Bauwelt

Wir werden nicht für immer in überalterten Gesellschaften leben

Bis 2050 könnten weltweit 139 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung leben. Wir sprachen mit Nord Architects, die regelmäßig für an Demenz und Alzheimer erkankte Menschen planen, was das für die Arbeit von Architektinnen und Planern bedeutet

Text: Kraft, Caroline, Berlin

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    Keine Weißkittel weit und breit: Im Alzheimer-Dorf in Dax soll nicht der Eindruck einer medizinischen Einrichtung entstehen. 120 Angestellte und 120 Ehrenamtliche unterstützen maximal 120 Erkrankte, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Einen festen Tagesablauf gibt es nicht.
    Foto: Florent Michel (11h45)

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    Keine Weißkittel weit und breit: Im Alzheimer-Dorf in Dax soll nicht der Eindruck einer medizinischen Einrichtung entstehen. 120 Angestellte und 120 Ehrenamtliche unterstützen maximal 120 Erkrankte, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Einen festen Tagesablauf gibt es nicht.

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    Das Alzheimer-Dorf in Dax ist das erste in Frankreich. Während es strukturiert ist wie südfranzösische mittelalterliche Städte, ist sein Pendant in Oslo aus klimatischen Gründen konzentrierter organisiert.
    Foto: Florent Michel (11h45)

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    Das Alzheimer-Dorf in Dax ist das erste in Frankreich. Während es strukturiert ist wie südfranzösische mittelalterliche Städte, ist sein Pendant in Oslo aus klimatischen Gründen konzentrierter organisiert.

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    Das Zentrum des Komplexes in Dax ist, als Zitat der mittelalterlichen Stadt Okzitaniens, eine Bastide. Um den Platz in den Arkaden liegen Supermarkt, Kosmetiksalon, Werkstatt, Mediathek, Veranstaltungsräume sowie ein Therapiezentrum.
    Foto: Florent Michel (11h45)

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    Das Zentrum des Komplexes in Dax ist, als Zitat der mittelalterlichen Stadt Okzitaniens, eine Bastide. Um den Platz in den Arkaden liegen Supermarkt, Kosmetiksalon, Werkstatt, Mediathek, Veranstaltungsräume sowie ein Therapiezentrum.

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    Mittig des Areals liegen drei Teiche und ein kleines Waldstück.
    Foto: Florent Michel (11h45)

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    Zwischen den Wohngruppen vermitteln bepflanzte Spaliere den Eindruck eines Gartens, am östlichen Grundstücksrand können Anwohner Gemüse anbauen.
    Foto: Florent Michel (11h45)

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    Menschen mit Alzheimer neigen dazu, umherzustreifen, was an Ängsten, Unru-he oder Medikamenten liegen kann. Durch das Dorf in Dax verläuft ein Rundweg, Bewohnerinnen können allein oder in Begleitung spazieren gehen.
    Foto: Florent Michel (11h45)

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    Menschen mit Alzheimer neigen dazu, umherzustreifen, was an Ängsten, Unru-he oder Medikamenten liegen kann. Durch das Dorf in Dax verläuft ein Rundweg, Bewohnerinnen können allein oder in Begleitung spazieren gehen.

    Foto: Florent Michel (11h45)

Wir werden nicht für immer in überalterten Gesellschaften leben

Bis 2050 könnten weltweit 139 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung leben. Wir sprachen mit Nord Architects, die regelmäßig für an Demenz und Alzheimer erkankte Menschen planen, was das für die Arbeit von Architektinnen und Planern bedeutet

