Bauwelt

Jetzt ist der Moment, alte Zöpfe abzuschneiden

Christoph Reschke und Alexander Möll, Geschäftsführer von Hines Deutschland, über die Krise des Immobilienmarkts, wetterfeste Projekte und den Bestand als wichtigstes Betätigungsfeld der Zukunft

Text: Christian Brensing und Jan Friedrich

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    Christoph Reschke ist Senior Managing Director und Co-Geschäftsführer von Hines in Deutschland
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    Alexander Möll ist Senior Managing Director und Co-Geschäftsführer von Hines in Deutschland
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    Umnutzungs- und Erweiterungsprojekt "Tucherpark" am Englischen Garten in München
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    Umnutzungsprojekt "aer" in München-Neuperlach
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Jetzt ist der Moment, alte Zöpfe abzuschneiden

Christoph Reschke und Alexander Möll, Geschäftsführer von Hines Deutschland, über die Krise des Immobilienmarkts, wetterfeste Projekte und den Bestand als wichtigstes Betätigungsfeld der Zukunft

Text: Christian Brensing und Jan Friedrich

Sie sind beide seit 2009 in der Geschäftsführung von Hines Deutschland. Wie, würden Sie rückblickend sagen, hat sich das Geschäft von Hines hierzulande seither entwickelt?
Christoph Reschke Unser Geschäftsmodell hat sich weiterentwickelt. Am Anfang haben wir ausschließlich Projekte entwickelt und verkauft. 2008/2009 – als das Geschäftsmodell des Trader-Developer ohne eigenen Bestand arg angeschlagen war – fingen wir mit dem Investmentmanagement an, also mit externen Geldquellen und Entwicklungen anderer Entwickler oder Bestandshalter, um die Projekte dann zu verwalten und zu behalten.
Also sind Sie über die Jahre zu Bestandshaltern geworden?
Alexander Möll Nicht nur, aber auch. Wir nennen das „vertikal integriert“. Wir bieten heute auch Asset- und Property-Management an und sind damit länger an der Wertschöpfungskette beteiligt, haben so eine größere Nähe zu Mietern, als wir sie je hatten. Außerdem nehmen wir von vornherein einen Mitinvestor mit ins Boot, entwickeln mit ihm gemeinsam, behalten das Projekt im Bestand und agieren weiterhin als Asset Manager für den Auftraggeber. Manchmal halten wir noch einen eigenen Anteil, und wenn wir ein Haus verkaufen, bieten wir unsere Dienste als Asset Manager auch dem Käufer an.
Christoph Reschke 2009, als wir beide Geschäftsführer wurden, hatten wir Immobilien im Wert von ungefähr 400 Millionen Euro in Deutschland. Die Werte ändern sich gerade ein bisschen, aber im vergangenen Jahr waren es zwölf Milliarden Euro. Davon acht Milliarden Euro im Bestand und vier Milliarden Euro in der Entwicklung.
Und diese Steigerung hat vermutlich vor allem damit zu tun, dass Sie viel mehr Projekte im Bestand haben, weniger mit der allgemeinen Wertsteigerung?
Christoph Reschke Mit Wertsteigerung hat das nur zum Teil zu tun. Wir halten eben heute mehr im Bestand. Hinzu kommt, dass wir früher andere Nutzungsarten entwickelt haben. 2008/2009 lag unser Schwerpunkt auf Büro, mit etwas Bodenentwicklung. Mittlerweile entwickeln wir gemischte Quartiere, Wohnimmobilien und Mietwohnungsbau. Zudem fangen wir gerade mit Datenzentren an und sind auch in der Logistik erfolgreich.
Kommen wir zur gegenwärtigen, sehr schwierigen, Marktlage. Wie reagieren Sie bei Hines darauf?
Christoph Reschke Gerade gerät im Grunde alles ins Wanken. Doch je komplexer die Lage wird, desto mehr kommen unsere Stärken zum Tragen. Früher wurden Projekte vor allem von Spezialisten für eine bestimmte Assetklasse entwickelt: Spezialisten für Einzelhandel, für Büro, für Wohnungsbau. Heute benötigen Projekte hingegen verschiedene Qualitäten und Talente, und da nimmt die Dichte derer, die es umsetzen können, rapide ab. Hier liegt unser Wettbewerbsvorteil. Das betrifft auch das Thema Nachhaltigkeit und soziales Engagement. „Social Impact“ finden Sie heute als Kriterium in jedem Fondsbuch.
