Bauwelt

12 Statements zur Tabakfabrik

Text: Albrecht, Wolf-Dieter, Linz; Bina, Andrea, Linz; Caramel Architekten, Wien; Fattinger, Peter, Wien; Forster, Roland, Linz; Gnaiger, Roland, Bregenz; Heidl, Andreas, Linz; Hofstätter, Wolfgang, Wien; Pauzenberger, Wolfgang, Wien; Krischanitz, Adolf, Berlin/Wien; Potocnik, Lorenz, Linz; Riepl, Franz, Linz/München; Treusch, Andreas, Wien

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Karl Hauk, Uhr, Mosaik, 1936
Foto: Gregor Graf; © Nordico, Linz

  • Social Media Items Social Media Items
Karl Hauk, Uhr, Mosaik, 1936

Foto: Gregor Graf; © Nordico, Linz


12 Statements zur Tabakfabrik

Text: Albrecht, Wolf-Dieter, Linz; Bina, Andrea, Linz; Caramel Architekten, Wien; Fattinger, Peter, Wien; Forster, Roland, Linz; Gnaiger, Roland, Bregenz; Heidl, Andreas, Linz; Hofstätter, Wolfgang, Wien; Pauzenberger, Wolfgang, Wien; Krischanitz, Adolf, Berlin/Wien; Potocnik, Lorenz, Linz; Riepl, Franz, Linz/München; Treusch, Andreas, Wien

Beim Besuch der Gebäude von Behrens und Popp ist man nicht nur von den Raumfluchten, Fensterbändern und Treppen­häusern beeindruckt, sondern auch von der für die Zeit beeindruckenden Ausführung der Details. Zwölf mehr oder weniger in die Überlegungen einer Neunutzung der Fabrik eingebundene Linzer und Wiener kommen zu Wort.
Europan 11 | Wolf-Dieter Albrecht
In der Tabakfabrik wurde im September 2009 die Produktion eingestellt. Die Stadt Linz hat die sich daraus ergebende städtebauliche Chance genutzt und das 38.148 Quadratmeter große Fabrikareal für 20,4 Millionen Euro von der Japan Tobacco International/Austria Tabak erworben. Für die Zukunft der denkmalgeschütz­ten Bauten, deren konsequente Ausprägung sich aus der Funktion als Produktionsstätte ableitet, sollen neue Programme geschrieben werden. Zu diesem Zweck ist beabsichtigt, ne­ben dem prozessorientierten lokalen und regio- na­len Arbeitskreis mit Experten aus verschiedenen Sparten (Seite 28) eine europäische Be­trachtungsebene – insbesonders die Partnerschaft mit Europan als Wettbewerbsaufgabe bei Europan 11 in diesem Jahr – zur Klärung der anstehenden Neunutzung heranzuziehen.
In der Gesamtbetrachtung sind mir drei Szenarien mit Blick auf das Thema einer neuen Gebäudenutzung wichtig:
– der interne Kontext mit den Anforderungen der Gebäude unter besonderer Berücksichtigung der Belange des Denkmalschutzes;
– das ergänzende Flächenpotenzial durch Freimachen bzw. durch Teilabbruch, Umbau oder Be­lassen nicht denkmalgeschützter Bereiche mit zu beachtender Wirkung nach innen;
– die Beziehung zum Umfeld, Außenwirkung des Komplexes, Öffnung als Gegenthese zur derzeitigen Abschottung, Gesamtwirkung als städtebaulicher Impuls für die geografische und räumliche Weiterentwicklung der Stadt nach Osten sowie im ideellen Sinn als Impulsgeber für visionäre Ideen.
▸ Anm. der Redaktion: Die Stadt Linz nahm bereits bei Europan 9 mit dem Projektgebiet „Neue Welt“ südlich der Innenstadt teil (Bauwelt 17–18. 2008).
Das Gesamtkunstwerk | Andrea Bina
Die Geschichte der größten und modernsten Fabrik von Austria Tabak ist auch ein Gang durch die Geschichte der Stadt Linz: die Gründung der Fabrik im Jahr 1850 am wichtigen Produktionsstandort der Monarchie in der ehemaligen Wollzeugfabrik. Dann der „Neubau“ in den Jahren 1929–1935 durch Behrens und Popp, als eine die Wirtschaft ankurbelnde Maßnahme in der Zwischenkriegszeit entstanden und zum Zeitpunkt der Fertigstellung in seiner modernen Erscheinung vom Austrofaschismus eingeholt. Schließlich das Ende der Produktion in Linz als Folge der Globalisierung und des Strukturwandels und der Privatisierung der Austria Tabak, mit dem Ergebnis des jetzigen Leerstands. Der Ankauf der Fabrik im Dezember 2009 durch die Stadt ist auch ein Besinnen auf diese 159-jährige Linzer Industriegeschichte und die damit zu­sammenhängende historische und soziale Bedeu­tung des Geländes für die Stadt.
