Modelle sind lebendig
Für Regine Leibinger und Frank Barkow ist das Arbeiten mit und am Modell essenziell. Ein Gespräch übers Experimentieren, über Didaktik, den Widerstand ge-gen die digitale Welt – und den Wunsch, ein lebendiges Archiv zu führen.
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin
Modelle sind lebendig
Für Regine Leibinger und Frank Barkow ist das Arbeiten mit und am Modell essenziell. Ein Gespräch übers Experimentieren, über Didaktik, den Widerstand ge-gen die digitale Welt – und den Wunsch, ein lebendiges Archiv zu führen.
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin
Die Ausstellung „Revolutions of Choice“ 2020 im Haus am Waldsee zeigte eine beeindruckende Vielfalt an Modellen: unterschiedliche Maßstäbe, Arbeits-, Präsentations- oder Detailmodelle. War es eure Entscheidung, ausschließlich Modelle auszustellen?
Regine Leibinger Wir mussten ein Ausstellungskonzept für das Haus entwickeln, das ja ein Wohnhaus ist. Unsere Entscheidung war radikal: Wir wollten ausschließlich Modelle zeigen. Wir hängten nichts an die Wände, sondern stellten lediglich Regale auf, die wir mit Modellen bestückten. Im Grunde haben wir das Haus innenarchitektonisch behandelt und uns gefragt, wie man sich darin bewegt. Die Regale fungierten wie Wände, führten die Besucher von Raum zu Raum und ragten absichtlich von einem Raum
in den nächsten hinein.
in den nächsten hinein.
Wie wurden die Modelle für die Ausstellung ausgesucht?
Regine Leibinger Wir führen Listen mit allen Modellen, ergänzt durch kleine Fotos. Diese
Listen waren allerdings keine gute Grundlage für eine Auswahl. Daher haben wir beschlossen, sämtliche Modelle aus unseren drei Lagerorten in eine große Halle zu bringen. Alles wurde zusammengeführt, und dort entschieden wir, welche Modelle wir für die Ausstellung auswählen. Eine unglaubliche Menge an Modellen! Es gab Wettbewerbs-, Präsentations- und Prozessmodelle, darunter unzählige dieser pinkfarbenen Schaumstoffmodelle, die wir über die Jahre aufgehoben hatten. Nach 25 bis 30 Jahren des Sammelns mussten wir etwa ein Drittel aussortieren – zwei riesige Container voll. Es war eine wichtige Entscheidung.
Listen waren allerdings keine gute Grundlage für eine Auswahl. Daher haben wir beschlossen, sämtliche Modelle aus unseren drei Lagerorten in eine große Halle zu bringen. Alles wurde zusammengeführt, und dort entschieden wir, welche Modelle wir für die Ausstellung auswählen. Eine unglaubliche Menge an Modellen! Es gab Wettbewerbs-, Präsentations- und Prozessmodelle, darunter unzählige dieser pinkfarbenen Schaumstoffmodelle, die wir über die Jahre aufgehoben hatten. Nach 25 bis 30 Jahren des Sammelns mussten wir etwa ein Drittel aussortieren – zwei riesige Container voll. Es war eine wichtige Entscheidung.
Nach welchen Kriterien habt ihr die Modelle ausgewählt?
Regine Leibinger Einiges hat sich wiederholt, und wir hatten auch Projekte, auf die wir nicht unbedingt stolz waren. Manchmal haben wir uns gefragt: „Wie konnten wir das damals so machen?“
Frank Barkow Wir suchten nach Schlüsselmodellen – nach Projekten, die sowohl konzeptionell als auch physisch stark sind. Es spielte keine Rolle, ob es ein Abgabe- oder Prozessmodell war. Aus diesem Meer an Modellen wählten wir diejenigen aus, die für unseren Weg der letzten dreißig Jahre wesentlich waren. Auch im Hinblick darauf, dass wir ein materialorientiertes Büro sind. Viele der Modelle sind experimentell hinsichtlich der Materialien oder Konstruktionsweisen, die sie repräsentieren. Letztendlich entstand ein kuratiertes Patchwork von Modellen, das einen kritischen Blick auf unsere Entwicklung ermöglichte.
Welche Bedeutung haben Modelle in eurer Arbeit?
Regine Leibinger Modelle sind das Zentrum
unserer Arbeit – alles beginnt damit nicht nur, weil wir uns in unserer Uni-Zeit in Harvard beim Modellbau kennengelernt haben. Dort galt der Grundsatz: Modelle lügen nicht. Bei uns steht das Modell heute noch am Anfang jedes Prozesses. Wir haben eine große Werkstatt, in der die Mitarbeitenden alles im Modell überprüfen, nicht über repräsentative Modelle, sondern über Arbeitsmodelle. Der Entwurf entsteht direkt am Modell – es ist unser essenzielles Arbeitswerkzeug.
unserer Arbeit – alles beginnt damit nicht nur, weil wir uns in unserer Uni-Zeit in Harvard beim Modellbau kennengelernt haben. Dort galt der Grundsatz: Modelle lügen nicht. Bei uns steht das Modell heute noch am Anfang jedes Prozesses. Wir haben eine große Werkstatt, in der die Mitarbeitenden alles im Modell überprüfen, nicht über repräsentative Modelle, sondern über Arbeitsmodelle. Der Entwurf entsteht direkt am Modell – es ist unser essenzielles Arbeitswerkzeug.
