Wir müssen wieder Lust auf die Zukunft machen
Deutschlands Kommunen stehen vor einem Berg aus Arbeit – bei knappen Kassen. Das Büro UmbauStadt will ihnen Wege aus der Krisenstimmung zeigen.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Wir müssen wieder Lust auf die Zukunft machen
Deutschlands Kommunen stehen vor einem Berg aus Arbeit – bei knappen Kassen. Das Büro UmbauStadt will ihnen Wege aus der Krisenstimmung zeigen.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Die Stadtplaner und Gründungspartner Lars Bölling und Rico Emge über Tücken heutiger Beteiligung, das Reizthema Verkehrsplanung und die nötige Standfestigkeit bei öffentlichen Bauvorhaben.
Ihr Büro arbeitet für Städte und Gemeinden in ganz Deutschland. Was sind derzeit die größten drei Herausforderungen der Kommunen?
Rico Emge Die Finanzlage: Viele Kommunen tun sich schwer in der Finanzierung von Projekten. Dazu kommen die Baukosten: Sie erschweren erheblich die Umsetzung von Planungen. Und die Beteiligung: Kommunale Vorhaben können auch totgeredet werden. In manchen Gemeinden fehlt es dann am nötigen Mut oder an der Kraft, Projekte gegen Widerstände durchzusetzen.
Lars Bölling Im Vergleich der Kommunen kann man feststellen, dass es große Unterschiede gibt, Probleme und Ziele anzugehen. Das liegt oft an der internen Organisation, wenn zum Beispiel innerhalb der Verwaltung oder zwischen politischen Fraktionen Grabenkämpfe geführt werden.
Vielen Kommunen fehlt es also am Geld, manchen aber auch an Haltung?
Die alte Garde an Planungsamtsleitern ist abgetreten, die neue Garde arbeitet eher verwaltungsbezogen und meint oft, alles sehr konsensual lösen zu müssen. Damit verabschiedet sie sich aber auch oft davon, Entscheidungen zu treffen, delegiert sie in Beteiligungsverfahren oder auf die politische Ebene.
Sie erwähnten die Beteiligung als mögliche Herausforderung. Dabei galt Partizipation jahrelang als begrüßenswerte Einbindung aller Menschen. Hat sich hier etwas verschoben?
Rico Emge Lange Zeit wurde gar nicht beteiligt – das war natürlich ein großer Fehler. Dann fing man an, möglichst alles aufzunehmen, es allen recht zu machen. Jetzt haben wir einen Punkt erreicht, in dem nach einer Phase der Ernüchterung die Beteiligung vor allem von denen besucht wird, die laut und meinungsstark sind, sodass nun einzelne Stimmen den Takt vorgeben.
Wie kann eine Beteiligung gestaltet sein, bei der nicht die Immergleichen gehört werden?
Lars Bölling Wir sind Fans einer visionsbegleitenden Beteiligung. An Fakultäten wurde bis vor kurzem noch das Prinzip der unbeteiligten Planung gelehrt, indem ich als Planer alle Meinungen passiv sammle und daraus dann eine Planung ableite. Das finde wir nicht zielführend. Wir versuchen stattdessen, die Wünsche und deren Konsequenzen und Varianten aufzuzeigen – und nicht einfach Positionen, die nicht vereinbar sind, nebeneinander zu stellen. Wer Wohnraum schaffen will, wird Widerstand aus der Nachbarschaft ernten. Das eine geht nicht ohne das andere. In solchen Fällen müssen Visionen erstellen werden, die Lust machen, etwas zu erreichen. Das fehlt oft: Bilder einer zukünftigen Stadt, die zur Diskussion gestellt werden.
Ohne, dass diese Bilder zu Schreckgespenstern werden?
Genau. Auf eine Situation in der Zukunft Lust zu machen: Das ist etwas, was unserer Profession teils verloren gegangen ist. Auch weil es an manchen Hochschulen nicht gelehrt wird. Es bedarf in vielen Planungssituationen statt einer langen und breiten Debatte in politischen Gremien einer klaren Entscheidung, die dann öffentlich und visuell gut vermittelt werden muss.
Rico Emge Der von Rehwaldt Landschaftsarchitektur umgestaltete Olivaer Platz neben Ihren Berliner Redaktionsräumen ist ein gutes Beispiel hierfür. Hätte man dort die Frage gestellt: Wollen Sie Parkplätze erhalten oder sollen sie weg, wäre das negativ ausgegangen. Man muss stattdessen mit Bildern zeigen, dass man einen neuen Platz mit Qualitäten schafft und gleichzeitig Kompromisse eingehen kann, beispielsweise einen Abschnitt dann doch für Autostellplätze vorsehen.