Besonders interessant für die weitere Entwicklung des Areals scheint Folgendes: Die Tabakfabrik wurde von Behrens als Gesamtkunstwerk entworfen. Der ganzheitliche Zugang, nämlich das Verschmelzen von künstlerischen, ökonomischen und sozialen Aspekten, war damals der Zeit voraus und ist heute in seinem Anspruch an Qualität wieder hoch aktuell. Dieser umfassende Auftritt eines Unternehmens (in un­serem Fall der Stadt) und die daraus resultierende Identität sollten das Leitmotiv für die zukünftige Entwicklung des Areals sein.
Zu viel Fläche | Caramel Architekten
Bei der Stadt Linz ist ein deutlicher politischer Wille am nötigen Imagewandel erkennbar. Gerade in den letzten Jahren – unter anderem im Zusammenhang mit der Kulturhauptstadt 2009 – entstanden in der kleinen oberösterreichi­schen Landeshauptstadt einige kulturelle Großprojekte; begonnen hat dieser Trend in den sieb­ziger Jahren mit dem Bau des Brucknerhauses. Im neuen Jahrtausend entstanden u.a. die Neubauten: Lentos, Ars Electronica Center, Musiktheater und Landesmuseum.
Man kann der Politik aber auch einige schwere städtebauliche Fehler anlasten, wie es die Leerstände einer großen Anzahl zentrums-na­her, teilweise hochwertiger Objekte zeigen. Dennoch war es äußerst wichtig, dass ein weiterer Leerstand – die Tabakfabrik – angekauft wurde, da es sich beim Bau von Behrens und Popp um ein österreichweit beispiellos hochwertiges Bau­ensemble der dreißiger Jahre handelt, das zu­dem in einem guten Allgemeinzustand ist.
Dieser Ankauf stellt zweifellos eine ebenso große Chance wie Herausforderung dar. Fußläufig entlang der Donau über Lentos und Brucknerhaus vom Stadtzentrum aus erreichbar – also städtebaulich günstig gelegen –, scheint eher die immense Fläche für die Stadt das Problem zu sein. Eine rein kulturelle Bespielbarkeit scheint ausgeschlossen. Um einen lebendigen, funktionierenden öffentlichen Ort zu erhalten, wäre ein entsprechender Mix – durchaus auch kommerziell oder universitär – ratsam. Die Baustruktur ist flexibel genug; schließlich beherbergte die Tabakfabrik bereits Teile der Kunsthochschule (Seite 20). Die Umnutzung kann allerdings auch an einem allzu starren Denkmalschutz scheitern. In jedem Fall ist es für die Zukunft einer lebendigen Stadt höchst erstrebenswert, öffentliche Einrichtungen zentrumsnah zu halten; gerade in einer Stadt mit riesigen Shopping-Centern in der Peripherie und einer expandierenden Universität am Stadtrand (der Sciencepark stellt ein vergleichbares Bauvolumen wie die Tabakfabrik dar) muss aktiv der Erhalt eines belebten Stadtkerns forciert werden!
Sanfte Weichenstellung | Peter Fattinger
Der Ankauf des Tabakfabrik durch die Stadt Linz war eine gute und mutige Entscheidung. Nun sollte die Stadt nochmals Mut und zudem Experimentierfreudigkeit beweisen, um der Nut­zungsentwicklung die dafür nötige Zeit zu gewähren. Ad hoc eine endgültige Nutzung für die rund 80.000 Quadratmeter Fläche zu planen wäre ein großer Fehler, vielmehr sollte es in den nächsten Jahren darum gehen, eine sanfte Weichenstellung vorzunehmen, die der konkreten Entwicklung des Areals noch genügend Spielraum bietet. Der momentane Leerstand stellt ein großes Potenzial für ein „Kulturwerk“ dar. Man sollte dieses Werk nicht am Reißbrett entwerfen, sondern es mit neuen Strukturen in der Tabakfabrik wie eine „Stadt“ langsam wachsen las­sen. Die Einbindung aller potenziellen Nutzer spielt in diesem schrittweisen Transformationsprozess eine essenzielle Rolle.
