100% STADT
Positionspapier zum Städtebau und zur Städtebauausbildung
Text: die Unterzeichner
100% STADT
Positionspapier zum Städtebau und zur Städtebauausbildung
Text: die Unterzeichner
(1) Wir schätzen die Vielfalt in unseren Städten!
Die Europäische Stadt ist lebendig, vielfältig und manchmal widersprüchlich: die bunte Mischung aus kleinen Nachbarschaften und großen Siedlungen, Wochenmärkten und Shoppingmalls, Spielstraßen und Autobahnen, Schrebergärten und Grüngürteln ist für Singles und Großfamilien, für Vagabunden und Sesshafte, für Vermögende und Bedürftige da.
Die Europäische Stadt ist „sowohl als auch“, nie „entweder oder“. Sie umfasst die Orte und Räume, die ihrer landläufigen Idealvorstellung entsprechen - historische Ortskerne, Parkanlagen, Gründerzeitviertel, Marktplätze - und die vielfältigen Stadtquartiere, die in der Nachkriegsphase gebaut wurden oder an den Rändern unserer Städte entstanden sind. Diese Brüche hat es immer gegeben. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen und sie gestalten.
Die Europäische Stadt ist größtenteils gebaut. Sie eröffnet Räume, in denen Arme betteln und Mut schöpfen, Unternehmen wachsen und Konkurs anmelden, Freundschaften geschlossen werden und sich trennen, Kreative erfinden und scheitern, Müde schlafen und aufwachen.
Die Städte, die wir planen, sind für ihre Bürger gemacht; sie sollen ihnen eine möglichst hohe Lebensqualität gewährleisten.
(2) Wir machen uns Sorgen um unsere Städte!
Verliert die Stadtplanung ihre Bürger?
Die Europäische Stadt baut darauf, dass sich Bürger für ihr Umfeld engagieren. Im besten Falle geschieht dies, weil sie etwas für die Gemeinschaft erreichen wollen. Diese Menschen haben wir zu großen Teilen verloren. Viele verstehen uns nicht, weil sie aus einer anderen Kultur kommen, viele haben Angst vor Veränderung oder misstrauen uns und viele hören wir nicht, weil sie sich nicht äußern können. Alle drei: die Menschen, die keine Stimme, die Menschen, die andere kulturelle Werte und die Menschen, die eine Wut haben auf „den Staat“, brauchen unsere Kompetenz. Alle haben völlig unterschiedliche Bedürfnisse und brauchen doch eins: Stadtplanerinnen und -planer, die mit ihnen arbeiten und nicht gegen sie.
Ist Stadtplanung nur eine Frage des Geldes?
Einige deutsche Städte sind wohlhabend, andere bettelarm. Aber fast alle haben eines gemeinsam: Die finanzielle und die Planungshoheit über die Grundstücke und die Gebäude liegen in der Regel nicht bei den Stadtplanern. Der Boden und die Stadt sind ein wohlfeiles Gut geworden, und das sieht man unseren Städten an. Wir brauchen mehr Wirtschafts- und Liegenschaftskompetenzen bei den Stadtplanern, damit wir das, was wir in städtebaulichen Konzepten und in Plänen festlegen, auch qualitätsvoll umsetzen können. Denn eine an Gemeinwohl und Nachhaltigkeit orientierte Stadtentwicklung bedarf zwingend einer kompetenten, langfristig denkenden und selbstbewusst handelnden Stadtverwaltung und Politik. Privatisierung von Daseinsvorsorge ist eine Sackgasse, und Städte stellen keine Produkte her.
Ist Gestaltung lediglich das „Sahnehäubchen“?
Die meisten Stadtgestalter verwalten nur noch kleinteilige Ressourcen. Sie können hier eine Bank aufstellen, dort über das Leitsystem entscheiden. Das ist falsch, denn eigentlich müssen sie mit ihrem Fachwissen den Stadtraum, bestehend aus der Straße, den Materialien, den Hausfassaden, dem Grün, der Beleuchtung und der Atmosphäre, im Zusammenhang sehen und ordnen. Im besten Falle haben auch die politischen Entscheidungsträger dafür ein Verständnis.