Ist das Thema Verkehr weiterhin das große Reizthema der kommunalen Planung?
Ja. Vor allem die Frage, ob Stellplätze wegfallen.
Gehen Sie im ländlichen Raum, wo das Auto einen höheren Nutzwert hat, dann auch vermehrt auf die Sorgen ein und widmen Stellplätze nicht in Radwege oder Grünzonen um?
Rico Emge Radwege, Versickerungsflächen und Begegnungszonen lassen sich auch realisieren, ohne Stellplätze ganz zu streichen.
Lars Bölling Natürlich können wir nicht vorschlagen, eine Stadt zur autofreien Stadt zu erklären. Wir haben aber Situationen wie in Fulda erlebt, in denen jegliche Reduktion der Stellplätze vermieden werden sollte. Dadurch wäre der Freiraum derart durch parkende Autos belegt gewesen, dass die Gastronomie keine Tische auf Plätze hätte stellen können. Wenn man das mit Bildern visualisiert und in Bürgerversammlungen einen möglichen Vorher-Nachher-Vergleich aufzeigt, kann sich die Stimmung drehen. In Fulda waren am Ende auch die Einzelhändler überzeugt, dass ein Freiraum mit Aufenthaltsqualität ihrem Geschäft zugutekommt.
Rico Emge Auch in Kleinstkommunen wie der Oberfränkischen Stadt Schönwald ist es uns gelungen, Verkehrsfläche zu reduzieren, ohne sie vollständig zu überplanen. Der 4000-Einwohner-Ort war geprägt von einer überdimensionierten, zentralen Verkehrskreuzung. Als wir vorschlugen, eine der daran mündenden Straßen rückzubauen und den gesamten Straßenraum zu verringern, um hier einen Platz mit zentralen Funktionen anzulegen, erklärte man uns für verrückt. Die Verkehrszählung ergab, dass gar nicht der Bedarf an der Straße in ihrer Größe bestand. Dort gelang es, durch den Rückbau der Straße eine neuen Ortsmitte mit Aufenthaltsqualität zu schaffen, mit der alle glücklich sind.
Hat die politische Färbung einen Einfluss auf die Realisierbarkeit Ihrer Pläne?
Lars Bölling Nein. Egal ob CDU, SPD, Grüne oder parteilos: Es kommt mehr darauf an, ob es eine Bürgermeisterin oder einen Planungsamtsleiter gibt, die oder der die Persönlichkeit hat, Dinge auch umzusetzen. Wer die Kommune hinter sich hat, wer mutig ist und sich der Städtebauförderung geschickt bedient, kann viel erreichen.
Wissen viele Kommunen nicht um die Möglichkeiten der Städtebauförderung?
Rico Emge Je kleiner die Kommune, desto weniger findet sie sich im Förderdschungel zurecht. Förderwege aufzuzeigen, ist auch unsere Aufgabe.
Lars Bölling In Bayern werden Kommunen von der Bezirksseite sehr gut auf Fördermöglichkeiten hingewiesen. Das ist nicht in allen Bundesländern der Fall. Auch beim Thema Klimaschutz sind Kommunen oft überfragt. Natürlich beraten wir hierzu gerne, brauchen aber erst einen Auftrag. Vorab müssen also die Länder ihre Kommunen informieren, welche Geldtöpfe es gibt.
Ist Klimaschutz weiterhin ein in Kommunen gefragtes Thema – in der großen Politik scheint hier ja eine Kehrtwende eingesetzt zu haben.
Klimaschutz und Klimawandelanpassung ist ein Thema unter vielen geblieben. Auch wenn Kommunen gerade andere Themen vor Augen haben. Vor allem die Länder hegen den Anspruch, Fördermittel daran zu koppeln, dass Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden. In der Stadt Marburg, wo wir ein ISEK für die Innenstadt erstellt haben, bedurfte es hierfür einer klaren Darstellung davon, was es heißt, einen Stadtplatz klimagerecht umzugestalten. Dies wird dort jetzt vorbildlich umgesetzt.
Ein Dauerproblem deutscher Gemeinden ist der Untergang der alten Innenstadt mit Fußgängerzone und Einkaufsmeile: Wie antworten Sie darauf?
Es gibt keinen Weg, den Einzelhandel in der alten Form zu retten. Das müssen wir einsehen! Der Bedarf wird vielerorts durch den Online-Handel gestillt. Der Fokus liegt darauf, die Qualität anderer Faktoren wie Aufenthaltsräume und Gebäudebestand zu stärken.