Alexander Möll Heute dürfen Sie nicht an der Grundstücksgrenze aufhören zu denken, sondern müssen schauen, welchen „social impact“ ihr Investment zumindest auf die unmittelbare Nachbarschaft hat. Das Projekt Tucher-Park am Englischen Garten in München ist ein Beispiel dafür. Es handelt sich um einen ehemaligen Büropark, den wir allmählich in ein gemischt genutztes Quartier mit Mietwohnungen, Datenzentrum und Gesundheitsversorgung umwandeln. Möglicherweise kommt noch ein Teil Universitätsbetrieb dazu. Auch ein Hotel, Zwischennutzungen, Sport etc. sind vorgesehen, da ist wirklich alles drin. Hier treten wir als langfristiger Partner auf – und eben nicht als jemand, der nur spekulativ daherkommt, ein bisschen Baurecht schafft und dann wieder geht. Wenn wir Planungsrecht schaffen, bauen wir auch selbst, was uns Glaubwürdigkeit bei Städten, Politik und Planern verleiht. Man braucht Geduld, was das Kapital angeht. Wir entwickeln den Tucher-Park gemeinsam mit einem institutionellen Fonds, um ihn langfristig im Bestand halten. Vor drei oder vier Jahren, als wir das Areal gekauft haben, war die Situation noch eine ganz andere. Niemand hat die momentane Krise vorhergesehen, auch wir nicht, aber uns war bewusst, dass es so wie damals nicht immer weitergehen kann. Wir sind seinerzeit lieber etwas konservativer und damit ein bisschen langweiliger geblieben und sind deshalb heute um einiges krisenfester.
Christoph Reschke Bildlich gesprochen sind unsere Projekte immer wetterfest. Dadurch sind aber auch einige Geschäfte an uns vorbeigegangen. Das hat uns nachdenklich gemacht. Aber dann haben wir uns wieder an unseren Gründer Gerald Hines erinnert, der einmal gefragt wurde, warum es die Firma schon so lange gibt. Seine Antwort: „Wissen Sie, der Erfolg liegt an den vielen Projekten, die wir nicht gemacht haben.“
Eine Menge Developer geraten gerade in ernsthafte Schwierigkeiten…
Alexander Möll Viele Projekte, die in den letzten beiden Jahren gekauft wurden, stehen unter einem Druck, der so stark ist, dass bei vielen das Eigenkapital aufgebraucht ist. Die Banken haben bisher noch nicht reagiert, das steht dem Markt noch bevor. Wir sind mitten in der Krise, finanzielle Mittel sind verschwunden. Es ist daher kein Zufall, dass aktuell regelmäßig Projektentwickler scheitern und in die Insolvenz gehen. Dadurch kommen Projekte zurück auf den Markt. Ob jedoch die Erwartungen bezüglich des Werts mit den Preisvorstellungen übereinstimmen, bleibt abzuwarten.
Christoph Reschke Hier ist ein Entgegenkommen von Käufern und Verkäufern notwendig. Mit steigendem Druck brauchen die Käufer ein besseres Sentiment im Hinblick auf Zins und Inflation. Außerdem muss der Vermietungsmarkt robust genug sein, um wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu trotzen. Nur wenn die Nachfrage stabil bleibt, wird sich die derzeitige Lücke überbrücken lassen. Dann werden Transaktionen wieder aufgenommen, Vergleichswerte – sogenannte „Comparables“ – werden wieder relevant, und der Markt wird sich auf einem realistischeren Niveau stabilisieren. Im Moment jedoch stecken wir in einer Schockstarre fest, die jegliche Initiative lähmt.
Hinzu kommt, dass außer dem Wohnen auch eine andere wichtige Assetklasse, das Büro, durch den Rückzug ins Homeoffice während der Coronapandemie enorm unter Druck geraten ist. Wie sehen Sie da die Zukunft?
Christoph Reschke Das Negativbeispiel ist San Francisco, dort sagen alle: „They never return.” In Downtown schließen die Restaurants, andernorts dagegen, dort, wo die Leute im Homeoffice arbeiten, öffnen jetzt die Läden. In New York ist diese Entwicklung ambivalent: Alte Gebäude haben wahnsinnigen Leerstand, neue Gebäude in guter Lage, die New Work bieten können, werden weiter genutzt. In Deutschland sehen wir, dass bei Satelliten-Bürostandorten, also dort wo Back-Offices eingezogen sind, die Nachfrage dramatisch schwindet. Dagegen in guten Lagen mit neuen Gebäuden sehen wir gerade deutlich höhere Mieten, weil dort jetzt die Nachfrage steigt.
