Photoshop ist das Analogste, das ich nutze
Sie realisieren nicht, sondern visualisieren Architektur.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin
Photoshop ist das Analogste, das ich nutze
Sie realisieren nicht, sondern visualisieren Architektur.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin
Ein Gespräch mit Alexander Bartscher von Ponnie Images, Philip Dörge, Sönke Reteike von Grauwald Studios und Nora Walter über die Bedeutung emotionaler Bilder, hyperrealistische Ansätze, KI und das Vertrauen zwischen Visualisierern, Architektinnen und Auftraggebern
Während CAD-Zeichnen im Architekturstudium für die Studierenden erlernbar und Pflicht ist, scheiden sich bei der 3D-Visualisierung die Geister – manche scheinen ein Händchen dafür zu haben, andere weniger. Was hat euch dazu bewogen, den Weg in die Visualisierung einzuschlagen?
Alexander Bratscher Schon in der Schulzeit habe ich gerne Häuser gezeichnet. Im Architekturstudium Anfang der 2000er stellte ich dann fest, dass das auch gut am Computer funktioniert. So begann ich schon im Grundstudium, mich intensiv mit den Techniken der Architekturvisualisierung zu beschäftigen. Man muss nicht der harte Computer-Nerd gewesen sein, und es ist auch keine Zocker-Geschichte notwendig. Es gibt eher einen Antrieb, Architektur tatsächlich zu gestalten.
Sönke Reteike Im Studium an der UdK in Berlin hatte ich oft das Gefühl: Warum sprechen wir nie über das Bild? Warum thematisieren wir so selten den Ausdruck, den unser Entwurf am Ende vermittelt? Als ich dann an die ETH Zürich ging, merkte ich: Hier wird mit dem Bild gearbeitet. So wurde das Bild für mich schließlich zu einem zentralen Entwurfswerkzeug.
Philip Dörge Während meiner ersten drei Semester im Studium galt allein analoges Zeichnen. Ich fand es einengend, dass wir nur mithilfe des Schnitts und Grundrisses kommunizierten, während gleichzeitig in den Tischkritiken das Bild und die Referenz ein allgegenwärtiger Fixpunkt war. Später habe ich bei Miroslav Šik an der ETH studiert, bei dem bereits früh im Semester das Bild als entwerferisches Mittel angewandt wurde. Nicht nur das Rendering, sondern auch Collagen. Es stand nicht technische Finesse im Vordergrund, sondern das Vorantreiben des Entwurfs durch ein Bild.
Wie stark spielt bei eurer Arbeit das Analoge wie eine Handskizze noch eine Rolle?
Sönke Reteike Photoshop ist das Analogste, das ich nutze.
Philip Dörge Da stimme ich zu. Ich würde Photoshop als eine Art Brücke zwischen der analogen und der digitalen Welt sehen. Es gibt immer mal wieder Projekte mit starker bildhafter Vorarbeit. Technisch ist das 3D-Arbeiten heute viel zugänglicher geworden, sodass viele Architekturbüros inzwischen derart viel digital vorarbeiten, dass die Bilder bereits von Beginn der Zusammenarbeit an im 3D-Modell besprochen werden.
Alexander Bartscher Früher hat man zwanzig Prozent auf Grundlage von einem 3D-Modell gestartet, jetzt sind es eher achtzig Prozent. Für mich hat sich dabei jedoch nicht viel an der Bildarbeit geändert. Nur die Rezeption ist eine andere, und es kommen andere Prozesse in Gang. Das war früher lustiger, weil man häufiger diese Überraschungseffekte hatte, die heute seltener vorkommen. Der Prozess ist mittlerweile erwartbarer, da viele Architekturbüros ihre 3D-/BIM-Vorbereitungen zumindest grob im Griff haben. Dadurch geht es mehr um atmosphärische Fragen. Ich versuche, das Bild gleich fertigzustellen, da sonst die Gefahr besteht, Wünschen hinterherzulaufen. Das setzt aber voraus, dass man einander versteht und vertraut. Und deswegen sind wir auch alle Architekt*innen und nicht Grafiker*innen oder Quereinsteiger*innen.