Mit der Umbauwerkstatt (Seite 28) betreibt ein engagiertes interdisziplinäres Team derzeit ein Schaulabor, das lokale und internationale Experten an den Tisch holt und die Entwicklungs­prozesse um die Zukunft der Tabakfabrik für die breite Öffentlichkeit transparent macht. An ambitionierten Initiativen, die Fabrik zu einem zukunftsweisenden Pionierprojekt einer gelun­genen Nachnutzung zu machen, mangelt es also nicht. Um diese Visionen auch finanzieren zu können, wird es eines ausgeklügelten „Private-Public Partnership“ bedürfen. Neben klassischer kultureller Nutzung von Stadt und Land muss es zu einer Nutzersymbiose mit finanziell potenten Creative Industries und kulturaffinen Betrie-ben kommen. Der „Ausverkauf“ von Teilflächen an Nutzer, die keinen Kulturbezug vorweisen, kann der Fabrik hoffentlich erspart bleiben.
Rollatoren und Badelifte | Roland Forster
Die Tabakfabrik liegt an der stark befahrenen Unteren Donaulände der Stahlstadt, dort, wo bandförmige Erholungsflächen, Verkehrsachsen, Betriebsgebiete und Dienstleister aufeinander-treffen. Die recht geschlossen wirkende längli­che Hofanlage ist um das zentrale Kraftwerk angeordnet. An der früheren Haupteinfahrt mit Schienenanschluss und an den Haupttreppen haben die Architekten die prägenden Gestaltungsmerkmale konzentriert: Beschläge und Handläufe aus Tombak, einer hoch kupferhalti­gen Messinglegierung, gestreifte dunkelbraune Wandfliesen und das Türkis der Türen kennzeichnen diese Schnittstellen. Die Hallen und Lager jedoch wirken wesentlich neutraler und vor allem angenehm hell. Peter Behrens und Alexander Popp haben ein Gesamtkunstwerk europäischen Designs gestaltet. Guter Erhaltungszustand und völlige Funktionsfähigkeit nach fast 75 Jahren Betrieb tragen besonders zur Wertschätzung bei. Die noch offene neue Nutzung sollte sowohl zum städtebaulichen Cha­rakter der Umgebung, zur Architektur dieses Organismus als auch zu den Fähigkeiten der Bevölkerung des oberösterreichischen Zentralraums passen. Weder will ich behaupten, dass die große Nutzfläche des Bestands monofunktional zu füllen sein wird, noch dass dies wünschenswert wäre. Aber nennenswerte Teile wie die langen Hallen der früheren Zigarettenproduktion und den nüchternen Hof sehe ich in mei­ner Vorstellung von Menschen bevölkert, die verschiedenste Hilfsmittel ihrer körperlichen Beeinträchtigung testen, dazu Techniker und Designer, die diese Rollstühle, Rollatoren, Bade­lifte und Krücken weiterentwickeln und gut gestalten. Warum? Weil der Mensch des 21. Jahrhunderts älter wird, weil er Anspruch auf ein gut funktionierendes und attraktives Gerät hat, weil Metall und Kunststoff diese Stadt seit Jahrzehnten prägen und Ingnenieure inspiriert ha­ben. Und weil gängige Hilfsmittel wertvoll sind, aber in Zukunft noch viel besser und gestalterisch ansprechender werden sollten.
Erschütterungen | Roland Gnaiger
Von der Großzügigkeit, den räumlichen Qualitäten und wunderbaren Details der Tabakfabrik wird jeder Besucher, vor allem jeder Architekt, unmittelbar eingenommen. Die städtebauliche Präsenz und die souveräne Gestik des Bauwerks wirken überwältigend. Auch ich war der Faszi­nation dieses Bauwerks erlegen, als ich es 1996 zum ersten Mal besichtigte. Als neuer Leiter der Meisterklasse Architektur (wie die Studienrichtung damals noch hieß) der Kunstuniversi­tät Linz hatte ich Überlegungen anzustellen, wie sich die Architekturabteilung dort einrichten könnte.
