Bauwelt

Wenn wir Räume in der Stadt verlieren, wird es schwer, sie zu ersetzen

Clubkultur gestaltet das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben einer Stadt maßgeblich mit. Dennoch fehlt ihr häufig die gesellschaftliche Anerkennung. Lutz Leichsenring gehört zum Vorstand der Clubcommission, die in Berlin durch ihre Arbeit die Bedingungen für den Erhalt und die Entwicklung der kleintei­ligen Szenewirtschaft schafft.

Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin

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    Lutz Leichsenring gehört zum geschäftsführenden Vorstand der Clubcommission Berlin, Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter. Außerdem gründete er „Creative Footprint“, eine der weltweit führenden Organisationen für den Schutz der Kreativwirtschaft.
    Foto: Jascha Müller-Guthof

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    Lutz Leichsenring gehört zum geschäftsführenden Vorstand der Clubcommission Berlin, Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter. Außerdem gründete er „Creative Footprint“, eine der weltweit führenden Organisationen für den Schutz der Kreativwirtschaft.

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    Berlin, ...
    Abb.: VibeLab Consultancy

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    ... New York City, ...
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    ... Tokio: Die Initiative Creative Footprint untersucht den kreativen Raum und misst die Auswirkungen des Nachtlebens und von kulturellen Aktivitäten auf Städte.
    Abb.: VibeLab Consultancy

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    ... Tokio: Die Initiative Creative Footprint untersucht den kreativen Raum und misst die Auswirkungen des Nachtlebens und von kulturellen Aktivitäten auf Städte.

    Abb.: VibeLab Consultancy

Wenn wir Räume in der Stadt verlieren, wird es schwer, sie zu ersetzen

Clubkultur gestaltet das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben einer Stadt maßgeblich mit. Dennoch fehlt ihr häufig die gesellschaftliche Anerkennung. Lutz Leichsenring gehört zum Vorstand der Clubcommission, die in Berlin durch ihre Arbeit die Bedingungen für den Erhalt und die Entwicklung der kleintei­ligen Szenewirtschaft schafft.

Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin

Wie ist die derzeitige Lage in der Berliner Clubszene. Es gibt Überbrückungshilfen durch die Bundesregierung, aber reicht die Hilfe?
Das ist schwierig zu beantworten, weil das abhängig davon ist, wie lange diese Krise und der Shutdown der Clubs noch weitergeht. Die Kosten fallen monatlich an und sind hauptsächlich Miete, Personalkosten und laufende Verträge, zum Beispiel Leasing-Verträge. In Summe sind das in Berlin um die zehn Millionen Euro pro Monat. Davon ist natürlich ein Großteil durch Kurzarbeitergeld und durch Zuschüsse schon abgefangen oder auch durch eigene Spendenaufrufe. Aber je länger diese Krise geht, desto mehr stecken wir im Dilemma. Hilfs- oder Konjunkturpakete werden immer auf Sicht vergeben, wirklich nachhaltig und planbar sind sie nicht. Wir setzen hier auf weitere angekündigte Förder- und Zuschussprogramme des BKM, die hoffentlich speziell auf den Clubbetrieb zugeschnitten sein werden.
Die Gretchenfrage ist: Wie geht man mit dem Thema Mieten um?
Alles läuft darauf hinaus. Eine Kulturproduktion kann nun mal nicht so hohe Mieten zahlen wie der Einzelhandel oder ein Hotel. Aktuell während der Covid-19-Krise gilt es nicht, weil nicht gezahlte Mieten gesetzlich abgefedert werden, aber irgendwann wird es zu dem Punkt kommen, dass eine außer­ordentliche Kündigung möglich ist und es gibt einige Vermieter, die auf diesen Zeitpunkt warten. Wir würden uns eine Lösung wünschen, bei der Kulturorte zunächst gar keine Mieten zahlen müssen. Aufgrund der Schließungen vielleicht nicht derzeit, aber sie tragen zu einer vielfältigen Stadtgesellschaft bei! Wenn wir Räume in der Stadt verlieren, wird es schwer, sie zu ersetzen.
Neben steigenden Mieten, gibt es einige stadtpolitische Probleme: Spekulationen mit Immo­bilien und Baugrund, Verdrängung oder Lärmbeschwerden der Anwohner.
Die Probleme sind lokal und immer auf den einzelnen Club abgestimmt. Generell müsste systematisch daran gegangen werden. Baurechtlich ist ein Club eine Vergnügungsstätte und steht mit Bordellen oder Spielotheken auf einer Stufe. Wir fordern die Anerkennung als einen Kulturort, denn es ist für so ein Gewerbe zum Beispiel einfacher eine Baugenehmigung zu bekommen. Ein ganz anderes Thema ist Lärm. Deutsche Re­gelungen sind deutlich schärfer als die europäischen. Man kann die besten schallisolierten Fenster eingebaut haben, gemessen wird dennoch bei offenem Fenster. In Berlin gibt es glück­licherweise den Lärmschutzfond − eine Besonderheit weltweit. Bereits 25 Clubs konnten ausgestattet werden. Neben Verdrängung, Baunutzungsverordnung und Lärmschutz kommt noch ein weiteres Thema hinzu: Der Umgang mit dem öffentlichen Raum. Wie können − vor allen Dingen derzeit − öffentliche Flächen sinnvoll genutzt werden? Die Grünflächenverordnungen sind veraltet. Veranstaltungen im Freien sind verboten, auch wenn sich niemand gestört fühlen würde. Und ja, dabei geht es auch darum, wie man das Freiheitsgefühl und die Spontanität, die Berlin ausmachen, in den öffentlichen Raum transportiert, sozusagen „Möglichkeitsräume“ schafft. Das Unfertige zieht doch magisch an.
Und da spielt dieses besondere Phänomen mit rein: Ja zu einer bunten, aktiven und diversen Stadt, aber bitte nicht bei mir im Haus im Erdgeschoss oder davor auf der Straße.
Nicht jeder Veranstalter verhält sich auch ordentlich. Als Clubcommission werden wir da ak­tiv und schaffen ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Interessen. Tatsächlich gibt es inzwischen viele, viele Workshops, Nachbarschaftsgespräche, Roundtables etc., deutlich mehr als noch vor ein- oder zwei Jahrzehnten, wo man sich als Clubbetreiber, dann wenn es zu Beschwerden gekommen ist, einfach den nächsten Raum gesucht hat. Heute gibt es ein Bewusstsein dafür, dass ein Club Teil der Stadt­gesellschaft ist, auch wenn man Bubbles schafft und Spielwiesen kuratiert. Demnach muss man sich eben auch integrieren. Meistens sind es Einzelpersonen, die sich echauffieren. Am Schlesischen Tor in Berlin gab es eine kleine Anwohnerbewegung gegen einige Clubs. Dort haben wir moderiert, ein Nachttelefon eingeführt und mithilfe des Lärmschutzfond konnte entsprechend das Soundsystem umgebaut werden, es wurden Noice-canceling-Systeme integriert und mittlerweile hat sich diese Anwohnergemeinschaft aufgelöst, da es sich für viele deutlich verbesserthat. Man muss nur richtig kommunizieren.
Die Sitzung im Bundestag bezüglich einer Änderung der Baunutzungsverordnung wurde bereits kurz angesprochen. Mit welchen Argumenten sollten Clubs und Konzerthallen rechtlich mit Theatern und Kinos gleichgesetzt und damit als förderungswürdige Kulturorte anerkannt werden? Wo verläuft die Grenze zur nicht öffentlich geförderten Eckkneipe oder Bar mit einer angeschlossenen Tanzfläche?
Es gibt eine Studie von der Clubcommission, in der wir eine Definition formulieren. Es gibt drei Parameter der Clubkultur. Erstens muss es ein unabhängiger Ort sein, der nicht von einem Sponsor abhängig ist oder vom Staat. Er muss sich unabhängig finanzieren und organisieren – ein Jugendclub ist in diesem Sinne also kein Club. Zweitens, es muss sich um einen sozialen Raum für eine bestimmte Gruppe handeln. Es ist natürlich eine differenzierte Gruppe, die jedoch durch die Vorliebe zu einem bestimmten Musikgenre zu einer Gruppe wird, die sexuelle Präferenz kann da noch hinzukommen. Dadurch gibt es eine Zugangsbeschränkung: Nicht jeder Club ist für jeden passend. Aber auf Grund der Diversität der Szene gibt es am Ende für jeden einen Ort. Es gibt also sowas wie ein kuratiertes Publikum. Clubkultur kann nicht auf dem Marktplatz stattfinden, für jedermann. Der dritte Parameter ist Ästhetik. Clubkultur ist etwas, was sehr stark mit einer Philosophie oder einer Idee zusammenhängt. Dazu gehört, wie der Raum gestaltet ist, bestimmte Ansprüche an eine Musikanlage oder auch ein Programm, bei dem ein Künstler im Fokus steht und nicht ein Dienstleister. In diesem Dreieck bewegen wir uns. Ich glaube, es ist dadurch klar abgrenzbar. Zu diesem Dreieck könnten harte Kriterien hinzukommen: Wie viele Live-Veranstaltungen gibt es pro Jahr? Finden bestimmte Veranstaltungsformate statt für bestimmte Zielgruppen? Es gäbe ein paar Möglichkeiten zu definieren, wo die Grenze zwischen Eckkneipe oder Club verläuft. Und nicht jeder möchte um jeden Preis eine kulturelle Anlage sein. Dafür müsste man schließlich auch einige seiner Freiheiten aufgeben.
Die Clubcommission hat ein eigenes Clubkataster. Wie viele sind darin registriert?
Es gibt 500 Musikspielstätten in Berlin, dazu zählen zum Beispiel auch Opernhäuser. Als Clubs würden wir ungefähr 150 bezeichnen und um die 300 clubkulturelle Akteure gibt es in der Stadt. Die Veranstalter sind teilweise genauso relevant wie die Betreiber des Ortes. Manchmal ist der Ort gut, aber der Inhalt ist wichtiger.
Fakten
Architekten Leichsenring, Lutz, Berlin
aus Bauwelt 15.2020
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