Dienen all die Normen dem „guten Leben“ und den Menschen?
SEVESO III, BASEL III, DIN-Normen, der Immissionsschutz und viele weitere Vorschriften haben massive Auswirkungen auf die Gestalt und die Ordnung unserer Städte. Vielfach versuchen sie, Sicherheiten zwischen der Arbeits- bzw. Finanzwelt und der Lebenswelt zu organisieren. Sie setzen starre Grenzen, wo Möglichkeiten wichtig wären und berücksichtigen nicht die Differenziertheit der Rahmenbedingungen. Sie alle schützen Menschen, aber keine stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt. Planerinnen und Planer müssen diese Vorschriften kennen, mit ihnen arbeiten und sie gleichzeitig so weiter entwickeln, dass sie wieder zu guten, unterstützenden Regeln des Zusammenlebens werden.
(3) Was müssen wir tun?
Zeitgenössische Leitbilder entwickeln!
Städtebauliche Leitbilder entstehen immer wieder in spezifischen historischen Situationen. Auch die heutige Generation der Stadtplaner sollte aktuelle, zeitgemäße Leitbilder entwickeln. Dies im Bewusstsein, dass die Gestaltung von Stadt zunehmend komplexer geworden ist und sich mit der Gesellschaft permanent verändert. Die Leitbilder müssen auf den vielschichtigen Gesetzmäßigkeiten des Ortes beruhen und ein tragfähiges Zukunftsbild für die Stadt von morgen entwerfen.
Komplexität zulassen!
Städtebau, Stadtplanung und Stadtentwicklung sind komplexe Prozesse, an denen nicht nur Architekten, Stadtplaner und Ingenieure beteiligt sind, sondern Politiker, institutionelle und private Investoren, Kreative, Soziologen, Klimaforscher, Lichtdesigner, Eventmanager und mehr denn je die städtische Bürgerschaft selbst. Städtebauliches Entwerfen erfordert eine Auseinandersetzung mit der ganzen, komplexen Stadt und muss für diese sowohl an ihren Rändern, als auch in ihrer Mitte Qualitäten definieren. Städtebaulich Handelnde tragen Mitverantwortung für die Vielfalt und den sozialen Frieden, für den wirtschaftlichen Wohlstand und die ökologische Tragfähigkeit unserer Städte.
Geschichte(n) fortschreiben!
Dabei gilt es, auf die Geschichten der Stadt zu hören, ihre Entstehung zu begreifen, an sie anzuschließen oder – wo die Substanz den Regeln der Gegenwart nicht mehr entspricht – eine neue Schicht zu entwickeln. Die Moderne ist heute eine dieser Ge-Schichten, unser heutiges Handeln wird morgen auch eine dieser Schichten sein! Zeitgenossenschaft im Städtebau bedeutet, starke Positionen einzunehmen, mit denen eine internationale Stadtgesellschaft entwickelt werden kann. Gleichzeitig ist Entwerfen aber auch als Entdeckungs- und Forschungsprozess auf der Basis historischer Fundamente zu begreifen.
Den Dichtebegriff überprüfen und justieren!
Dichte ist ein relativer Begriff geworden. Sie hat in vielen Städten Europas abgenommen, in manchen aufgrund geringerer Nachfrage, in vielen aufgrund gehobener Lebensstandards. Die physische Dichte der Stadt muss an den Rändern und in ihrem Kern mit Blick auf die sozialen, funktionalen und ökologischen Anforderungen immer wieder überprüft und neu justiert werden.
Die Herausforderungen des Klimawandels ernst nehmen!
Städte müssen so gestaltet werden, dass der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert wird und sie sich an den Klimawandel anpassen können. Die akute Bedrohung unserer Lebensqualität fordert eine behutsame Balance aus gebauten und freien Räumen und verlangt eine verträgliche Mischung von Funktionen mit möglichst kurzen Wegen.
Die Landschaft als urbanes Element verstehen!