Nora Walter Ich habe immer gern grafisch gearbeitet, seien es Aquarelle für Wettbewerbe, Modellbauen und Fotografieren als Nebenverdienst während des Studiums. Meine Zeit bei Caruso St John in London und Zürich hat mich sehr geprägt – stilistisch wie auch technisch. Das Rendering war meist nicht ausschlaggebend. Grundlage waren oft rein weiß gerenderte Szenen, deren Texturierung und Belebung dann in Photoshop angelegt wurden. Das gibt einem erstens die Flexibilität der Veränderung, des Austestens jenseits langer Renderzeiten. Heute ist meine Arbeit meist anders. Renderzeiten haben sich verkürzt, man wartet nicht mehr nächtelang auf ein Rendering und ärgert sich morgens über eine verpatzte Textur. Photoshop und seine Flexibilität wird im 3D-Sektor teilweise schon integrativ ersetzt. Trotzdem habe ich meine Empfindungen für ein stimmungsvolles Bild auch in diese Welt mitgenommen.
Was wird euch als Vorbereitung neben dem 3D-Modell geliefert – eine detaillierte Excel-Liste, was in dem Bild zu sein hat oder auch mal nur Skizzen?
Sönke Reteike Wenn man mit dem Auftraggeber vertraut ist und man eine ähnliche Entwurfssprache spricht, kann es sein, dass man am Ende nur eine Skizze bekommt und den Rest eigentlich selbst macht. Das funktioniert aber nur über eine gewisse Routine und bedarf die Akzeptanz unserer Entscheidungen.
Philip Dörge Es kommt immer darauf an, was zu visualisieren ist: ein Wettbewerbsbeitrag oder ein Bauprojekt, das sich schon in einem fortgeschrittenen Stand befindet. Ich habe mit der erwähnten rudimentären Skizze auch schon in eine Erstbeauftragung starten dürfen. Dann sitzt man ein bisschen aufgeschmissen da und fragt sich: Soll das eine Holzkonstruktion oder ein Stahltragwerk sein? Im besten Fall lässt sich das im Gespräch lösen, im schlechtesten Fall in sehr vielen Iterationen und Varianten. Andersrum: Man bekommt ein 3D-Modell, das bis zur Toilettenschüssel voll mit Objekten geladen ist. Das 3D-Modell erstelle ich daher lieber selbst, sodass ich selbst abstrahieren kann: Was halte ich für darstellbar, was für abstrahierbar und was kann ausgelassen werden.
Nora Walter Ich bin überrascht, dass du, Philip, deine 3D-Modelle lieber selbst baust. Es stimmt, dass man dadurch die eigenen Standards für die weitere Arbeit besser im Griff hat, und vielleicht den Aufwand nur auf das im Bild Sichtbare minimieren kann. In den meisten Fällen bekomme ich allerdings fertige 3D-Modelle, die dann erweitert und in den Kontext eingebettet werden. Die Startsitzung, Pläne, die den Entwurf gut erklären, sind auch Grundlage, zusammen mit Fotos vom Ort, falls vorhanden. Nicht zwangsläufig zur Nutzung in den Bildern, aber um ein Gespür für die Stimmung dort zu bekommen.
Alexander Bartscher Das Schlimmste, was in unserer Praxis passieren kann, sind Vermarktungsvisualisierungen, die mit Nicht-Architekturschaffenden für ein Projekt erstellt werden müssen, bei dem man gewisse Verpflichtungen hat, da man es schon über Jahre begleitet hat. Irgendwann beginnen dann die Diskussionen, wo das Rotweinglas stehen soll. Sobald es das Architektonische verlässt, verliere ich das Interesse daran.
Wo besteht der Unterschied zwischen Bildern, die zur Vermarktung von Immobilien entstehen, für eine Zielgruppe ohne architektonisches Vorwissen, und dem Bild, das für ein Architekturbüro entsteht, für einen Wettbewerb, eine Fachjury?
Sönke Reteinke Das Gute an Bildern ist, dass sie jeden auf emotionaler Ebene ansprechen sollten. Man kann Bilder erstellen, die alle Zielgruppen erreichen, das sehe ich auch als unsere Aufgabe. Auf der anderen Seite gibt es auch Bilder, die nur die einen oder nur die anderen ansprechen: Wenn du beispielsweise viele abgedroschene Feel-Good-Elemente wie das Rotweinglas, kitschige Sonnenuntergänge oder glückliche Familien ins Bild einfügst, kann der Experte damit nicht mehr viel anfangen, weil es dem zu aufdringlich ist und er sowas natürlich schon tausendmal gesehen hat – vielleicht stößt es ihn sogar ab. Wenn du aber ein Bild erstellst, bei dem man eine Ästhetik erreicht, die in der Einfachheit des Raumes steckt, spricht man eher die Experten und Expertinnen an.
