Lässt sich der Tiger reiten, wenn es um neue Kunstformen geht?
Die Architektin Liz Diller spricht über die lange Entwicklungsgeschichte von „The Shed“, das zu seiner Entstehung im Krisenjahr 2008 nicht viel mehr war als eine verrückte Idee für einen neuen Ort der Kunst. Das Gespräch startet mit einer einfachen Streichholzschachtel. Deren Hülle ist so perforiert, dass sie das Teleskop-Prinzip deutlich macht, mit dem sich die Institution den öffentlichen Raum aneignet.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Lässt sich der Tiger reiten, wenn es um neue Kunstformen geht?
Die Architektin Liz Diller spricht über die lange Entwicklungsgeschichte von „The Shed“, das zu seiner Entstehung im Krisenjahr 2008 nicht viel mehr war als eine verrückte Idee für einen neuen Ort der Kunst. Das Gespräch startet mit einer einfachen Streichholzschachtel. Deren Hülle ist so perforiert, dass sie das Teleskop-Prinzip deutlich macht, mit dem sich die Institution den öffentlichen Raum aneignet.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Die Ursprünge des Entwurfs von The Shed reichen mehr als 10 Jahre zurück. Wie fing es an?
Wir arbeiteten damals an der High Line (Bauwelt 19.2006) und fanden an ihrem nördlichen Endpunkt eine enorm große Kreuzung vor: einen Ort auf der Westseite von Manhattan, der damals ganz von Infrastruktur geprägt war. Das Gebiet heißt Hudson Yards, dort werden die Subway-Züge geparkt. Es ist eine funktionierende Gleisharfe, auf der bis zu 35 Wagen nebeneinanderstehen. Dieses Gebiet war damals unbebaut, weil sich niemand vorstellen konnte, dass über den Pendlerzügen Hochhäuser entstehen würden. Und obwohl jeder Quadratmeter in Manhattan enorm viel Wert ist – hier hatte man keine Hoffnung, das Areal jemals zu erschließen.
Wie ging es weiter mit dem Bauplatz? Heute ist er ja zugestellt von einem ganzen Kranz von Hochhäusern.
Dann beschloss die Administration unter dem damaligen Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, das Gelände als Bebauungsgebiet auszuweisen. Man sollte kräftig in die Höhe bauen können, um die Stadt zu verdichten. Aus den Hudson Yards wurde ein Wachstums-Areal und das Grundstück wurde in der Folge von Oxford Properties erworben. In diese Vorgänge waren wir nicht involviert. Aber es war ein Ziel der Bloomberg-Regierung, dass die Stadt sich nicht nur mit Büros und Wohnungen nach Innen verdichtet (siehe Text Seite 34) , sondern dass dabei die Kultur mitwächst. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte dort ein Kulturgebäude gebaut werden. Diese Bereitschaftserklärung hielten wir für eine großartige Gelegenheit, dort an etwas völlig Neues zu denken. Vorschläge gab es einige, auch von offizieller Seite, aber nichts Konkretes.
Das war 2008?
Ja, es war mitten auf dem der Höhepunkt der Finanzkrise. Wir haben als Architekten damals beschlossen, mit einer Programmschrift vorzupreschen. Darin hieß es, dass New York bereits sehr viele Kulturinstitutionen hat. Warum sollte die Stadt aber etwas bauen, was es längst schon gab? Unsere Idee ging in eine andere Richtung. Wir schlugen vor, ein flexibles Gebäude zu bauen, das die visuellen und die performativen Künste unter einem Dach vereint, zusammen mit anderen kreativen Veranstaltungsformen, die auch auf neue Raumformen angewiesen sind. Wir dachten an ein flexibles Gebäude in Anlehnung an das „Fun House“ von Cedric Price – auch eine Referenz an die 60er Jahre. Wir haben lange überlegt, wie ein solches Konzept fortgeführt werden könnte. Was bedeutet Flexibilität heute, jenseits von dem Klichée einer allseitigen Verfügbarkeit des Raums? Was sind die Inhalte zukünftiger Kunst, was werden Künstler in den nächsten zehn, zwanzig Jahren machen?
Und wie lautete Ihre Antwort? Sie haben ja mal gesagt, The Shed sei lange Zeit ein „White Elephant“ gewesen: Niemand weiß genau, wie er aussieht, aber man kann sich über sein Verhalten Gedanken machen...