Text: Kraft, Caroline, Berlin

Herr Gregersen, was bedeutet Planen für Menschen mit Demenz?
Für uns ist es zunächst eine sinnstiftende Aufgabe. Wir sind mit dem Krebs-Zentrum in Kopenhagen (Fertigstellung 2009) in die Gesundheitsarchitektur eingestiegen. Das hat gut funktioniert, wir haben unseren Ansatz in anderen Healthcare-Projekten weiterentwickelt und für unser Alzheimer-Dorf in Dax neu ausgelegt. Wir wollen unsere Wahrnehmung von Krankheiten wie Demenz oder Alzheimer und wie wir mit ihnen umgehen, infrage stellen.
Das tun Sie gerade zum ersten Mal auch in den USA. Wie unterscheidet sich das Projekt von denen in Europa?
Im Memory Care Center in Philadelphia (geplante Fertigstellung 2025) sind zusätzlich zum Wohnraum Laborräume für Hirnforschung vorgesehen. Es soll Kooperationen mit den Universitäten geben. Klimatisch sind die Voraussetzungen ähnlich wie in Dax, aber die Lage in einem Vorstadtgebiet bedeutet eine andere Organisation. Wir bauen dichter, die Wohnhäuser sind anders als in Dax zweistöckig, der Innenraum mit kollektiven Bereichen ist größer. In Oslo haben wir 2023 ein Alzheimer-Dorf am Hang gebaut. Da überlagern sich zwei funktionale Ringe, der Wohnraum und die öffentlich genutzten Bereiche sind über den Innenraum verbunden. Das ist eine dritte Typologie, wieder in einem anderen Kontext.
Prägt der Standort den Umgang mit Demenz?
Es gibt kulturelle Differenzen, auch bei Richtlinien. Herausfordernder für uns war aber der klimatische Unterschied. In Skandinavien planen wir geschlossene Strukturen, damit Pflegekräfte und Bewohnerinnen sich auch im Winter angenehm zwischen verschiedenen Funktionsbereichen bewegen können. In Dax konnten wir diese Dichte stärker auflösen, weil der Außenraum immer nutzbar ist. Das hat sicher auch einen Einfluss auf den kulturellen Umgang mit Demenz.
Wieso entstand das Alzheimer-Dorf in Dax?
Die Entscheidung fiel in Paris. Es war eins der ersten Projekte, die Präsident Hollande nach seinem Amtsantritt initiierte (Anm. d. Red.: Frankreich entwickelte 2001 als erster europäischer Staat eine nationale Demenzstrategie), er kam auch zur Eröffnung. Die Zahl der Menschen mit Alzheimer oder Demenz steigt, auch in Frankreich. Es gibt weltweit eine immer größere Nachfrage nach solchen Projekten. Das Alzheimer-Dorf in Dax war ein von der EU ausgeschriebener Wettbewerb, wir haben mitgemacht und uns gegen vier andere Büros durchgesetzt. Das lokale Architekturbüro Grégoire & Champagnat Architectes hat uns bei der Ausführung unterstützt.
Könnte das Dorf auch woanders stehen?
In klimatisch ähnlichen Gegenden. Wir orientieren uns immer am örtlichen Kontext und möchten den Menschen, die ihre kognitiven Fähigkeiten schrittweise verlieren, ein Gerüst anbieten, das sie lesen können und zu dem sie einen Bezug haben. Das betrifft Gebäudetypologien wie auch Materialien und Bepflanzung. In Dax haben wir den Ansatz unseres Krebs-Zentrums aus Kopenhagen weiterverfolgt: den Gedanken, wir wären die Patienten. Wir haben also überlegt, was wir uns wünschen würden. Gesundheitsarchitektur unterliegt vielen Normen und Vorgaben. Wir wollten eher ein Gefühl von zuhause kreieren.
Wie haben Sie dieses individuelle Gefühl für verschiedene Menschen architektonisch zu übersetzen versucht?
Die wichtigste Einheit ist der Maßstab. Oft verlieren Pflegeeinrichtungen größentechnisch jeglichen Bezug zum Menschen, es entstehen riesige Gebäude, an die wir nicht gewöhnt sind. Wir haben im menschlichen Maßstab geplant. Außerdem brauchen gesunde wie erkrankte Menschen den Bezug zur Umgebung. Dax liegt ländlich, es gibt keine großen Gebäude. In der Gegend sind Städte als Bastiden geplant, daran haben wir uns orientiert. Es gibt einen von Häusern mit Arkadengängen eingerahmten Platz in der Mitte, an dem alle öffentlichen Funktionen liegen. Wir wollten ein alltägliches Setting im Dorf nachbauen. Die Bewohner können in dieser geschützten Umgebung tun, was sie zuhause immer getan haben. Außerdem kann die Bevölkerung aus der Stadt die Einrichtungen auch nutzen. Es gibt einen Ausstellungs- und Veranstaltungsraum und auch das Restaurant ist öffentlich zugänglich. Alles soll so gewöhnlich wie nur möglich sein.