Alexander Bartscher Das ist der Grund, warum viele dieser Bilder so langweilig sind: Sie versuchen einen Kompromiss herzustellen, der einerseits gefällig ist, aber gleichzeitig auch eine tiefere Lesbarkeit für die Eingeweihten unserer Kreise bietet.
Philip Dörge Heute gibt es nicht mehr diese Distinktion im Bild, die einem Architekturbüro eine erkennbare Identität verleiht. Wenn wir zurückblicken – nehmen wir die handgezeichneten Schnittperspektive von Paul Rudolph oder die Architekturdarstellungen von Karl Friedrich Schinkel, die ja fast schon wie Gemälde wirken –, dann waren das sowohl ihre entwerferischen als auch darstellerischen Alleinstellungsmerkmale. Heute werden Spezialist*innen beauftragt und Architekt*innen kaufen sich einen „Look“ extern ein, wodurch die Architektur generisch mit der Person unterfüttert wird, die für die Projektdauer mit an Bord geholt wird. Viel spannender wäre es, wenn das Bild in der Zusammenarbeit mit den Büros als Entwurfswerkzeug dient und nicht nur als reine Abgabeleistung fungiert.
Nora Walter Die Visualisierung ist ein äußerst subjektiver Ausdruck eines Entwurfs. Genau das hat mich an diesem Feld fasziniert: Der Umgang mit der Darstellung ist für jedes Büro sehr individuell, und die Entwerfer*innen müssen sich sowie ihren Entwurf in den Bildern wiedererkennen können. Viele Büros haben bereits eigene Tools integriert und etablieren ihre Marke durch einen spezifischen Stil. Spannend wird es, wenn man Teil dieser Stilbildung wird und gemeinsam mit ihnen einen visuellen Ausdruck entwickelt.
Gibt es aktuell einen Trend?
Sönke Reteinke Eine Zeit lang lag der Trend auf absoluter Präzision, die zu einer Art Hyperrealismus führte. Besonders interessant waren – und sind es immer noch – die Bilder, die weglassen und einfach die Banalität des Straßenraums zeigen. Man fragt sich: Ist das wirklich gerendert? Warum sollte jemand das rendern? Oft finde ich es besonders schön, wenn das Bild nicht alles zeigt, sondern Raum für die eigene Imagination lässt. Das heißt, man zeigt nur einen Ausschnitt, eine Szene. Leider ist das in Wettbewerbsverfahren selten der Fall. Für uns gilt der Leitsatz: Das Bild soll berühren. Das kann beispielsweise eine Lichtstimmung sein, die mich anspricht – auch wenn ich die schon hundertfach gesehen habe.
Nora Walter Für mich sind Artefactory-Lab und insbesondere Olivier Campagne zentrale Akteure im Bereich des Hyperrealismus. Ihre Bilder erscheinen „besser“ als die Realität: Sie vereinen eine künstlerische Atmosphäre, oft durch subtil eingesetztes Licht, mit einer optimistisch-realistischen Materialdarstellung. Es ist ein Realismus, der letztlich keiner ist.
Alexander Bartscher Die Sujets der Bilder sind eigentlich eher langweilig: Es sind immer Häuser, in denen Menschen irgendwas tun – immer wieder Häuser. Das Spannende sollte eigentlich in der Architektur selbst und nicht im Bild liegen. Das, was dafür richtig gut sein muss, ist die Architektur. Wir alle haben schon einmal Geister in Räume platziert oder romantische Tiere eingesetzt, um das Bild auf eine neue Art lesbar zu machen. Am Ende ist meine Arbeit eng mit dem Projekt verknüpft, sodass in der Symbiose von Bild und Projekt eine aussagekräftige Botschaft auf beiden Ebenen entsteht – sowohl als Architekturprojekt als auch in seiner Repräsentation.
