„Mies in die dritte Dimension überführen: Das war die Befreiung!“
Florian Aicher im Gespräch mit Eckhard Schulze-Fielitz
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
„Mies in die dritte Dimension überführen: Das war die Befreiung!“
Florian Aicher im Gespräch mit Eckhard Schulze-Fielitz
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
Zwischen Modellen, Büchern, Bildern und Skulpturen begegne ich Eckhard Schulze-Fielitz, dem Schöpfer der „Raumstadt“ und Protagonisten jenes Aufbruchs der frühen 60er Jahre, als sich technologisch grundierter Optimismus noch mit Gesellschaftskritik und sozialem Pathos vertrug.
Ein Haus im ältesten Kern von Bregenz, inmitten sorgfältig bewahrter Substanz – erkennbar ein Werk seiner Zeit, doch im Duktus seiner Nachbarschaft verwandt. Eckhard Schulze-Fielitz (Jahrgang 1929) hat es 1977 gemeinsam mit Gunter Wrazfeld geplant, seit Fertigstellung bewohnt er es. Unter dem Dach, zwischen Modellen, Büchern, Bildern und Skulpturen, begegne ich dem Schöpfer der „Raumstadt“ und Protagonisten jenes Aufbruchs der frühen 60er Jahre, als sich technologisch grundierter Optimismus noch mit Gesellschaftskritik und sozialem Pathos vertrug. Immer wieder kommt das Gespräch auf die Dynamik dieser Jahre, auf die Offenheit für andere Disziplinen und persönliche Begegnungen, auf die kontroversen Charaktere. Immer wieder betont er seine Rolle als Architekt, der die Konstruierbarkeit nicht preiszugeben bereit war, im Gegensatz zu der auch politisch gemeinten Destruktion von Constants „New Babylon“ einerseits und der poetisch-philosophischen Stimmung von Yona Friedmans „Ville Spatiale“ andererseits. Mit dem Ende des Jahrzehnts war der Rausch der Utopie vorbei. Schulze-Fielitz baute, entwickelte Konzepte für das Bauen in der Dritten Welt, erstellte eine umfassende Studie zu Maßsystematisierung, trieb seine Raumideen in geometrische Grundlagenforschung...
Florian Aicher | Ein wichtiger Bezugspunkt, auch für Ihr Bild des Architekten und Ihre Rolle im Büro war Mies.
Eckhard Schulze-Fielitz | Ich habe mich sehr hingezogen gefühlt zu dem, was Mies „the battlefield of spirit“ genannt hat, zu den geistigen Grundlagen des Bauens. Mies selbst bin ich vor Bürobeginn begegnet, habe ihn sozusagen leibhaftig aufgesucht.
Die Wirkung ist unübersehbar, beim Landeshaus in Köln etwa, bei dessen Fertigstellung 1959 Sie gerade mal 29 Jahre alt waren.
Ein Plagiat, würde ich sagen. Ich habe mich sehr intensiv mit Mies befasst und fand da eine Methode, die leicht kopierbar war, die man lernen konnte.
Was nicht unbedingt einem „battlefield of spirit“ entspricht.
Das hat mich auch bald gelangweilt, und gestört hat mich der autoritäre Ansatz. Ich hatte das Gefühl, seine Barcelona Chairs in den Lobbies seien am Boden festgeschraubt.
Zum einen zu starr, zum anderen gültige Autorität – Ihnen blieb also nur, Mies mit Mies zu überwinden.
Das kann man so sagen. Er begeisterte mich immer wieder. Gleichzeitig das Gefühl: Das reicht mir nicht. Der MIT Campus mit seinem Raster hat mich beeindruckt, das versank im Unterbewusstsein und kochte immer wieder auf in der Frage: Wieso ein Flächenraster, wo doch die Dimension der Architektur der Raum ist? Also Mies in die dritte Dimension überführen: Das war die Erweiterung, die Befreiung.
Eine Befreiung, die nicht nur Ergebnis brütenden Nachdenkens im stillen Kämmerlein war. Die lag in der Luft, war überall zu spüren.
Es war eine tolle Zeit! Unser Büro war Treff der Jazzer. Die Nächte mit allen Jazz-Größen, die damals in Essen auftraten – Ella Fitzgerald, The Modern Jazz Quartett, Duke Ellington und viele andere –, endeten bei uns. Als ich mit der Raumstadt anfing, habe ich Analoges gesucht: Improvisation. Ein System, in dem die Leute machen können, was sie wollen. Das war Anti-Mies. Die ästhetische Kontrolle abgeben. Dazu habe ich mich erst mit der Zeit bekennen können.
Die Bewegung der Modernen Architektur erlebt in dieser Zeit den Angriff auf die eigenen Dogmen, etwa 1956 vorgetragen auf der CIAM-Tagung in Dubrovnik durch die Smithons. Auch die Strukturalisten um van Eyck...
Wir waren Gegner der CIAM, schlossen uns in der GEAM (Groupe d‘Études d‘Architecture Mobile) zusammen, suchten Bewegung, Mischung, Anti-Hierarchie. Constant hat das Anarchische, mit seinem Marxismus verträglich, entschieden formuliert, glaubte an die Massen... Mir lag diese Seite weniger, sie vertrug sich auch nicht recht mit der Erfahrung meiner Verwandtschaftsbesuche in der DDR.