Gebaute Räume und Landschaften sind komplementäre Bestandteile von urbanem Leben und schon lange keine „Gegenspieler“ mehr. Die Landschaft ist zu einer gleichberechtigten Partnerin im urbanen Gefüge geworden. Städtisches Leben findet auch in ländlichen Räumen statt, also überall dort, wo wir an die Daten- und Informationsnetzwerke, die unsere Gesellschaft zusammen halten, angeschlossen sind.
Die Emotionen und Atmosphären der Stadt stärken!
Stadt ist nicht auf Traufhöhe und Fassadenmaterial und -farbe zu reduzieren. Jede lebendige Stadt besteht vor allem aus den Erzählungen der Vergangenheit und den gegenwärtigen Erwartungen an die Zukunft. Beides muss im Nebeneinander seinen Ausdruck in Städtebau und Architektur finden, damit die Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt ihre Geschichte weiter schreiben können. Dazu gehört auch ein emotionales Verständnis von Stadt, die sich nicht technokratisch beherrschen lässt, sondern die Entwicklung von Atmosphären einschließt.
Die Möglichkeiten für Teilhabe organisieren!
Stadt ist vor allem lebendig. Abseits der Linien und Bausteine, die wir setzen, findet urbanes Leben statt. Damit sich die Planung nicht von der Gesellschaft entfernt, ist es notwendig, jenseits formaljuristischer Beteiligungsformen Teilhabe und Verantwortung für die Stadt zu organisieren und Governance als Basis für eine vielfältige Stadtgesellschaft zu leben.
Die Städtebauausbildung an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen!
Diese Situation erfordert eine Weiterentwicklung der städtebaulichen Ausbildung. Die Herausforderungen in den Handlungsfeldern des Städtebaus müssen in ihrer Komplexität benannt werden und Berücksichtigung finden.
Planerinnen und Planer, die künftig Stadt gestalten und bestehende Städte weiterbauen, müssen lernen, mit dieser neuen „Unübersichtlichkeit“ umzugehen und ein lebendiger und kenntnisreicher Teil des Aushandlungsprozesse um Stadt sein. Sie müssen dazu befähigt werden, mit Demut vor der Sache und selbstbewussten Positionen Orientierung für mögliche Entwicklungen zu geben.
Eine fundierte Städtebauausbildung muss Gestaltung und Moderation, Geschichte und Zukunft, Methoden und Instrumente in eine angemessene Balance bringen. Eine Überforderung? Für eine einzelne Person sicher. Für ein Team, das Begabungen aus den unterschiedlichen Disziplinen zueinander bringt, sicher nicht!
Unterzeichner
Prof. Dr. Uwe Altrock, Universität Kassel
Frauke Burgdorff, Montag Stiftung Urbane Räume gAG
Prof. Carl Fingerhuth, TU Darmstadt / Zürich
Prof. Andreas Fritzen, Hochschule Bochum
Prof. Anne Klasen-Habeney, Hochschule Aachen
Prof. Dr. em. Ingrid Krau, TU München
Prof. Dr. Maren Harnack, Hochschule Frankfurt am Main
Prof. Dr. Detlef Kurth, Hochschule für Technik Stuttgart
Prof. Dr. Angela Million, TU Berlin
Reiner Nagel, Bundesstiftung Baukultur
Prof. Philipp Oswalt, Universität Kassel
Prof. Klaus Overmeyer, Bergische Universität Wuppertal
Prof. Elke Pahl‐Weber, TU Berlin
Prof. Dr.-Ing. Martin Prominski, Universität Hannover
Prof. Christa Reicher, TU Dortmund
Prof. Stefan Rettich, Hochschule Bremen
Prof. Dr. Iris Reuther, Senatsbaudirektorin der Freien Hansestadt Bremen
Tim Rieniets, Urbanist, Kurator und Publizist
Prof. Brigitte Schmelzer, Universität Hohenheim / Esslingen
Prof. Dr. Alexander Schmidt, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Christina Simon-Philipp, Hochschule für Technik Stuttgart
Prof. Albert Speer, TU Kaiserslautern / AS & P, Frankfurt
Prof. Jörg Stollmann, TU Berlin
Hilmar von Lojewski, Deutscher Städtetag und Städtetag NRW
Dr. Michael Zirbel, Stadt Gütersloh
Prof. Martin zur Nedden, HTWK Leipzig
Die Europäische Stadt ist lebendig, vielfältig und manchmal widersprüchlich: die bunte Mischung aus kleinen Nachbarschaften und großen Siedlungen, Wochenmärkten und Shoppingmalls, Spielstraßen und Autobahnen, Schrebergärten und Grüngürteln ist für Singles und Großfamilien, für Vagabunden und Sesshafte, für Vermögende und Bedürftige da.