Frank Barkow Das stimmt heute mehr denn je, besonders in dieser digitalen Zeit. Modelle sind haptisch, sie werden mit den Händen gebaut und sind das beste Präsentationswerkzeug.
Regine Leibinger Sie schaffen Anlässe zur Kommunikation, leichter und besser als eine gute Power-Point-Präsentation. Wenn ein Modell auf dem Tisch steht, nehmen die Leute es in die Hand und es entsteht ein Gespräch. Modelle vermitteln Volumen, Raum, Proportionen und Material. Vor allem für die jüngere Generation ist es wichtig, ein Gefühl für Maßstäbe und Räume zu entwickeln. Bei der Arbeit mit dem Computer geht das ein wenig verloren. Ich glaube nicht, dass wir altmodisch sind – letztlich geht es um den architektonischen Raum, um Wände, Böden, Decken und deren Zusammenspiel.
Sind die eingelagerten Modelle zugänglich?
Regine Leibinger Wir haben drei Lager, in denen jetzt immer noch über 1000 Modelle archiviert sind: eines hier im Gebäude, eines zwei Blöcke entfernt und eines in Hohenschönhausen. Alle Modelle sind in einer Liste erfasst, und wenn man etwas Bestimmtes sucht, dann erfährt man aus der Liste, in welcher Box, in welchem Lager es sich befindet, und kann es holen.
Frank Barkow Einige Modelle sind bereits in Sammlungen wie im MoMA oder im Schweizer Architekturmuseum. Das Deutsche Architekturmuseum hat ein Modell aus meiner Studienzeit. Es fiel mir nicht leicht, es wegzugeben, aber ich bin auch dankbar, dass es jetzt perfekt klimatisiert gelagert wird.
Regine Leibinger Besonders schwierig war es, ein Modell der Biosphäre abzugeben. Das DAM wollte ein bestimmtes Schnittmodell für seine Sammlung, das im Büro an der Wand hing. Ich wollte es zuerst nicht hergeben, weil es essenziell für den Wettbewerb war, aber am Ende haben wir uns auf einen Kompromiss geeinigt: Sie haben das Modell bekommen und wir eine fantastische, maßstabsgetreue Fotografie des Modells, die nun an gleicher Stelle an der Wand hängt.
Frank Barkow In eine Sammlung aufgenommen zu werden, ist eine große Ehre, aber für mich
ist ein Archiv eher so etwas wie ein notwendiges Übel. Eigentlich möchte ich alle Modelle hier im Büro haben, wie in einem Schaulager, in dem wir auch arbeiten. Denn die Modelle sind didaktisch wichtig – sie helfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verstehen, wie wir arbeiten. Mein Raum hier im Büro ist wie ein Forum, voller Modelle, Bücher und Materialien. Ich brauche diese Umgebung. Das ist mein Widerstand gegen die digitale Welt. Für mich ist ein Archiv wie eine Beerdigung: Alles verschwindet in einer Kiste. Aber die Modelle sind lebendig!
ist ein Archiv eher so etwas wie ein notwendiges Übel. Eigentlich möchte ich alle Modelle hier im Büro haben, wie in einem Schaulager, in dem wir auch arbeiten. Denn die Modelle sind didaktisch wichtig – sie helfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verstehen, wie wir arbeiten. Mein Raum hier im Büro ist wie ein Forum, voller Modelle, Bücher und Materialien. Ich brauche diese Umgebung. Das ist mein Widerstand gegen die digitale Welt. Für mich ist ein Archiv wie eine Beerdigung: Alles verschwindet in einer Kiste. Aber die Modelle sind lebendig!
Wandern die Modelle und wechseln den Ort?
Regine Leibinger Bei Frank Barkow wird es immer voller, aber die anderen Modelle rotieren. Manchmal werden welche aus dem Lager geholt, um sie für aktuelle Projekte zu studieren. Dafür gehen dann andere zurück ins Lager. Es ist wie eine Ausstellung.
Kann man sagen, euer Archiv ist lebendig?
Regine Leibinger Ja, die Ideen leben in ihnen weiter, zum Beispiel hängt im Empfangsbereich unseres Büros ein Modell wie ein Baldachin. Im Wettbewerb für den Mercedes-Benz Campus haben wir 2014 eine solche Deckenkonstruktion mit Schlaufen entwickelt, dort sollten sie aus Stahl sein. Später wurde dieses Holzmodell für eine Ausstellung in der BDA-Galerie gebaut und jetzt hängt es hier. Das Prinzip dieser Decke führte 2016 letztlich zum Entwurf für das Serpentine Summer House in London. Und eine Neuauflage des Pavillons in Edelstahl steht seit 2020 im Garten des Hauses am Waldsee.