Yona Friedman nannte als Leitbilder Kurt Schwitters und Konrad Wachsmann, was durchaus zwiespältig ist: Dekonstruktion und/versus Konstruktion?
Für mich war Wachsmann eine Offenbarung – wobei ich mich auf sein Projekt des Flugzeughangars beziehe: Vorfabrikation muss nicht rechtwinklig sein; Geometrie begeistert; es gibt mehr als den Kubus, der für Nutzbarkeit steht. Nehme ich nun die Diagonalen hinzu, gewinne ich Stabilität, erweitere die Geometrie um sämtliche geometrischen Körper. Die Struktur kommt mit wenigen Stablängen aus, ist hochstabil, grenzenlos, zeitlos. Ich habe aus dem Foto des Hangars die Höhe der Konstruktion gemessen und gefunden: Da passen Geschosse hinein. Das war der Schritt zur benutzbaren Struktur.
Ebenfalls den Schritt weg vom orthogonal begrenzten Raum tat Buckminster Fuller.
Da hat mich gestört, dass seine Geometrie nicht zu packen war. Seine Kuppeln sind Solitäre, sie sind endlich. Wachsmann hingegen war wachstumsfähig. Überhaupt: Fullers Werk ist voller gedanklicher Wolken. Da ist vieles, was, genau besehen, unverständlich ist. Er überträgt abstrakte Aussagen der Naturwissenschaft auf konkrete gesellschaftliche Zusammenhänge. Da gibt es allerhand Absurdes – die Kuppel über New York etwa. Doch in Tagen wie diesen fragt man sich, ob man Tokio das wünschen sollte. Das hieße, das Absurde zuspitzen: Schutz erhoffen von den Geistern, die man rief...
Mit Yona Friedman bildeten Sie eine Zeitlang ein ideales Gespann.
Friedman war der Ideengeber, von luzider Intellektualität; ich war der praktizierende Architekt. Ein Projekt wie unsere „Brücke über den Ärmelkanal“ (1963) musste konstruierbar sein. Das heißt: Maßkoordination, wenige Stablängen, absolute Stabilität – eine universelle Struktur mit Totalitätsanspruch, abgehoben vom Boden. Wir sprachen von einem Neutralsystem, das, industriell (materiell wie konzeptionell) mit zwingender Logik geplant, zur Verfügung gestellt wird, und das dann individuell, ungeplant, handwerklich, „do-it-yourself“ gefüllt wird – Demokratisierung, ohne Architekten.
Und der Nutzer wird dabei zum Sklaven einer (überdimensionierten) Struktur?
Ein wichtiger Punkt! Friedmans vergitterter Himmel über Paris (1960) war sicher überdimensioniert, war Reklame, Provokation. Mir ging es in meinen späteren Untersuchungen zur Maßordnung eher um Struktur als Entwurfsmethode, als Hilfsmittel.
Constant proklamiert am Anfang die Befreiung des Nutzers; Lucius Burckhardt sieht am Ende die Freiheit des Nutzers nur noch in der Demontage, der Zerstörung – ein Schicksal, das auffallend viele Meta-Struktur-Projekte ereilte. Sie haben ja einigen Wohnungsbau nach dieser Methode realisiert. Ihr größtes Städtebauprojekt, die „Siedlung an der Ach“ hier in Bregenz, ab 1974 nach gewonnenem Wettbewerb mit den Kollegen Albrecht und Wratzfeld errichtet, bezeichnen Sie als „gelandete Raumstadt“. Doch der Ruf der Siedlung desavouiert die in sie gesetzten Erwartungen.
Das muss man diskutieren! Die „Siedlung an der Ach“ ist eine längliche Struktur aus schachbrettförmig angeordneten Achtspännern mit weitgehend hierarchieloser Erschließung. Sie liegt an der äußersten Peripherie von Bregenz, geplant für annähernd ein Zehntel der Stadtbevölkerung. Wir konnten die Vorteile unserer Methode ausspielen: maximal vier bis sechs Geschosse, wo die Mitbewerber das Programm nur mit Hochhäusern bewältigten; dem Landverbrauch Einhalt gebietend und doch mit allseitiger Belichtung; rationelle Bauweise, so dass die Mieten nach Fertigstellung deutlich gesenkt werden konnten. Die geplante Ausstattung mit sozialen Einrichtungen unterblieb jedoch weitgehend.
Die Siedlung ist von Anfang an von der ÖVP kritisiert worden, von der SPÖ aber gelobt, war sie doch vom ersten sozialdemokratischen Bürgermeister initiiert – eines seiner Profilierungsprojekte. Der hat sich seine Wahlklientel geschaffen, die Stadt hatte Belegungsrecht. Da wurden die Sozialfälle eingewiesen. Bald setzte die Stigmatisierung als sozialer Brennpunkt ein. Lage und Sozialstruktur hat aber der Architekt nicht zu verantworten.
Ihr Wohnhaus und eine kleine Siedlung hier in der Nähe ähneln der Achsiedlung in Maßsystem und Material. Doch der Eindruck könnte anders nicht sein...
Die Gruppen sind kleiner, die Teile identifizierbar, die Verknüpfung ist lockerer, die Beziehung zu Landschaft und Himmel offener. Man sieht den Häusern an, dass die Leute gerne dort wohnen. Maß und Proportion spielen für mich eine große Rolle – das gilt auch im Hinblick auf die Struktur selbst.
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