Genau. Wir hatten die Vision, es könnte sich um so etwas wie eine große kreative Dissonanz handeln, die wir eine architektonische Struktur nannten. Die Antwort auf ihre Frage lautet deshalb: Wir wussten es nicht (lacht)! Das war die einzige Antwort, die wir damals hatten. Was bedeutet also die Chiffre des „Weißen Elefanten“. Ein Raum mit verschiedenen Medien, wo Künstler auf verschiedenen Ebenen arbeiten, und zwar ganz unabhängig voneinander? Eine solche Vorstellung verändert aber auch die Idee der Architektur. Um die Konstruktion wirklich zu öffnen, musst du das ganze System ändern. Du musst aus vielen kleinen Orten besonders große machen. Du kannst zum Beispiel die Erdanziehung nicht zum Verschwinden bringen. Du musst Energie in Elektrizität umwandeln, um Klang zu kontrollieren. Und so weiter.
Der Schritt von solchen Ideen hin zur Architektur scheint mir da sehr groß.
Wir hatten einige Grundprinzipien für den Entwurf im Kopf. Die Konstruktion sollte ganz entschieden auf den räumlichen Möglichkeiten der Öffnung basieren. Weil die Grundfläche begrenzt war, wollten wir möglichst verschiedene Erweiterungsstufen vorsehen, für große Ausstellungsräume und Performance-Orte, aber auch für einen mehrgeschossigen Raum für sehr große Performances und Installationen. Wir fingen an, das Gebäude selbst als „Transformer“ zu verstehen. Es würde sich auf die doppelte Grundfläche ausdehnen können, das war schon in unserer ersten Idee enthalten. Anfangs war es als ein Teleskop-Gebäude gedacht: deutlich größer noch als der jetzige Bau und nicht angedockt an ein Hochhaus nach Osten, sondern freistehend nach Norden ausgerichtet. Als wir diese Ideen zu Papier brachten, hatten wir allerdings keine Vorstellung von dem Ausmaß der Rezession, die das Projekt sehr unwahrscheinlich machte.
Damit war erstmal Schluss?
Einige Freunde sprachen immer wieder über das Projekt und hielten es so am Leben. Wir fertigten in dieser Zeit eine Reihe von Machbarkeitsstudien, bei denen wir die Technologie testeten und mit Ingenieuren arbeiteten. Auf der anderen Seite machten wir uns an die Programmgestaltung und trafen uns mit allen Kulturunternehmen in New York. Wir redeten mit dem Guggenheim und dem Whitney Museum und mit dem Tribeca Film Festival. Wir sprachen mit vielen Festivals und Mu- sikveranstaltern, weil wir deutlich machen wollten, dass das, was wir mit The Shed im Sinn hatten, keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung des bisherigen Angebots der Stadt darstellen würde.
Wie kam es dann schließlich zu einem realisierbaren Konzept?
Es gab ja in den ersten drei Jahren keinen Bauherren! 2011 trafen wir uns mit dem Bürgermeister und seinen Stab und legten eine Präsentation vor. Er fragte uns: Wo ist denn der Business Plan? Wir, die Architekten, sollten einen Business Plan vorlegen, weil wir ja auch die Idee gehabt hatten. Wir antworteten: „Der liegt ab jetzt bei Ihnen!“ Wir wurden dann aufgefordert, mit der Verwaltung zusammenzuarbeiten und Details bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung und der Kooperation mit dem Stadtteil zusammenzustellen. Dann erhielten wir einen Vertrag und die Stadt machte das Projekt schließlich öffentlich. The Shed wurde ein unabhängiges Non-Profit-Unternehmen; es steht übrigens auch auf Grund und Boden, der der Stadt gehört. 2011 begann auch die Suche nach einem künstlerischen Direktor und 2014 wurde Alex Poots engagiert. Seitdem arbeiten wir mit ihm an der Programmierung der Räume zusammen und in diesem Monat wurde eröffnet.
11 Jahre sind eine lange Zeit...
Für den Entwurf eines Bauwerks mag das wie eine lange Zeit scheinen. Aber es handelt sich schließlich um eine ganz besondere Konstruktion. Für eine neue Institution ist es eine kurze Zeit. Ich sehe The Shed heute als eine Art Start-Up, das aus dem Nichts zu einem für die Öffentlichkeit funktionierenden Gebäude wurde. Die Geschichte ist ein wenig verrückt und ich bin wirklich glücklich darüber. Das Ganze begann mit nichts als einem Entwurf. Wir hatten Glück, es gab den richtigen Ort zur richtigen Zeit, wir hatten die Verwaltung auf unserer Seite und die große Chance, dass Manhattan gerade wächst. Und wir haben es so gut wie möglich gemacht.
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