Die Europäische Stadt ist „sowohl als auch“, nie „entweder oder“. Sie umfasst die Orte und Räume, die ihrer landläufigen Idealvorstellung entsprechen - historische Ortskerne, Parkanlagen, Gründerzeitviertel, Marktplätze - und die vielfältigen Stadtquartiere, die in der Nachkriegsphase gebaut wurden oder an den Rändern unserer Städte entstanden sind. Diese Brüche hat es immer gegeben. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen und sie gestalten.
Die Europäische Stadt ist größtenteils gebaut. Sie eröffnet Räume, in denen Arme betteln und Mut schöpfen, Unternehmen wachsen und Konkurs anmelden, Freundschaften geschlossen werden und sich trennen, Kreative erfinden und scheitern, Müde schlafen und aufwachen.
Die Städte, die wir planen, sind für ihre Bürger gemacht; sie sollen ihnen eine möglichst hohe Lebensqualität gewährleisten.
(2) Wir machen uns Sorgen um unsere Städte!
Verliert die Stadtplanung ihre Bürger?
Die Europäische Stadt baut darauf, dass sich Bürger für ihr Umfeld engagieren. Im besten Falle geschieht dies, weil sie etwas für die Gemeinschaft erreichen wollen. Diese Menschen haben wir zu großen Teilen verloren. Viele verstehen uns nicht, weil sie aus einer anderen Kultur kommen, viele haben Angst vor Veränderung oder misstrauen uns und viele hören wir nicht, weil sie sich nicht äußern können. Alle drei: die Menschen, die keine Stimme, die Menschen, die andere kulturelle Werte und die Menschen, die eine Wut haben auf „den Staat“, brauchen unsere Kompetenz. Alle haben völlig unterschiedliche Bedürfnisse und brauchen doch eins: Stadtplanerinnen und -planer, die mit ihnen arbeiten und nicht gegen sie.
Ist Stadtplanung nur eine Frage des Geldes?
Einige deutsche Städte sind wohlhabend, andere bettelarm. Aber fast alle haben eines gemeinsam: Die finanzielle und die Planungshoheit über die Grundstücke und die Gebäude liegen in der Regel nicht bei den Stadtplanern. Der Boden und die Stadt sind ein wohlfeiles Gut geworden, und das sieht man unseren Städten an. Wir brauchen mehr Wirtschafts- und Liegenschaftskompetenzen bei den Stadtplanern, damit wir das, was wir in städtebaulichen Konzepten und in Plänen festlegen, auch qualitätsvoll umsetzen können. Denn eine an Gemeinwohl und Nachhaltigkeit orientierte Stadtentwicklung bedarf zwingend einer kompetenten, langfristig denkenden und selbstbewusst handelnden Stadtverwaltung und Politik. Privatisierung von Daseinsvorsorge ist eine Sackgasse, und Städte stellen keine Produkte her.
Ist Gestaltung lediglich das „Sahnehäubchen“?
Die meisten Stadtgestalter verwalten nur noch kleinteilige Ressourcen. Sie können hier eine Bank aufstellen, dort über das Leitsystem entscheiden. Das ist falsch, denn eigentlich müssen sie mit ihrem Fachwissen den Stadtraum, bestehend aus der Straße, den Materialien, den Hausfassaden, dem Grün, der Beleuchtung und der Atmosphäre, im Zusammenhang sehen und ordnen. Im besten Falle haben auch die politischen Entscheidungsträger dafür ein Verständnis.
Dienen all die Normen dem „guten Leben“ und den Menschen?
