Bauwelt

Die Kammer denkt viel zu häufig nur vom Hochbau aus, dabei sind wir vier Disziplinen

In der niedersächsischen Kammer bildet die Initiative NewKammer die größte Gruppe in der Vertreterversammlung. Ein Gespräch über Genera­­­­­ti­­­onskonflikte und Inter­diszi­pli­na­rität.

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

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    Zur NewKammer gehören derzeit rund 16 Architekten und Planer. 14 sitzen in der Vertreterversammlung der Architektenkammer Niedersachsen.
    Foto: Stephanie Gogolin

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    Zur NewKammer gehören derzeit rund 16 Architekten und Planer. 14 sitzen in der Vertreterversammlung der Architektenkammer Niedersachsen.

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    Haus in Eisendorf
    Abb.: Planer

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    Wohnraumstudie
    Abb.: Planer

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    Abb.: Planer

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    Kita Husum
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    Abb.: Planer

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Die Kammer denkt viel zu häufig nur vom Hochbau aus, dabei sind wir vier Disziplinen

In der niedersächsischen Kammer bildet die Initiative NewKammer die größte Gruppe in der Vertreterversammlung. Ein Gespräch über Genera­­­­­ti­­­onskonflikte und Inter­diszi­pli­na­rität.

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

Was ist die NewKammer in einem Satz?
Gwendolyn Kusters Wir sind ein offenes, interdisziplinäres Netzwerk.
Das Netzwerk gibt es seit 2011. Wie habt ihr es aufgebaut?
Oliver Seidel Als Berufsanfänger sind wir damals zur Kammer gegangen und haben uns darüber beschwert, dass wir den Eindruck haben, nur Steine in den Weg gelegt zu bekommen und nicht gefördert zu werden. Damit haben wir offene Türen eingerannt. Die Kammer initiierte daraufhin einen Abend, der zum Netzwerken für Architekten und Stadtplaner dienen sollte. Daraus wurde dann die NewKammer.
Michael Sauer Hätte sich die Kammer an der Stelle nicht des Themas angenommen und eine Plattform angeboten, wäre unsere Anfrage damals – und unser Engagement – wahrscheinlich auch verpufft.
Gwendolyn Kusters Bei den ersten Treffen waren achtzig Leute.
Dann hat die Kammer ja wahnsinnig schnell auf eure Beschwerde reagiert.
Michael Sauer Sie hat den Aufruf gestartet, sie hat Räume zur Verfügung gestellt und selbst der Name NewKammer kommt von ihr.
Gwendolyn Kusters Nach den ersten Treffen wurde klar, dass wir uns nicht nur austauschen wollen, sondern uns auch politisch engagieren und in Gremien wählen lassen wollen.
War das ein Problem?
Gwendolyn Kusters Zu dem Zeitpunkt noch nicht. Die Kammer hat uns dazu ermutigt, uns für die Vertreterversammlung aufstellen zu lassen.
Oliver Seidel Das interessante war, dass die Kammer Nachwuchs wollte, dass sie eine Plattform initiiert. Doch von dieser Plattform stellt sich nicht einer zur Wahl auf, sondern gleich fünf, die prompt alle in die Vertreterversammlung gewählt werden. Michael Sauer hatte zum Beispiel fast genauso viele Stimmen wie der damalige Kammerpräsident. Zu dem Zeitpunkt hat die Kammer gemerkt, dass es innerhalb der Vertreterversammlung auf einmal eine neue Interessengruppe gibt – eine neue Strömung, wenn man so sagen will. Ich weiß, dass es einige ein Stück weit bereut haben, die Netzwerktreffen überhaupt organisiert zu haben. Ein wenig nach dem Motto: „Die Geister die ich rief“ – mit denen man dann umgehen muss.
Tanja Remke Ab da fehlte die Unterstützung. Im Vorstand wurde entschieden, dass die Netzwerktreffen NewKammer nicht mehr gefördert werden. Es wurde nicht mehr eingeladen, es wurde kein Raum mehr gemietet, es wurde kein Programm mehr gestellt. Aber wir durften den Namen weiterverwenden, da wir ja als solche gewählt worden sind.
Gwendolyn Kusters Damit gab es dann keine NewKammer-Treffen mehr mit dreißig oder vierzig Teilnehmern, sondern nur noch mit uns fünf Gewählten. Organisatorisch war es nicht zu leisten, groß einzuladen und Räume anzumieten.
Michael Sauer So war das von 2012 bis 2017.
2017 habt ihr euch erneut zur Wahl gestellt?
Michael Sauer Wir fünf haben uns zusammengesetzt und überlegt: Entweder wir hören auf, oder wir machen weiter, dann aber mit mehr Wumms.
Tanja Remke Innerhalb einer Woche haben wir 13 Leute akquiriert. Sodass wir dann zur Wahl 2017 nicht mehr nur mit fünf, sondern mit 16 Kandidaten antreten konnten. Von den 16 sind 14 in die Vertreterversammlung gewählt worden. Damit waren wir die zweitstärkste Fraktion und haben sogar den Bund Deutscher Baumeister geschlagen.