Philip Dörge Durch die enorm fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten, hat sich der Trend hin zu einem fotografischen Ansatz entwickelt. Man bewegt sich wie eine Fotograf*in im digitalen Raum und sucht nach dem perfekten Motiv. Am Ende entstehen oft weniger komponierte, stark überladene Bilder und die eigentliche architektonische Aussage verliert unter der Fülle additiver Details an Wirkkraft. Besonders auf Plattformen wie Instagram ist dieser Trend gut zu beobachten. Die entscheidende Frage sollte jedoch nicht lauten: Wie viel kann ich zeigen? Sondern: Wie wenig ist notwendig, um die Aussage des Gebäudes und die architektonische Haltung sichtbar zu machen.
Alexander Bartscher Bildsprachen sind oft mit bestimmten architektonischen Haltungen verbunden.Vor fünf bis zehn Jahren hat Bruther mit Artifactory Bilder erstellt, die wir alle bewundert haben mit Kommentaren wie: „oh nice, Fotorealismus!“ Heute erstellt im Prinzip jedes zweite Büro ähnliche Bilder mit einer ganz ähnlichen Architektur. Zudem gibt es einen Trend zurück zur Modellfotografie, die mittlerweile in eine Blender-Ästhetik überführt wird.
Wie viel Freiraum habt ihr, wenn es darum geht, eine Geschichte zu erzählen? Ist es eure Entscheidung, ob das Haus in einer Winter- oder in einer Herbstlandschaft steht?
Nora Walter Das ist sehr abhängig von den Auftraggeber*innen. Philip sprach es gerade schon an: Es kann passieren, dass Bilder durch zu viel Überarbeitung und Detail an Qualität verlieren. Das berühmte: Man will alles auf einmal zeigen. Obwohl ich es schätze, detailreich zu arbeiten und die Geschichte des Ortes, der Landschaft und der Architektur einzubeziehen, kann die Szene dabei so überladen wirken, dass unklar bleibt, worauf das Augenmerk liegen soll. Um das zu vermeiden, ist Kommunikation wichtig, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen.
Sönke Reteinke Das Verhältnis zwischen Auftrag und Visualisierung ähnelt dem zwischen Bauherrschaft und Architekturbüro. Einerseits wird eine Dienstleistung erbracht, andererseits entsteht ein eigenständiges Werk. Die Bildgestaltung liegt bei der Visualisierung, während der Auftrag bis zu einem gewissen Grad Einfluss darauf nehmen kann. Ob das Bild etwa eine Winterlandschaft zeigt, ist meist zunächst ein Vorschlag von unserer Seite.
Philip Dörge Oft gibt es zu Projektstart noch keine Haltung hierzu. Eher scheitert man mit dem Vorabzug eines Winterbildes und muss den Schnee durch die Blumenwiese ersetzen.
Alexander Bartscher Es ist immer eine Verhandlung. Wenn du vernünftig argumentieren kannst – zum Beispiel: „Es macht doch Sinn, hier eine Winterlandschaft darzustellen, damit die Polychromie richtig zur Geltung kommt; das ist schließlich das Narrativ eures Entwurfs. Wenn ich das Haus ins Grüne setze, wird das Thema nicht sichtbar“ – dann sind das überzeugende Argumente. Ich mache ja kein Winterbild, weil ich mich nach Winter fühle, sondern es sollte begründet sein. Und das versuche ich zu vermitteln. Voraussetzung dafür ist eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Büropartnern. Was nicht funktioniert, ist, dass ich in der ersten Woche ein Bild mit dem Praktikanten mache, in der zweiten Woche schaut die Projektleiterin darauf und zwei Tage vor der Abgabe dann der Partner und irgendwann noch die Inhaberin.
Ihr habt alle Architektur studiert. Inwiefern ist eure Arbeit auch manchmal eine Korrekturschleife für den Entwurf.
Philip Dörge Durch das digitale Modellieren und Materialisieren des Gebäudes übertragen Büros natürlich indirekt eine Reflexion ihrer eigenen Entwurfsgedanken, mal mehr, mal weniger. Entscheidend ist, wie stark und schlüssig ein Projekt in sich selbst ist, auch wenn es vielleicht nicht der eigenen Haltung gegenüber dieser Aufgabe entspricht.
Alexander Bartscher Es macht natürlich Spaß, auch an architektonischen Konzepten diskursiv mitzuwirken. Das ist ja eigentlich immer unser Anspruch: Die architektonische Darstellung als Entwurfswerkzeug zu verstehen.