Ab Mitte der neunziger Jahre wurde, initiiert vom damaligen Rektor Wolfgang Stifter, die sukzessive Adaptierung und Neunutzung des Gebäudes der einstigen Pfeifentabakproduktion durch Studienrichtungen unserer Universität betrieben. Die ersten kamen aus dem Institut für Bildende Kunst (Malerei, Bildhauerei, Experimen­telle Gestaltung, Kunsttheorie) und als Vorhut der „Architekturklasse“ der Lehrstuhl für Städte­bau. Die Architektur sollte 1997/98 nachfolgen. Das war ein echter Aufbruch und ein starkes Zeichen, war doch auch die Architektur bis dahin im Brückenkopfgebäude zwischen dem Linzer Hauptplatz und der Donau untergebracht – eine Manifestation nationalsozialistischen Städtebaus und ideologiebesetzter Architektur, dazu die einzige Realisierung von Hitlers Vision für seine Heimatstadt (Foto Seite 26). Ein Bauwerk, das bei seiner, von Roderich Fick entworfenen, Grundrissorganisation große Schwächen aufweist und auch erst nach dem Krieg, ungekonnt und mit billigsten Mitteln, fertiggestellt wurde.
Die Euphorie, welche der Ausblick auf eine Übersiedlung in das Gebäude von Behrens und Popp auslöste, versperrte jedoch eine realistische Sicht auf die Dinge und wich mit Dauer der Nutzung zunehmend der Ernüchterung.
Der Einzug erfolgte vor einer sorgfältigen Bestandsanalyse, wurde von bescheidensten Adaptierungsmaßnahmen begleitet und von keinem nennenswerten Budget unterstützt. Die Nutzungsqualitäten des Gebäudes hielten bei weitem nicht dem Stolz und dem Imagegewinn stand. Die visuelle Atmosphäre des Bauwerks entsprach somit nicht einer zeit- und funktionsgemäßen Nutzung. Die im Winter kalt abstrah­lenden Bauteile sorgten im Sommer für gewaltige Überhitzung. Zu der unbeherrschbaren Thermik kamen eine belastende Raumakustik und der kaum gefilterte Straßenlärm der vorbeiführenden, stark frequentierten Stadtausfahrt noch dazu. Die Erschütterungen eines jeden Lastwagens setzten sich als Schwingungsfrequenz bis in die hintersten Bereiche der Hallen fort. Was für die Werkstätten noch tolerierbar war, war für die Büros und Semiarräume auf Dauer unerträglich.
Als sich im ungeliebten Brückenkopfgebäude (aber immerhin im Herzen der Stadt) die Möglichkeit eröffnete, mit vernünftigem Budget das Dachgeschoss auszuräumen, dessen Strukturen freizulegen und Ateliers mit Lichtdecken zu realisieren, haben wir uns kurz vor 2000 da­für entschieden.
2006 wurde vom neuen Eigentümer der Tabakfabrik der Mietvertrag der Kunstuniversität gekündigt. Der Abschiedsschmerz hielt sich, aufgrund der gemachten Nutzererfahrungen und eines Ersatzes im Stadtzentrum, in Grenzen.
Mit dem schnellen und wenige Jahre später abermals erfolgten Besitzerwechsel sind
die Voraussetzungen für eine tiefgreifende Veränderung einmal mehr gegeben. Heute, da die
Tabakfabrik im Besitz der Stadt Linz ist, muss über ihre zukünftige Nutzung, auch durch die Kunstuniversität, neu nachgedacht werden. Die Prämissen dafür wären jedoch zeitgemäße und vergleichbare Standards und eine moderate Hal­tung des Denkmalschutzes, die beispielsweise auch Deckendurchbrüche nicht ausschließt.
Es ist evident, dass der kulturelle und baukünstlerische Wert der Tabakfabrik allen Alternativen überlegen ist. Aber das Konzept von Behrens und Popp war konsequent und darum so innovativ, weil es – im Sinne der funktionalistischen Doktrin – optimiert und spezialisiert war. Die Architekten haben Produktions- und Lagerhallen gebaut und keinen Bildungs- oder Bürobau! Insofern ist die Tabakfabrik nicht vergleichbar mit Bauten der Lehre während der Moderne. Sollte jedoch die aktuelle österreichi­sche Bundesregierung über ihren bildungspolitischen Schatten springen, indem sie ausreichende Mittel für einen Umbau zur Verfügung stellt, wäre die Situation neu zu bewerten. Dann könnten wir die kulturelle Frage stellen: die Umwandlung des Meisterbaus von Behrens und Popp, ähnlich der Transformation der Stadt Linz von einer Industrie- in eine Kulturstadt, oder die gleichermaßen radikale und damit sym­bolträchtige Transformation des historisch (in vieler Hinsicht) belasteten Brückenkopfgebäudes im Brennpunkt der Stadt. Meine Wahl ist eindeutig: beides!