Lars Bölling Die Nutzung der Innenstädte ist jahrelang auf den Einzelhandel ausgerichtet worden, sodass viele alte Wohnhäuser geschossweise darauf umgebaut wurden, beispielsweise in Celle. Jetzt geht es auch in der niedersächsischen Stadt darum, das Wohnen wieder in der Altstadt zu ermöglichen. Es gibt ja junge wie alte Menschen, die gerne in den Ortszentren wohnen würden. Hierzu bedarf es aber der Eigeninitiative der Kommunen, zum Beispiel über den Weg der eigenen Wohnbaugesellschaften.
Wir stecken in einer Baukrise. Viele Kommunen nehmen doch gerade eher Abstand von großen Umbauprojekten.
Rico Emge Das stimmt. Aber wir appellieren an den Mut der Kommunen, trotzdem auf Fördermittel zuzugreifen und Schlüsselimmobilien zu übernehmen und zu sanieren. Es bieten sich auch für Kommunen zurzeit oft Gelegenheiten, günstig an Immobilien zu kommen, wenn diese länger leer stehen und versteigert werden.
Lars Bölling Unser Rat an die Gemeinden lautet daher: Es ist ein großer Fehler, nicht ins Eigentum zu gehen, wenn man es kann. Wenn man bei einer Zwangsversteigerung die Möglichkeit vergibt, Eigentum zu erwerben, kann es auch nach hinten losgehen. Wir kennen Beispiele, in denen Immobilien günstig von Privaten erworben und dann jahrelang nicht saniert oder etwa mit Leiharbeitern überbelegt wurden. Natürlich brauchen auch diese Menschen ein Zuhause. Aber wenn ihnen eine Unterkunft von Investoren in einer Art zur Verfügung gestellt wird, die weder der Bewohnerschaft noch der Innenstadt zuträglich ist, wäre ein Zwischenerwerb der Stadt besser. Wir hatten schon viele Fälle mit komplizierten Eigentumskonstellationen, bei denen aber ein aktives Zugehen der Stadt verhindert hat, dass Immobilien abgewohnt und wie Schrott behandelt wurden. Darin liegt ein Schlüssel für die Wiederbelebung der Innenstadt.
Trotz der Baukrise lohnt also die Investition?
Es ist natürlich gerade für alle Akteure schwierig, Projekte zu realisieren. Ein günstiger Zwischenerwerb und späterer Umbau und Verkauf ist aber dennoch möglich, auch für Kommunen.
Rico Emge Es gibt Städte, in denen sich die Investition fiskalisch lohnt. Aber auch in anderen Orten ist der Erwerb notwendig, um das Stadtbild zu stärken und eine Trendumkehr einzuläuten, Menschen Wohnraum zu bieten und dadurch Perspektiven aufzuzeigen. Das ist wichtiger als eine Schwarze Null. In ärmeren Kommunen kann es auch sein, dass wir uns bei manchen Häuser auf einen Dornröschenschlaf einstellen müssen. Zumindest, bis eine finanzielle Besserung eintritt.
Gibt es regionale Unterschiede bei den kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Grundeigentumsverteilung?
Die Lage ist oft vergleichbar. Aber beim Thema Wohnungsbaubestand sind die großen Geschosswohnungsbauten in Ostdeutschland oft in kommunaler Hand. Das ist für Umgestaltungen natürlich ein großes Pfund.
Lars Bölling Gleichzeitig ist es in allen Teilen Deutschland lange so gewesen, dass kommunale Wohnungsunternehmen zu Wohnverwaltern geworden sind, Stellen abgebaut und ihre Aufgaben limitiert haben. Wir sind dann oft erstaunt, dass man Städte darauf hinweisen muss, doch die eigenen Gesellschaften zu motivieren, auch in Innenstädte zu agieren, dort Häuser zu erwerben und zu ertüchtigen. Als GmbH kann eine solche Gesellschaft ja viel einfacher handeln als eine Stadtverwaltung.
Sie betreiben seit den 1990er Jahren Stadtplanungsprojekte. Spüren Sie deutliche Veränderungen in den Bedürfnissen?
Rico Emge Statt einer Kehrtwende sind Aufgaben hinzugekommen. Klimaanpassung war vor 15 Jahren kaum ein Thema – heute sind Planungen ohne dessen undenkbar.
Lars Bölling Im ländlichen Raum sind die Probleme über zwanzig Jahre fast die gleichen geblieben, in den größeren Städten dagegen gab es eine Trendwende: Das alte Thema „Shrinking Cities“ ist dort natürlich völlig vorbei. Wie sich die Lage nun unter einer möglichen Zinswende der Baukrise weiterentwickelt – wir sind gespannt, aber guter Dinge.
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