Die Wohngruppen leben also nicht abgeschirmt, sondern können nach wie vor mit ihrem Umfeld interagieren?
Ja, die Bewohner dürfen allerdings das Gelände nicht verlassen. Die rechtliche Situation variiert von Land zu Land ein wenig – in Dänemark dürften sie das Areal verlassen, allerdings wären auch digitale Mittel erlaubt, um zu sehen, wohin sie gehen.
Thema Kontrolle: Ein Demenzdorf muss umzäunt sein. Wie vermeiden Sie den Eindruck des Eingesperrtseins?
Wir versuchen, wo es nur geht, landschaftliche Elemente als natürliche Barrieren zu nutzen – Hecken, Büsche, Teiche. Clever eingesetzt muss ein Zaun übrigens nicht mit dem Gedanken der Abriegelung einhergehen. In ländlicher Umgebung grenzen Zäune ganz selbstverständlich Felder voneinander ab, auch in Parks gibt es Zäune. Sie sind ein Teil der ländlichen und suburbanen Infrastruktur.
Sind die Wohngruppen in Dax nach Art oder Schwere der Erkrankung unterteilt?
Nein. Wer in das Dorf zieht, bleibt in der Regel in seinem Apartment. Umzüge wollten wir vermeiden. Menschen in verschiedenen Krankheitsstadien sollen zusammen leben. In jeder Wohngruppe leben sieben bis acht Menschen, alle haben ein eigenes Zimmer und teilen sich einen Gemeinschaftsbereich. Die Mitarbeitenden unterstützen die Gruppen bestmöglich.
Alle Wohngruppen sind in ihrer Ausstattung also identisch?
Sie unterscheiden sich nicht strukturell, aber in Farbgebung und Mobiliar. Das hilft den Erkrankten, ihre eigene Umgebung zu erkennen. Dieser Ansatz läuft außerdem gegen den Gedanken der Institution und der Vereinheitlichung.
Die sensorische Wahrnehmung ist für Menschen mit Demenz oft der einzige Weg, Eindrücke zu sammeln. Wie unterstützt das Wohnheim in Dax dabei?
Zunächst mit Tageslicht. Die Gehirnfunktion ist von Tageslicht und seinem Verlauf stark abhängig. Das ist etwas, was die Patientinnen und Patienten schon ihr Leben lang ganz natürlich erlebt haben. Dann gibt es mehrere Bereiche mit duftenden Pflanzen und eine kleine Farm mit Tieren. Der Einsatz von Farben, wie wir es in denWohngruppen machen, stimuliert außerdem die Sinne, und auch der Hörsinn kann viel auslösen. Fast überall im Dorf können die Menschen zusammen oder allein Musik hören. Es kann vorkommen, dass ein Mensch, der ein Jahr nicht gesprochen hat, so seine Sprache wiederfindet.
Wie ist die Situation in Dänemark, gibt es einen Standard für Pflegeheime?
Die meisten Einrichtungen werden von den Kommunen realisiert und geleitet, mehr oder weniger standardisiert. Es ist gerade ein sehr anregendes Planungsfeld – und ein sehr politisches, die Regierung veröffentlichte vor kurzem einen neuen Plan zum Umgang mit den steigenden Zahlen Demenzerkrankter. Es treten immer mehr private Investoren und Träger auf den Plan, die dann auch in der Hand haben, wie Pflegeeinrichtungengebaut und mit welchen Nutzungen sie kombiniert werden können.
Nutzungsdurchmischung ist der Schlüssel?
Ja. Die meisten von uns leben in Städten und schätzen ihre Vorteile. Wir können nicht alle aufs Land nach Dax ziehen, wenn wir alt sind. Wir brauchen Wohnraum für Ältere in unserer unmittelbaren persönlichen Umgebung.
Nord Architects setzt einen Fokus auf das Planen von „age-integrated cities“ – Städten, die das Altern der Gesellschaft mitdenken und auffangen. Wie sieht so eine Stadt aus?
Sie funktioniert nach den Grundlagen des universellen Designs. Menschen mit Behinderung oder alte Menschen könnten wie alle anderen in der Stadt leben, ohne dass eine Anpassung des Stadtraums nötig wäre. Die Stadt würde im kleinsten Umkreis alle nötigen Infrastrukturen anbieten. Der Traum wäre, so lange wie möglich zuhause leben zu können und dann, wenn nötig, im Alter in eine von vielen kleineren Einrichtungen in der Nachbarschaft zu ziehen. Wichtig ist auch, dass eine Nachnutzung unkompliziert ist – wir werden nicht für immer in überalterten Gesellschaften leben.
Fakten
Architekten Gregersen, Morten Rask, Kopenhagen; Nord Architects, Kopenhagen; Champagnat & Grégoire Architectes, Saint Martin d’Oney
aus Bauwelt 9.2024
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