Die Größe eines Monopolisten | Andreas Heidl
Anhand der gegenwärtigen Diskussion über die Revitalisierung der Linzer Tabakfabrik wird eine Kernproblematik historisch wertvoller Industriebrachen erörtert. Wenngleich die Gebäude bis in die jüngste Vergangenheit sich ständig ändernden Nutzeranforderungen angepasst wurden, ist es beeindruckend, wie wenig diese Umbauten der Gebäudestruktur anhaben konnten. Gerade darin liegt wohl auch das größte Potenzial der Tabakfabrik. Ein Übermaß an zur Verfügung stehendem Raum, dem vom Betrei­-ber immer eine angemessene Wertschätzung der architektonischen Großzügigkeit entgegengebracht wurde, wie sie wohl nur von einem Mono­polisten zu erwarten ist, prägt die Fabrik.
Dennoch, die Leistungsgrenze als Industrie­standort ist überschritten. Es gilt ein Nachnutzungskonzept zu finden, welches größtmögliche Parallelitäten mit dem historischen Anforde­rungsprofil von 1929 aufweist.
Diese dürften, was die Gebäude von Behrens und Popp betrifft, wohl im Bereich der Gründerzentren, speziell im IT-Bereich, zu finden sein. Ungeeignet erscheint hingegen eine Nachnutzung als ein weiterer Campus der Johannes Kepler Universität Linz. Die Hallen würden dadurch zu viel von ihrer Großzügigkeit verlieren.
Wir haben es hier mit einer Gebäudestruktur zu tun, deren baukünstlerische Qualitäten vom Städtebau bis in die Detailausbildung gegeben sind. Die Einheit von Zweck, Form und Materialität wurde gesucht und als „harmonische Einheit von Architektur und Landschaft in den Rhythmus der Stromlandschaft eingebettet“.
Größtenteils als Stahlbau errichtet, reagiert eine „verputzte Vorhangfassade“ auf die Formensprache der bürgerlichen Profanarchitek­tur und entwickelt sie als Bandfassade weiter. Viele „ästhetische Interventionen“, wie der gekurvte Gebäudekörper der Zigarettenproduktion an der Ludlgasse, leiten sich von pragmati­schen Anforderungen – hier waren es die Grundstücksgrenzen – ab.
Eine Fortführung dieser pragmatischen Vorgehensweise, die auch den Abbruch und Neubau von Gebäudeteilen vorsah, ist für die künftige Weiterentwicklung des Standorts erforderlich. Um die vorhandenen Qualitäten fortzuführen, ist eine langfristige Betreuung durch ein qualifiziertes Architekturbüro sicher der beste Weg. Die gegenwärtige breite öffentliche Diskussion ist zwar zu begrüßen, sie darf jedoch nicht dazu führen, dass die Politik sich aus der Rolle des Bauherrn zurückzieht. Es liegt in der Verantwortung einer selbstbewussten Bauherrschaft, dass keine „Industrieromantiker“ oder allzu emsige Developer die Federführung übernehmen.
Wertschätzung, Pragmatik, Sorgfalt und die erforderliche Gelassenheit im Umgang mit historischer Industriearchitektur zeichnete die bisherigen Betreiber aus. Die Stadt als neuer Eigentümer hat diese Eigenschaften erst unter Beweis zu stellen.
Gegenmodell | Michael Hofstätter, Wolfgang Pauzenberger
Die Nachnutzung der stillgelegten Industrie­anlagen der Tabakfabrik könnte eine übergeord­nete stadtfunktionale und städtebauliche Her­ausfor­derung mit für Linz außergewöhnlichen Dimensionen werden. Sowohl die Gebäude von Behrens und Popp als auch das Areal in strategisch wichtiger Stadtlage verdienen höchste Planungspriorität.