Sönke Reteinke Das funktioniert vor allem bei Büros, mit denen ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis besteht und man die Entwurfshaltung nachvollziehen kann.
Wer ist der Urheber der Bilder: das Architekturbüro, das die Idee und das Konzept entwickelt hat, oder das Visualisierungsbüro des Bildes?
Nora Walter Urheberschaft an einem Bild hat das Visualisierungsbüro – und klar, die Urheberschaft des Entwurfs liegt beim Architekturbüro. Deshalb gibt es von mir das uneingeschränkte Nutzungsrecht für die Bilder dazu.
Alexander Bartscher Wir orientieren uns da an den Richtlinien, die für Architekturfotograf*innen gelten. Das heißt: Das Urheberrecht verbleibt bei uns, einfaches Nutzungsrecht geht an die Kundschaft und für darüber hinausgehende Rechte, wenn die Kund*in die veräußert, muss mit uns Rücksprache gehalten werden.
Sönke Reteinke Was immer wieder vorkommt: Man wird irgendwo veröffentlicht und nicht genannt. Das ist der Bauwelt auch schon passiert. Ihr habt es aber nach einem Anruf von uns korrigiert. Die Profession der Visualisierung scheint leider noch nicht denselben Stellenwert erreicht zu haben wie die der Fotografie. In Wettbewerbsverfahren bleibt oft unklar, ob eine Visualisierung beigesteuert wurde. Es gibt zwei Informationsschritte auf dem Weg zum publizierenden Medium: das Architekturbüro und den Auslober. Die Namen der Visualisierer*innen gehen oft verloren.
Alexander Bartscher Eigentlich müssten die Wettbewerbsorganisator*innen deutlich machen, dass der Verfassererklärung noch eine Bildverfassererklärung beigefügt wird.
Wo zieht ihr die Grenze zwischen künstlerischer Freiheit – die Fenster sind total überstrahlt und es wird in Realität nie so aussehen – und technischer Genauigkeit?
Philip Dörge Genau an dem Punkt ist ja das Rendering immer das Schreckgespenst, beim Vorher-Nachher-Vergleich. So sah es im Rendering aus – da ist alles schön, sauber und hell – und dann blickt man beim fertigen Gebäude in dunkle Löcher.
Alexander Bartscher Das ist es, was zum Stigma des Renderings beiträgt: „Das Bild lügt!“ Das zeigt für mich aber eher eine Inkompetenz der Interpretation als einen Mangel des Bildes. Alles hängt davon ab, welche Art der Kommunikation und Rezeption gewünscht ist. Man kann Bilder übertreiben, um architektonische Ideen und Narrative klar zu vermitteln. Natürlich gibt es auch Bilder, die absichtlich lügen und irreführend sind, und solche falschen Darstellungen werden zurecht kritisch hinterfragt. Aber ich denke, wir haben auch gar nicht den Anspruch, die Realität 1:1 wiederzugeben.
Nora Walter Eine architektonisch akkurate Darstellung ist nicht möglich. In England gibt es das Konzept der „verified views“, bei dem Gebäude in Planung an bestimmten Tagen und unter bestimmten Lichtverhältnissen genau dargestellt werden müssen. Das käme diesem Wunsch am nächsten. Aber auch hier bleibt viel Spielraum: Glas kann je nach Oberflächenbeschaffenheit unterschiedlich wirken, und die Lichtverhältnisse beeinflussen die Wirkung der Materialien erheblich. In der Architekturfotografie sieht man ebenfalls, wie streng kuratiert die Abbildungen sind; manchmal kann man sie kaum noch von Renderings oder Visualisierungen unterscheiden.
Sönke Reteinke Wir ziehen bei bewussten Falschdarstellungen eine klare Grenze, zum Beispiel wenn wir eine Wohnung rendern sollen mit der Anfrage, die Möbel und die Menschen zu schrumpfen, damit die Wohnung größer wirkt.