SEVESO III, BASEL III, DIN-Normen, der Immissionsschutz und viele weitere Vorschriften haben massive Auswirkungen auf die Gestalt und die Ordnung unserer Städte. Vielfach versuchen sie, Sicherheiten zwischen der Arbeits- bzw. Finanzwelt und der Lebenswelt zu organisieren. Sie setzen starre Grenzen, wo Möglichkeiten wichtig wären und berücksichtigen nicht die Differenziertheit der Rahmenbedingungen. Sie alle schützen Menschen, aber keine stellt den ganzen Menschen in den Mittelpunkt. Planerinnen und Planer müssen diese Vorschriften kennen, mit ihnen arbeiten und sie gleichzeitig so weiter entwickeln, dass sie wieder zu guten, unterstützenden Regeln des Zusammenlebens werden.
(3) Was müssen wir tun?
Zeitgenössische Leitbilder entwickeln!
Städtebauliche Leitbilder entstehen immer wieder in spezifischen historischen Situationen. Auch die heutige Generation der Stadtplaner sollte aktuelle, zeitgemäße Leitbilder entwickeln. Dies im Bewusstsein, dass die Gestaltung von Stadt zunehmend komplexer geworden ist und sich mit der Gesellschaft permanent verändert. Die Leitbilder müssen auf den vielschichtigen Gesetzmäßigkeiten des Ortes beruhen und ein tragfähiges Zukunftsbild für die Stadt von morgen entwerfen.
Komplexität zulassen!
Städtebau, Stadtplanung und Stadtentwicklung sind komplexe Prozesse, an denen nicht nur Architekten, Stadtplaner und Ingenieure beteiligt sind, sondern Politiker, institutionelle und private Investoren, Kreative, Soziologen, Klimaforscher, Lichtdesigner, Eventmanager und mehr denn je die städtische Bürgerschaft selbst. Städtebauliches Entwerfen erfordert eine Auseinandersetzung mit der ganzen, komplexen Stadt und muss für diese sowohl an ihren Rändern, als auch in ihrer Mitte Qualitäten definieren. Städtebaulich Handelnde tragen Mitverantwortung für die Vielfalt und den sozialen Frieden, für den wirtschaftlichen Wohlstand und die ökologische Tragfähigkeit unserer Städte.
Geschichte(n) fortschreiben!
Dabei gilt es, auf die Geschichten der Stadt zu hören, ihre Entstehung zu begreifen, an sie anzuschließen oder – wo die Substanz den Regeln der Gegenwart nicht mehr entspricht – eine neue Schicht zu entwickeln. Die Moderne ist heute eine dieser Ge-Schichten, unser heutiges Handeln wird morgen auch eine dieser Schichten sein! Zeitgenossenschaft im Städtebau bedeutet, starke Positionen einzunehmen, mit denen eine internationale Stadtgesellschaft entwickelt werden kann. Gleichzeitig ist Entwerfen aber auch als Entdeckungs- und Forschungsprozess auf der Basis historischer Fundamente zu begreifen.
Den Dichtebegriff überprüfen und justieren!
Dichte ist ein relativer Begriff geworden. Sie hat in vielen Städten Europas abgenommen, in manchen aufgrund geringerer Nachfrage, in vielen aufgrund gehobener Lebensstandards. Die physische Dichte der Stadt muss an den Rändern und in ihrem Kern mit Blick auf die sozialen, funktionalen und ökologischen Anforderungen immer wieder überprüft und neu justiert werden.
Die Herausforderungen des Klimawandels ernst nehmen!
Städte müssen so gestaltet werden, dass der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert wird und sie sich an den Klimawandel anpassen können. Die akute Bedrohung unserer Lebensqualität fordert eine behutsame Balance aus gebauten und freien Räumen und verlangt eine verträgliche Mischung von Funktionen mit möglichst kurzen Wegen.
Die Landschaft als urbanes Element verstehen!
Gebaute Räume und Landschaften sind komplementäre Bestandteile von urbanem Leben und schon lange keine „Gegenspieler“ mehr. Die Landschaft ist zu einer gleichberechtigten Partnerin im urbanen Gefüge geworden. Städtisches Leben findet auch in ländlichen Räumen statt, also überall dort, wo wir an die Daten- und Informationsnetzwerke, die unsere Gesellschaft zusammen halten, angeschlossen sind.