Neben der Suche nach adäquaten Nutzun­gen und einer intensivierten Diskussion über deren Kompatibilität mit dem Gebäude der Ziga­rettenproduktion müsste im Kriterienkatalog der Projektanforderungen vor allem das Bekennt­nis zu einer entsprechenden Projektdramaturgie formuliert werden. Planungsabläufe sind aus der spezifischen Situation zu entwickeln, und zwar so, dass sie einerseits der Bedeutung eines der konsequentesten Industriebauten der Moderne gerecht werden und andererseits die Trans­formation des Komplexes eine neue Wirkung auf die Gesamtstadt generiert und damit einen Spannungsbogen in die Zukunft bietet. In Linz steht also mit der Tabakfabrik nicht nur ein stadtstrategisch wichtiges Einzelprojekt zur Dis­kussion. An diesem Fallbeispiel könnten die Weichen für eine völlig neue, komplexere Me­thodik der Stadtplanung gestellt werden – entsprechend den sich ständig verändernden Rahmenbedingungen einer nachmodernen Kommunikationsgesellschaft mit sich verknappenden Ressourcen. Architektur und Städtebau sind nicht mehr getrennt zu betrachten. Sie korrelieren miteinander und bilden bestenfalls einen Identität stiftenden Gesamtorganismus. Mit den üblichen Verfahren, den normierten Architektur- oder Städtebauwettbewerben, wird man im gegebenen Fall zwar formal und strukturell Lösungen finden und legitimieren, doch zu keiner neuen Stadtidee gelangen. Nur eine solche Idee kann aber zu essenziellen Änderungen in der Formensprache der Architektur führen. 
Es bedarf unserer Meinung nach also dringend eines Gegenmodells, einer Gegenstrategie, wie Stadtgrundriss und Stadtlandschaft, wie Stadtkultur und Infrastruktur parallel entwickelt werden, wie Urbanität und Mobilität, Ruhe und Aktivität, Flächen und Funktionen, Effizienz und Partizipation versöhnt werden können.
Hypothetische Stadtszenarien und daraus abgeleitete Stadtmodelle, entwickelt mit einer vernetzten Sicht von Architektur und Städtebau – von Raum, Maßstäblichkeit und Konstruktion, aber auch von Reduktion, Imagination und Abstraktion –, sehen wir als Möglichkeitsformen einer solchen Gegenstrategie, gleichzeitig aber auch als Instrumente des Realen, die es gestatten, ein Konzept umzusetzen.
Keine Kunstuniversität | Adolf Krischanitz
Wie nutzt man 80.000 Quadratmeter Industrie­brache? In Linz fand sich plötzlich die Tabakfabrik, und gleich gab es die üblichen Forderun­gen nach einer Kulturnutzung. Diese lässt sich schnell mit attraktiven Bildern veranschaulichen und steht für ein positives Image.
Ein weiteres Klischee ist die Vorbildwirkung des Wiener Museumsquartiers, das als funktionstüchtiges Beispiel herangezogen wird. Das Museumsquartier beinhaltet jedoch drei bis fünf große Ausstellungskomplexe (MUMOK, Leopoldmuseum, Kunsthalle, Kunsthistorisches Museum, Naturhistorisches Museum), die neben vielen kleineren Kultur-, Gastronomie- und Ein-kaufseinrichtungen und einer etwas abgespaltenen aufwendigen Freiflächenbespielung andere Grundvoraussetzungen bieten als das Gelände der Tabakfabrik. Aus diesem Grund ist nur sehr bedingt eine Vergleichbarkeit mit Linz vorhanden.
In Linz hätte die Integration großer Ausstellungshäuser zu einem Zeitpunkt diskutiert werden müssen, als die Industrieanlage in Be- trieb war, also zur Umnutzung noch nicht zur Verfügung stand.
Auch die Kunstuniversität mit ihren gut 20.000 Quadratmetern ist nur bei einer sehr einseitigen Betrachtungsweise ein möglicher Partner für die Betreibergesellschaft der Stadt Linz. Von der Nutzergemeinschaft her betrach­tet ist die Einbeziehung einer universitären Einrichtung natürlich verständlich. Es würde sich dabei um eine Bundesfinanzierung mit einer lang­fristigen Bindung handeln. Der einzige Ha­ken bei der Sache ist freilich der Kostenfaktor.
Die Unterbringung der Kunstuniversität in den Brückenkopfgebäuden stellt sich nach dem Vorliegen der ersten genau erarbeiteten Planunterlagen nach dem Wettbewerb 2009 aus unterschiedlichen Gründen als ideal heraus:
– durch die zentrale Lage in der Stadt;
– durch ein günstiges konstruktives und raumorganisatorisches Grundgefüge der beiden Brückenkopfgebäude;
– durch die bestehende Substanz des Westgebäudes, das, vor einigen Jahren umgebaut, als wesentlicher Teil in das neue Konzept einbe­zogen wird. Dies wäre immens kostenmindernd. Die Baukosten der Kunstuniversität am Hauptplatz wären somit halb so hoch wie bei einer Integration der Kunstuniversität in die Tabakfabrik.