Alexander Möll Ich glaube felsenfest weiter ans Büro; nicht aus Berufsoptimismus, sondern weil es tatsächlich seine Funktion hat. Wir haben lange im Homeoffice gesessen und merken jetzt den Unterschied – für Konzeption und Teambildung ist es einfach pures Gift.
Christoph Reschke Es gilt jetzt, mit guten Konzepten auf die komplexe Situation zu reagieren. Ein einfaches Projekt, in dem es sich der Mieter irgendwie schön machen soll, funktioniert nicht mehr. Heute muss man den Mietern Etliches erklären: Warum das Büro bzw. Gebäude für sein Geschäft gut ist; wie er im “war for talent” mit diesen Flächen punkten kann; was er dort alles veranstalten kann; wie kommunikativ es ist, offen und kollaborativ. Am besten findet das alles in einem Umfeld statt, das insgesamt auch attraktiv ist. In einem Gebäude muss eigentlich alles möglich sein, was ich an einem Tag nutzen möchte: Fahrradshop, Werkbank, Duschen, Post- und Paketannahmestellen, Coworking Spaces und Flächen, die sich für Treffen, zur Kommunikation und zum Austausch eignen auch mit anderen Unternehmen im Haus. Wenn Sie das alles heute nicht mitdenken, wird es schwer.
Und wie kommen die Leute künftig ins Büro? Befindet sich das private Auto tatsächlich so stark auf dem Rückzug, wie prognostiziert wird?
Alexander Möll Vollständig auf das Auto kann man wohl nicht verzichten. Nicht alle kommen mit Fahrrad und Rollerblades zur Arbeit. Aber bei einem Großteil der Mitarbeiter ist die ÖPNV-Anbindung und die Fahrraderreichbarkeit ein hartes Kriterium. Darauf muss ein Arbeitgeber achten, wenn er gegenüber einem konkurrierenden Unternehmen mindestens gleich stark oder besser dastehen möchte.
Christoph Reschke Mich würde tatsächlich interessieren, ob wir bei uns inzwischen schon mehr Job-Räder als Dienstwagen haben. In London haben wir uns ein 20.000-Quadratmeter-Gebäude angeschaut, es hatte nur noch einen einzigen PKW-Stellplatz. Das sehen wir in Deutschland noch nicht. Aber wir benötigen heute deutlich weniger Parkfläche als noch vor zehn Jahren, und die Tendenz ist eindeutig.
Alle sprechen davon, dass weniger neu gebaut und mehr erhalten und umgenutzt werden muss, um den CO2-Fußabdruck beim Bauen signifikant zu verkleinern. Spielt das bei Ihren Projekten bereits die Rolle, die es spielen sollte?
Alexander Möll Der Tucher-Park und unser Projekt in München-Neuperlach zeigen den Versuch, den Bestand soweit es geht zu erhalten. Abgerissen wird nur das, was absolut nicht mehr funktioniert und nicht verbessert werden kann. Zwar kaufen wir auch noch Grundstücke und bebauen diese neu, aber dieser Anteil ist weitaus geringer als das, was wir im Bestand entwickeln. Wenn Sie jetzt Ihren Bestand nicht anpacken, riskieren Sie Stranded Assets, und dann haben Sie gar keinen Spaß mehr.
Christoph Reschke Wir hinterfragen den Abriss eines Gebäudes immer stärker, z.B. bei einer unserer Immobilien in Düsseldorf, wo wir letztlich 50 Prozent des Bestands erhalten haben. In diesem Fall bedeutet das, dass wir die Tiefgarage und den Rohbau erhalten haben. Den Naturstein aus der Fassade haben wir verkauft bzw. haben Teile davon für den Hochbau weitergenutzt. All das sind wichtige Veränderungen in der Herangehensweise. Die Projektentwicklung der Zukunft erfolgt im Bestand. 2040 wollen wir komplett CO2-neutral sein, und wir schauen jetzt schon, dass wir unsere Bestandsgebäude CO2-neutral betreiben können. Unser Projekt “aer” in München wird unser erstes Bestandsprojekt in Deutschland, das CO2-neutral sein wird.
Wirklich CO2-neutral? Oder nur, weil Sie in Kompensationsprojekte an anderer Stelle investieren.
