsbaugesellschaft die Flächen ab. Sie investier-
ten in ihre eigenen Häuser, erweiterten und renovierten. Fünf Häuser, die verkauft wurden, werden saniert, Grünflächen eingerichtet, ein Projekt für alternative Wohnformen ist angedacht. Es zeichnet sich eine Zukunft ab für die Ludwigstraße.
Inzwischen ziehen die Anwohner mit. Homöopathische Behandlung wird eben nicht „verordnet“, sie erfolgt nur, wenn der Patient sich darauf einlässt. Die Unsicherheit des langfristigen Prozesses ist Herausforderung und Schwierigkeit zugleich. Der Köthener Ansatz ist weder kompatibel mit einer Planung, deren Leistung sich nach Ablauf einer Legislaturperiode messen lässt, noch mit der Idee einer Bau-Ausstellung, die am Ende ein Exponat vorzuweisen hat. Ist die Stadt trotzdem ein Modell? Zunächst ist sie ein Beispiel.
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