Der bestehende bauphysikalische Zustand der relevanten Gebäudeelemente wie Fassaden, Fenster, Decken usw. entspricht in fast allen Belangen den heutigen Anforderungen.
Die Positionierung der Kunstuniversität als Abschluss des Hauptplatzes darf als wechselseitiger Symboltransfer zwischen Stadt und Uni­versität nicht unterschätzt werden. Gerade die Wandlung der belasteten Nazigebäude zu Gebäu­den einer Kunstuniversität heißt progressive Aufarbeitung statt Verdrängung.
Anschließend möchte ich einige Überlegungen herausarbeiten, die das Projekt Tabakfabrik zielführend begleiten sollten:
1. Erarbeitung eines zeitlich grob determinier­ten Masterplans mit abschnittsweise verwirklichbaren Zielen und Vorgaben. Statt der Abwicklung durch die Standardmechanismen der städtischen Verwaltung sollte ein spezifisches Planungs- und Organisationsmodell erarbeitet werden. Dazu gehört auch ein präzises Flächenmanagement für in der Tabakfabrik stattfindende temporäre und längerfristige Projekte.
2. Feststellung der nicht denkmalgeschützten Bereiche und die Erfassung der städtebauli­chen Randbedingungen für diese Baufelder, um diese eventuell kurzfristig einer Verwertung zuzuführen, die sich inhaltlich und architektonisch in das Gesamtgefüge integrieren lässt. Eine weitere Voraussetzung neben der Ideenfindung für die spätere Nutzung sind Qualitätsfindungsmechanismen (geladene Wettbewerbe, Bewerbungsverfahren usw.).
3. Parallel zu den Ideenfindungsprozessen sollten große Teile des Areals für temporäre Spezialprojekte genutzt werden können, die auf einen Gesamtumbau vorläufig nicht angewiesen sind.
4. Festlegung und Schaffung von Teilflächen im denkmalgeschützten Bereich und Ergänzung der Infrastruktur für eine gewerbliche Nutzung.
5. Schaffung von Raum für eine Nutzung von unterschiedlichen Sonderprojekten mit künstlerisch-technologischem Hintergrund über ei­nen längeren Zeitraum. Diese Projekte sind aufgrund ihrer Größe und ihres interdisziplinären Ansatzes in den herkömmlichen Institutionen in der Regel nicht durchführbar und somit auf diese Sonderflächen angewiesen.
6. Erarbeiten einer städtebaulichen Umgebungsstudie, die die notwendigen Anbindungen an die Stadt und an die Donau ebenso leistet wie die Etablierung und Einbeziehung eines übergeordneten Freiraumkonzepts.
7. Im Bereich der Neubautätigkeiten auf dem Areal sollte auch ein bestimmtes Quantum an Wohnungen, Freizeiteinrichtungen, Gastronomie eingeplant werden.
Was ist die Umbauwerkstatt? | Lorenz Potocnik 
Seitdem die Tabakfabrik leer ist, versucht eine Gruppe aus Architekten und Sozialwissenschaftern rund um das Architekturforum Oberösterreich (afo), sich am Transformationsprozess des einzigartigen Bauwerks zu beteiligen. Die gegrün­dete Initiative „Umbauwerkstatt“ ist ein Forschungslabor zur Nachnutzung der Tabakfabrik und versteht sich als Think-Tank, der nötige Entscheidungsgrundlagen, Impulse und Ideen von außen zutragen will. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Prozessgestaltung und -qualität. Die Umbauwerkstatt will Partner der Stadt sein und diese mit prozessbegleitenden Modulen unterstützen. Dank zahlreicher Verknüpfungen und Formate konnte sich die Initiative bislang in der Stadt gut positionieren. Für Tausende interessierte Bürger wurden Führungen, Diskussionsrunden und ein Symposium angeboten, das öffentliche Archiv der Zukunft eröffnet, und auch mit unzähligen Pressebeiträgen und nicht zuletzt mit dem im Sommer 2010 geglückten „Interview“ mit Peter Behrens (Seite 15) wurden nicht nur wichtige Fragen der Entwicklung aufgeworfen, sondern auch mögliche Zukunfts­szenarien für die Linzer Fabrik gezeichnet: Die Vision für Linz und die Tabakfabrik ist die eines Taktmachers für den sich Richtung Hafen ent­wickeln­den Osten der Stadt und darüber hinaus die ei­nes einzigartigen Projekts, das über die Grenzen Österreichs hinaus Aufmerksamkeit erzeugt. Nur mit höchster Qualität im Prozess und demzufolge im Ergebnis können Menschen gehalten und angezogen werden, welche Linz in den nächsten 20 Jahren dringend braucht.