Ihr tragt die Verantwortung dafür, welche Botschaft das Bild vermittelt. Oft sind in den Bildern weiße Menschen zu sehen, die Kleidung tragen, die der Mittel- oder Oberschicht entspricht. Achtet ihr darauf, dass die abgebildeten Personengruppen divers sind? Gibt es Auftraggeber, die sagen: „Den einbeinigen Junkie im Rollstuhl wollen wir nicht im Bild haben!“
Alexander Bartscher Architekturschaffende haben oft die Motivation, mit ihren projektiven Bildern das zukünftige Leben vorwegzunehmen, um es in den reflektiven Bildern anschließend zu destillieren. Gleichzeitig gibt es derzeit ein verstärktes Bewusstsein für das Thema Diversität, auch innerhalb der Architekturbüros. Dabei kommt es teilweise zu Wünschen nach übertriebenen Diversitätsklischees – bis hin zu absurden Forderungen. Ich versuche, diese Diskussion möglichst kurz zu halten. Die Schweizer Bildschule setzt seit jeher auf einen reduzierten und gezielten Einsatz von Staffage.
Nora Walter Ich platziere auch nicht gerne Menschen, achte dann aber dem jeweiligen Projekt entsprechend auf Diversität. Tatsächlich komponiert man meist das jeweils „Wahrscheinlichste“ zusammen.
Sönke Reteinke Mich würde interessieren, ob die anderen schon mal explizite Forderungen erhalten haben, die sexistische, rassistische oder klassistische Klischees in Bildern reproduzieren sollten? Wir zum Glück nicht. Und wir würden solche Forderungen klar ablehnen. Implizit sind diese Themen immer vorhanden, sobald wir Menschen darstellen. Dessen muss man sich bewusst sein.
Alexander Bartscher Es ist hyperaffirmativ: Entweder ist es egal, weil niemand ernsthaft darüber nachdenkt, oder es müssen mindestens zwei Personen im Rollstuhl in der Nähe der Rampe sein, um die Inklusivität der Planung zu verdeutlichen. Die Büros vertrauen der architektonischen Rampe nicht, dass sie es deutlich
genug macht.
genug macht.
Philip Dörge Konkrete Fälle habe ich noch nicht erlebt. Höchstens, dass eine Genossenschaftswohnung, die Anspruch auf bezahlbaren Wohnraum hat, wie ein Vitra-Showroom möbliert werden sollte. Was die Darstellung von Personen betrifft, versuche ich mich davon freizumachen. Menschen in Bildern ziehen unterbewusst immer die Aufmerksamkeit auf sich. Daher stelle ich sie, wenn überhaupt, als unscharfe, sich bewegende Masse dar.
Wie steht ihr zu KI-generierten Bildern?
Nora Walter In meiner Arbeitsroutine für Visualisierungen habe ich KI bisher noch nicht wirklich viel genutzt. Die Bilder, die sich generieren lassen, haben meistens eine zu geringe Auflösung. Das liegt daran, dass die meisten Modelle mit dem durchschnittlich online verfügbaren Bildmaterial trainiert werden – Architekturvisualisierungen benötigen jedoch deutlich größere Formate. Zudem weisen die Ergebnisse von KI immer ein gewisses Grad an Willkür auf, selbst wenn man mit präziseren Tools wie ComfyUI arbeitet. In meiner Arbeit mit reinen Architekturvisualisierungen lohnt es sich also höchstens mit KI einzelne Staffagen zu generieren, seien es stilisierte Bäume oder Personen.
Alexander Bartscher Ich befasse mich intensiv mit der Frage, welche Automatisierungsprozesse machbar sind. Ich sehe sowohl große Potenziale als auch große Gefahren. Wenn man wie ich vor zwanzig Jahren studiert hat und mit Studio-Max zu arbeiten begann, und sich Studio-Max heute anschaut, sieht man, dass sich zwar vieles verändert hat, aber aus Anwenderansicht nur marginal. Das gilt auch für Programme wie Cinema, Vectorworks und AutoCAD. All diese Werkzeuge wirken im Hinblick auf die KI-Möglichkeiten fast nicht mehr zeitgemäß. Allerdings sind bei ihnen auch Ansätze neuer, effektiverer Werkzeuge erkennbar.
War man früher beispielsweise auf den eigenen Fotosatz von Menschen angewiesen, um sie in Bildern zu verwenden, können wir jetzt zu jeder Zeit und in Sekunden Assets auf einen Klick kreieren. Noch ein Klick, dann sind sie freigestellt – und schwupps, sie sind im Bild mit der richtigen Belichtung. Ich bin aber nicht der Auffassung, dass unser Beruf in den nächsten zwei, drei Jahren obsolet wird. Mit neuen Tools kommen eben auch immer neue Anforderungen. Am Ende geht es um die Lebenszeit, die auf etwas verwendet werden muss. Daher wird es wahrscheinlich weiterhin eine Notwendigkeit für eine weitergehende Spezialisierung geben.