Wenn die Modelle so präsent sind, beeinflussen sie auch die Arbeit an aktuellen Projekten?
Regine Leibinger Ja, definitiv. Am deutlichsten wird es wohl mit unserem Beitrag zur 4. Biennale in Marrakesch 2012. Die Installation „Loom-Hyperbolic“ war ein experimenteller Prototyp, der 2015 eine Übersetzung gefunden hat in
unserem Entwurf für den Fellows Pavilion der American Academy in Berlin. Diese direkte Bezugnahme und Weiterentwicklung haben sicher auch mit der Präsenz der Modelle hier im Büro zu tun.
unserem Entwurf für den Fellows Pavilion der American Academy in Berlin. Diese direkte Bezugnahme und Weiterentwicklung haben sicher auch mit der Präsenz der Modelle hier im Büro zu tun.
Frank Barkow Das Experimentieren und Ausprobieren ist für uns essenziell. Manchmal gibt es direkte Verbindungen zu aktuellen Bauprojekten. Für den Wettbewerb zum Estrel Tower habe ich selber die Modelle gebaut, habe Tag und Nacht an Arbeitsmodellen gebastelt, bis wir ein Konzept hatten.
Außer den Modellen – was archiviert Ihr noch und für wen? Archiviert Ihr auch, um euch selbst eine Referenz zu schaffen?
Regine Leibinger Als Architekten nehmen wir die Welt, denke ich, intensiver wahr als andere Menschen. Diese Wahrnehmung ist wie eine Art unbewusstes Archivieren. Wir haben über die Jahre unzählige Fotos gemacht und ein riesiges Dia-Archiv aufgebaut. Auch unser Archiv von Referenzen in Büchern ist sehr umfangreich. Für mich sind die Fotos auf meinem Handy wie ein Tagebuch – sie halten Räume, Zeit und Dokumente fest. Wenn ich die Fotos ansehe, erinnern sie mich an vieles. Ich finde es wichtig, unser eigenes Werk zu reflektieren: Wie haben wir in den 1990er Jahren gedacht? Wie in den 2000ern? Wie in Amerika? Das hilft uns zu sehen, wie wir uns über die Jahre verändert haben.
Frank Barkow Ich habe meine Skizzenbücher als persönliches Archiv.
Regine Leibinger Stimmt, wir haben auch sehr viele Zeichnungen und Skizzen aufgehoben – das war uns wichtig. Weil wir sie nicht verlieren wollten, auch nicht aus dem Gedächtnis.
Sind die archivierten Skizzen für alle zugänglich im Büro?
Regine Leibinger Das wäre ideal. Manchmal sagen wir: „Schau dir nicht nur Referenzen anderer Architekten an, sondern auch, was wir gemacht haben.“ Viele unserer Projekte sind digitalisiert, und wir ermutigen unsere Mitarbeitenden, sich wirklich mit den Projekten auseinanderzusetzen. Das ist bei den Modellen einfacher, da sie allgegenwärtig sind.
Ihr seid im Gespräch mit der Akademie der Künste über einen Vorlass?
Regine Leibinger Ja, wir haben zwei Kinder, die kein Interesse haben, das Architekturbüro weiterzuführen. Wir würden gerne einiges regeln, bevor sie sich mit einem Nachlass auseinandersetzen müssen. Und wir möchten uns an der Diskussion beteiligen, was aufhebenswert ist. Es gibt Projekte, die beispielsweise dazu beigetragen haben, dass Menschen besser essen – wie die Kantine in Ditzingen. Ein toller Raum, der auch viel Anerkennung bekommen hat. Es wäre schade, wenn diese Arbeiten in Vergessenheit gerieten. Deshalb wäre es schön, wenn sich jemand professionell darum kümmert, solche Werke und ihre Entstehungsgeschichte zugänglich zu halten, darüber sprechen wir seit einiger Zeit mit dem Baukunstarchiv.
Verändert sich die Sicht auf euer Werk im Kontext des Baukunstarchivs?
Frank Barkow Im Schaudepot in der Akademie der Künste gibt es eine Dauerausstellung mit Architekturmodellen. Dort steht ein Modell von uns, aber eben auch welche von Poelzig und Scharoun. Es ist spannend, unsere Arbeit in einem solchen historischen Kontext zu sehen. Normalerweise drehen sich unsere Ausstellungen immer nur um uns. Unsere Arbeit in den Kontext von über 100 Jahren Architekturgeschichte in Berlin zu stellen, ist eine große Ehre und gleichzeitig sehr inspirierend und aufregend. Das ein aktives Archiv. Das finde ich sehr interessant.
0 Kommentare