Alexander Möll Nein, wirklich CO2-neutral. Das funktioniert, da wir über Geothermie, Brunnen und Photovoltaik verfügen. Außerdem erarbeiteten wir während des Bauprozesses ein Zwischennutzungskonzept. Die alte Allianz Hauptverwaltung in München hat sich, zusammen mit den Nachbarn, auf diese Weise in einen eigenen Mikrokosmos verwandelt. So nutzen wir die ehemalige Kantine der Allianz, um dort noch verwendbare Lebensmittel zu verarbeiten, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Hier bieten wir dreitausend Essen am Tag an. So fing alles an. Heute gibt es dort Tanzkurse, ein Kino, Hausaufgabenbetreuung oder Integrationsklassen auf mittlerweile rund 18.000 Quadratmetern. Wir stellen die Gebäude mietfrei oder zu einem reduzierten Tarif zur Verfügung. Dadurch entsteht eine enorme Akzeptanz der neuen Entwicklung in der Nachbarschaft. Insgesamt sprechen wir über etwa 45.000 Quadratmeter Umbau und im anderen Teil über Baurecht für gemischte Nutzung, Wohnen und Büro. Der Kniff ist dabei, dass wir voraussichtlich 70 Prozent des Gewerbebestands erhalten. Wenn uns das gelingt, ist das ein echtes Vorzeigeprojekt.
Irgendwann wird auch diese Krise am Immobilienmarkt vorbei sein. Sitzen Sie schon, ungeduldig wartend, in den Startlöchern?
Christoph Reschke Wenn der Markt wieder anspringt und es Ankaufsmöglichkeiten gibt, dann müssen wir die Möglichkeit haben, solche Optionen auch wahrzunehmen. Dazu brauchen wir Fonds, die gut kapitalisiert sind. Diese Entscheidung haben wir nach 2009 bzw. 2011 gefällt und haben drei Fonds aufgelegt, die hoch kapitalisiert sind und nur in Europa investieren. Da steht Hines drauf und es ist auch eigenes Geld von uns drin. Das bedeutet, dass wir selbst entscheiden können. Dieses trockene Pulver ist jetzt sehr viel wert.
Alexander Möll Die Frage ist: Will man jetzt wirklich der Erste sein? Fest steht aber, dass man irgendwann wieder mit großer Überzeugung ein Asset, eine Strategie, eine Umsetzung anpackt. Das nenne ich antizyklisches Handeln. Es fühlt sich heute merkwürdig an, hat sich aber in den letzten drei Zyklen als richtige Herangehensweise erwiesen. Dafür müssen wir zeitnah anfangen. Man sollte jedenfalls nicht der Letzte sein, der merkt, dass es wieder losgeht.
Christoph Reschke Wir setzen weiter auf Bewährtes und schauen uns gleichzeitig Neues an: Am Berliner Südkreuz haben wir 650 Wohnungen, jetzt bauen wir nochmal 200 Wohnungen direkt gegenüber. In Fürstenried sanieren und bauen wir gemeinsam mit der BVK Wohnungen. Das ist unter den jetzigen Marktbedingungen die am stärksten betroffene Nutzungsart. Hier war der Unterschied zwischen Rendite und Zins am größten und ist jetzt ins tiefste Tal abgestürzt. Jetzt wollen wir gerne ein Teil derjenigen sein, die etwas Neues machen und mit der Politik sprechen. Es ist der Moment, alte Zöpfe abzuschneiden.
Christoph Reschke ist Senior Managing Director und Co-Geschäftsführer von Hines in Deutschland. Er ist für alle Immobilienaktivitäten im Land verantwortlich, einschließlich Entwicklung, Erwerb und Vermögensverwaltung. Reschke studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hamburg.
Alexander Möll ist Senior Managing Director und Co-Geschäftsführer von Hines in Deutschland. Er ist für alle Immobilienaktivitäten im Land verantwortlich, einschließlich Entwicklung und Vermögensverwaltung. Möll studierte an der Technischen Universität Berlin ab und erhielt seinen Master of International Business Administration von der Thunderbird School of Global Management.
Hines ist ein 1957 gegründetes privates und weltweit tätiges Immobilien-Investmentunternehmen mit Standorten in 240 Städten in 27 Ländern. Hines managt Immobilien im Wert von rund 134,3 Mrd. Euro, davon 68,2 Mrd. Euro als Investment Manager und 66,1 Mrd. Euro als externer Dienstleister. Hines hat seit der Eröffnung seines Standorts in Deutschland 1991 insgesamt 59 Immobilien mit einer Gesamtfläche von über 2,6 Mio. m² für Hines oder im Auftrag von externen Kunden akquiriert oder entwickelt, darunter bekannte Objekte wie Maintower, 160 Park View und Silberturm in Frankfurt, Zoom und Quartier Südkreuz in Berlin, Hofstatt, Uptown München, Tucherpark und OSKAR in München, Überseequartier Nord in Hamburg, Benrather Karree und Kö-Quartier in Düsseldorf sowie Postquartier und Kronprinzbau 1+2 in Stuttgart.


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