Sönke Reteinke Wir nutzen KI letztendlich nur zur Überarbeitung von Bildern, um mehr Details hinzuzufügen. Es ist jedoch mit erheblichem Aufwand verbunden, ein Bild mithilfe von KI genau nach den eigenen Vorstellungen zu erstellen und dabei die vollständige Kontrolle zu behalten. Momentan ist das Rendern da noch der bessere Weg. Unsere Hoffnung ist, dass die technischen Prozesse sich derart vereinfachen lassen, dass wir uns stärker mit gestalterischen Fragen befassen können und weniger mit technischen Fragen auseinandersetzen müssen.
Philip Dörge KI ist nicht die Eier legende Wollmilchsau, wie viele meinen. Es ist zur Zeit nur ein weiteres Mittel den gestalterischen Prozess zu vereinfachen und zu bereichern.
Alexander Bartscher Aber es wird nicht dabeibleiben, dass es nur als Werkzeug funktioniert. Sobald eine sinnvolle Integration hochwertiger Bildmodelle in effektive BIM-Anwendungen vorhanden ist, bei denen die 3D-Koppelung mit der Bildproduktion funktioniert, werden auch die Architekturbüros andere Iterationsgeschwindigkeiten erreichen und sowohl Input als auch anderes Feedback zu unserer Produktion geben können. Bis die Tools jedoch ein solches Präzisionsniveau erreichen, wird es noch eine ganze Weile dauern.
Es gibt Wettbewerbe, bei denen Visualisierungen im Sinne einer Objektivität und Fairness nicht zugelassen sind. Beeinflusst das eure Auftragslage?
Sönke Reteinke Der eine Grund, warum Visualisierungen manchmal nicht zugelassen werden, ist, dass das Preisgeld dann geringer ausfallen kann. Der andere Grund ist, dass Visualisierungen beschönigen, und ein kleines Büro muss erst mal die Ressourcen aufbringen, um eine Visualisierung zu erstellen. Das kann ich nachvollziehen. Was unsere Auftragslage betrifft, habe ich das Gefühl, dass eher mehr Visualisierungen angefragt werden als weniger.
Und das Argument der Vergleichbarkeit, findet ihr das gerechtfertigt?
Nora Walter Ich kann die Sorge vor Wettbewerbsverzerrung durch Bilder ehrlicherweise nicht nachvollziehen. Natürlich macht es einen Unterschied, wenn sich ein Teil der Teilnehmenden an Wettbewerben die teure Erstellung von Bildern leisten kann und der andere Teil nicht, aber ich empfinde es nicht so, als seien das dann grundsätzlich die besseren Bilder. Wenn man sich beispielsweise auf Espazium die Gewinner der letzten Monate ansieht, ist die Vielfalt an Bildsprachen und Abstraktionsgraden genau so groß wie die der vorgeschlagenen Architekturen. Und das finde ich gut so!
Alexander Bartscher Ich glaube, mit der einhergehenden, technischen Demokratisierung des Bildes relativiert sich das Problem zunehmend, sodass tatsächlich immer seltener die Art der Qualität des Bildes wirklich den Ausschlag gibt. Ich sitze hin und wieder in Preisgerichten und habe nie erlebt, dass man eine Entscheidung aufgrund eines technisch toll gemachten Renderings fällt.
Zum Schluss in einem Satz: Was braucht ein gutes Architekturbild?
Nora Walter Den Willen, in jedem Bild den besonderen Moment zu entdecken, der dem Projekt und seiner Eigenart gerecht werden kann.
Sönke Reteinke Ein gutes Architekturbild muss berühren.
Alexander Bartscher Ein gutes Architekturbild zeigt gute Architektur – und ein bisschen mehr.
Philip Dörge Ich glaube: Es braucht Haltung, architektonisch wie bildnerisch, und Mut zum Weglassen.
Philip Dörge Ich glaube: Es braucht Haltung, architektonisch wie bildnerisch, und Mut zum Weglassen.
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