Gwendolyn Kusters Durch diese Schlagkraft hatten wir das Recht auf zwei Vorstandsposten, und Oliver Seidel hat den Vorsitz des Ausschusses Zukunft des Berufsstandes übernommen.
Für die etablierten Verbände muss das hart gewesen sein.
Björn Bodem Dazu muss man verstehen, dass die Niedersächsische Architektenkammer sehr stark von den verschiedenen Verbänden geprägt ist, die wir in der Vertreterversammlung aber nicht repräsentiert haben.
Oliver Seidel Die NewKammer ist kein Verband, sie ist noch nicht mal ein Verein. Einige Vertreter des BDA haben uns sogar aufgefordert NewKammer in der nächsten Wahlperiode aufzugeben und in die etablierten Verbände einzutreten. Das fand ich anmaßend. Als könnte man nicht auch als freie Gruppe sinnvolle Kammerarbeit leisten.
Tanja Remke Letztlich haben wir Plätze weggenommen – und zwar viel mehr als erwartet. Der klassische Generationenkonflikt: Es gibt eine Furcht vorm Nicht-bewahren-können. Die erste Haltung ist da natürlich Abwehr.
Michael Sauer Mittlerweile sind wir fast alle auch Mitglieder in den etablierten Verbänden. Ich glaube 2017 war es ein Stück weit Frustration. Die Kammer und die Verbände haben Schwierigkeiten jüngere Leute zu motivieren. Dann kommen wir als unorganisierte Gruppe daher und sind bei den Vertreterversammlungen so erfolgreich.
Vielleicht müssen wir an dieser Stelle den Begriff definieren. Ist die NewKammer die Vertretung von Absolventen und jungen Berufs­einsteigern?
Oliver Seidel Wir interpretieren den Namen NewKammer nicht so, dass wir die Newcomer sind, sondern dass wir eine neue Kammer brauchen.
Gwendolyn Kusters Wir von der NewKammer sind nicht jung, das muss man ganz klar sagen. Die NewKammer steht für eine neue Art der Zusammenarbeit. Die Art und Weise wie wir Dinge angehen, wie wir argumentieren. Wir diskutieren auf einer Augenhöhe von allen Disziplinen aus.
Da sind wir auch schon bei eurem Hauptan­liegen: Interdisziplinarität
Björn Bodem Dass jeder in seiner Disziplin ein Spezialist ist, wird in unserer Generation gar nicht in Frage gestellt. Wir wissen, dass wir uns gegenseitig brauchen. In älteren Generationen ist das anders. Da garniert der Architekt seine Arbeit mit einem Baum und einem Kissen und meint, damit alle anderen Fachrichtungen abgedeckt zu haben.
Gwendolyn Kusters Und auch in der Kammer sind die Hochbauarchitekten diejenigen, die
den Ton angeben. Das ist bei der NewKammer nicht so, das ist unsere Stärke. Damit haben
wir bei den Kammerwahlen anscheinend auch überzeugt.
Tanja Remke Als ich von euch vor zwei Jahren angesprochen wurde, hat mich genau das überzeugt. Als Innenarchitektin wird man in der Hochschule schon so sozialisiert, dass man eine kleine Randgruppe ist, die immer benachteiligt wird. Wir wollen ein anderes Verständnis füreinander und Respekt voreinander etablieren. Das ist zeitgemäß.
Wie habt ihr die Interdisziplinarität in der Kammer verankert?
Björn Bodem Das gebetsmühlenartige Wiederholen hat dazu beigetragen, dass jetzt viele Hochbauarchitekten zumindest wissen, dass sie mit Innenarchitekten in einer Kammer zusammen sind.
Michael Sauer Außerdem haben wir den Arbeitskreis Interdisziplinarität eingefordert. Da ging es uns darum, Transparenz innerhalb der Kammer herzustellen.
Gwendolyn Kusters Der Gedanke dahinter war, dass die Arbeit der Kammer thematisch geprüft werden muss. Sie druckt z.B. unglaublich viele Broschüren, macht wahnsinnig viele Veranstaltungen – und denkt fast immer nur vom Hochbau aus. Dazu hatten wir uns den sogenannten ID-Check überlegt. Wenn die Kammer etwas vorbereitet, muss geschaut werden, ob an alle Fachrichtungen gedacht wurde. Allein der Tag der Architektur: Es wird nie von vier Disziplinen gesprochen, obwohl Projekte wie Kindertagesstätten oder Schulen Paradebeispiele dafür wären, wie mehrere Disziplinen zusammenarbeiten. Jetzt wird zumindest bei allen Veröffentlichungen, Vorträgen und Veranstaltungen von vier Diszi­plinen gesprochen. Das war bis vor kurzem ganz anders.
Oliver Seidel Außerdem findet jährlich das Baukultursymposium statt, und auch hier wird inzwischen darauf geachtet, dass jede Fachrichtung einmal die Veranstaltung thematisch dominiert.
Wie seid ihr strukturiert?
Björn Bodem Bei uns funktioniert viel über den direkten Kontakt. Es gibt nicht die NewKammer, es gibt keine Aufgabenverteilung, keinen Vor­sitzenden – nichts. Jeder muss selber sehen, was er einbringen kann. Hier ist Platz für jede Idee. Wenn jemand eine Bustour organisieren will, um interdisziplinäre Projekte anzuschauen, dann tut er das.
Sicherlich anziehend für Absolventen. Wie sieht eure Nachwuchsarbeit aus?