Die Emotionen und Atmosphären der Stadt stärken!
Stadt ist nicht auf Traufhöhe und Fassadenmaterial und -farbe zu reduzieren. Jede lebendige Stadt besteht vor allem aus den Erzählungen der Vergangenheit und den gegenwärtigen Erwartungen an die Zukunft. Beides muss im Nebeneinander seinen Ausdruck in Städtebau und Architektur finden, damit die Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt ihre Geschichte weiter schreiben können. Dazu gehört auch ein emotionales Verständnis von Stadt, die sich nicht technokratisch beherrschen lässt, sondern die Entwicklung von Atmosphären einschließt.
Die Möglichkeiten für Teilhabe organisieren!
Stadt ist vor allem lebendig. Abseits der Linien und Bausteine, die wir setzen, findet urbanes Leben statt. Damit sich die Planung nicht von der Gesellschaft entfernt, ist es notwendig, jenseits formaljuristischer Beteiligungsformen Teilhabe und Verantwortung für die Stadt zu organisieren und Governance als Basis für eine vielfältige Stadtgesellschaft zu leben.
Die Städtebauausbildung an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen!
Diese Situation erfordert eine Weiterentwicklung der städtebaulichen Ausbildung. Die Herausforderungen in den Handlungsfeldern des Städtebaus müssen in ihrer Komplexität benannt werden und Berücksichtigung finden.
Planerinnen und Planer, die künftig Stadt gestalten und bestehende Städte weiterbauen, müssen lernen, mit dieser neuen „Unübersichtlichkeit“ umzugehen und ein lebendiger und kenntnisreicher Teil des Aushandlungsprozesse um Stadt sein. Sie müssen dazu befähigt werden, mit Demut vor der Sache und selbstbewussten Positionen Orientierung für mögliche Entwicklungen zu geben.
Eine fundierte Städtebauausbildung muss Gestaltung und Moderation, Geschichte und Zukunft, Methoden und Instrumente in eine angemessene Balance bringen. Eine Überforderung? Für eine einzelne Person sicher. Für ein Team, das Begabungen aus den unterschiedlichen Disziplinen zueinander bringt, sicher nicht!
Unterzeichner
Prof. Dr. Uwe Altrock, Universität Kassel
Frauke Burgdorff, Montag Stiftung Urbane Räume gAG
Prof. Carl Fingerhuth, TU Darmstadt / Zürich
Prof. Andreas Fritzen, Hochschule Bochum
Prof. Anne Klasen-Habeney, Hochschule Aachen
Prof. Dr. em. Ingrid Krau, TU München
Prof. Dr. Maren Harnack, Hochschule Frankfurt am Main
Prof. Dr. Detlef Kurth, Hochschule für Technik Stuttgart
Prof. Dr. Angela Million, TU Berlin
Reiner Nagel, Bundesstiftung Baukultur
Prof. Philipp Oswalt, Universität Kassel
Prof. Klaus Overmeyer, Bergische Universität Wuppertal
Prof. Elke Pahl‐Weber, TU Berlin
Prof. Dr.-Ing. Martin Prominski, Universität Hannover
Prof. Christa Reicher, TU Dortmund
Prof. Stefan Rettich, Hochschule Bremen
Prof. Dr. Iris Reuther, Senatsbaudirektorin der Freien Hansestadt Bremen
Tim Rieniets, Urbanist, Kurator und Publizist
Prof. Brigitte Schmelzer, Universität Hohenheim / Esslingen
Prof. Dr. Alexander Schmidt, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Christina Simon-Philipp, Hochschule für Technik Stuttgart
Prof. Albert Speer, TU Kaiserslautern / AS & P, Frankfurt
Prof. Jörg Stollmann, TU Berlin
Hilmar von Lojewski, Deutscher Städtetag und Städtetag NRW
Dr. Michael Zirbel, Stadt Gütersloh
Prof. Martin zur Nedden, HTWK Leipzig
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