Tanja Remke
Wir verstehen uns eher als Bindeglied. Zu dieser ganz jungen Generation zählen wir uns bewusst nicht. Aufgrund der Art und Weise wie wir denken und zusammenarbeiten, sind wir jedoch näher an den Anliegen junger Architekten, als vielleicht die originäre Kammer.
Gwendolyn Kusters Was wir in die Köpfe von Absolventen und Berufseinsteigern verankern wollen: Jeder stößt in seinem beruflichen Leben immer wieder an Grenzen. Man kann sich entscheiden: Entweder man heult rum und man ärgert sich bei seiner täglichen Arbeit, oder man entscheidet sich etwas dagegen zu tun. Dann kommt man zu uns oder geht direkt zur Kammer und erzählt z.B. allen Arbeitgebern, was als Arbeitnehmer unzumutbar ist. Das ist doch befriedigend, während mein Ärger im Büro von niemandem gehört wird.
Wie habt ihr dagegen die traditionelle Nachwuchsarbeit der Kammer erlebt?
Gwendolyn Kusters Die Kammer organisiert Veranstaltungen für den Nachwuchs, bereitet Videoabende oder Vorträge vor. Aber die Leute nur zu bespaßen, bringt nichts.
Oliver Seidel Die Kammer glaubt, wenn sie eine Broschüre druckt und den Leuten mit ihrem Masterzeugnis in die Hand drückt, dass sie dann einen Schritt auf den Nachwuchs zugegangen ist. Man müsste Geld in diejenigen investieren, die nicht in der Kammer sind. Wenn man denen die Möglichkeit gäbe, Einfluss auf die Kammerarbeit zu nehmen – vielleicht als ein beratendes Gremium –, wäre das ein großer Schritt. Damit würde man sich eventuell auf Themen einlassen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Bauen zu tun haben.
Tanja Remke Genauso wie der Eintragungsausschuss darüber aufklärt, was man tun muss, um Kammermitglied zu werden, bräuchte es eine Anlaufstelle, die einem die Wege aufzeigt, wie man sich in der Kammer aktiv engagieren kann.
Björn Bodem Der Eintritt in die Kammer ist ein bürokratischer Akt, aber den muss man nun mal auf sich nehmen. Vielleicht gehört es zum Erwachsenwerden dazu.
Wie sähe denn nun eine neue Kammer aus?
Michael Sauer Transparent!
Tanja Remke Niederschwellig. Das Bild vom Elfenbeinturm Architektenkammer muss entzaubert werden.
Björn Bodem Lebendig!
Oliver Seidel Porös, also offen und zugänglich.
Gwendolyn Kusters Ich kriege es nur in einem Satz hin: Eine neue Kammer hat verstanden, dass wir vier Disziplinen sind, und hat deswegen genug Kapazitäten, sich um gesellschaftliche Themen zu kümmern.
Björn Bodem ist Landschaftsarchitekt und Gesellschafter bei chora blau Landschaftsarchitektur. Seit 2017 egagiert er sich für die NewKammer.
Gwendolyn Kusters
ist angestellte Landschaftsarchitektin bei der Stadtverwaltung Hannover. Seit 2017 gehört sie zum Vorstand der Architektenkammer Niedersachsen.
Tanja Remke
leitet das Büro Remke Partner Innenarchitekten in Barsinghausen.
Michael Sauer
gehört zum Vorstand der Kammer und ist Geschäftsführer bei N2M Architektur & Stadtplanung.
Oliver Seidel
ist Stadtplaner und Gründungspartner von Cityförster architecture+urbanism. Er hat den Vorsitz im Ausschuss Zukunft des Berufsstandes.

Informationen und Kontakt www.groups.google.com/forum/newkammer

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