Die Umbauwerkstatt wird aus Anlass ihres einjährigen Bestehens am 14. Februar 2011 um 19.30 Uhr im Kepler Salon eine erste Bilanz ziehen. Wichtige Fragen werden sein: Welche Rolle können engagierte Bürgern spielen? Inwieweit und unter welchen Rahmenbedingungen ist ein Querdenken in der Stadt erwünscht?
Der erfolgreiche Weg der Umbauwerkstatt im letzten Jahr soll fortgesetzt und der Fokus auf die Prozessqualität weiter vertieft werden. Zu diesem Zweck hat sich das Team zum Ziel ge­setzt, eine weitere Reihe von Salons zu organisieren, um bei möglichen Interessengruppen eine Pioniernutzung abzufragen. Außerdem will die Umbauwerkstatt das bestehende öffentliche Archiv in Bezug auf vergleichbare internationale Referenzen erweitern und eine kleine Auswahl von fünf Objekten im Detail analysieren. Schließlich sieht sich die Umbauwerkstatt prädestiniert dafür, eine unbürokratische, niederschwellige und experimentelle Erstnutzung zu testen – in enger Zusammenarbeit mit der Stadt. Um möglichst rasch damit zu beginnen, könnte eine rund 5000 Quadratmeter große Flä­che aus den insgesamt 80.000 Quadratmetern der Fabrik herausgelöst werden. Die Umbauwerk­statt kann hier das gesammelte Wissen und die entstandene Community nutzen, um eine breit gefächerte, zeitlich begrenzte (2012–2015) Erstnutzung zu moderieren und zu managen. Leitgedanke dafür wäre die von Behrens propagierte Idee eines Gesamtkunstwerks.
Lernen vom Versäumten | Franz Riepl 
Behrens und Popp situierten 1929 den Neubau der Tabakfabrik an der Donaulände als verputzte Stahlskelettkonstruktion, abgestimmt auf die benachbarte Wollzeugfabrik und die Frauenklinik. Wie bei anderen Industriebauten hat die Stadt Linz den baukulturellen Wert lange nicht geachtet. Als Folge wurden die Woll­zeugfabrik und später die Frauenklinik abgerissen. Das Umfeld der Bauten der Tabakregie wurde durch die neue Bebauung wesentlich verschlechtert. Mit der Schließung der Tabakfabrik war eigentlich schon seit 20 Jahren zu rechnen gewesen. Als sie im staatlichen Besitz war, hat man jedoch über politischen Einfluss die Auflassung des Linzer Standorts verhindern können, wenngleich schon damals die Verlagerung der Betriebsstätte aus produktionstechnischen Gründen als unvermeidbar zu erkennen war. Nach dem Erwerb der Tabakfabrik durch die Stadt zeigt sich, dass Stadt, Land und Bund es versäumt haben, vor der Errichtung periphe­rer Neubauten die Tabakfabrik in die Ausbaukonzepte für die Johannes Kepler Universität und die zugeordnete Fachhochschule mit einzubeziehen. Einer neuen Nutzung des denkmalgeschützten Ensembles der Tabakfabrik sind mit der Wohnbebauung auf dem Gelände der ehe-ma­ligen Frauenklinik die unmittelbaren Erweiterungsmöglichkeiten genommen.
Wenn die von der Stadt übernommene Aufgabe gelingen soll, darf künftig das, was beim Umfeld mit der Neubebauung versäumt wurde, nicht fehlen: der Blick auf das Ganze. Nur mit baukulturellem Verständnis lässt sich ein wirklich denkmalgerechtes und tragfähiges Nutzungskonzept entwickeln und können die finanziellen Erfordernisse gesichert werden, die für den Rückbau späterer Zubauten und für eine werkgerechte Restaurierung und einen ebensolchen Ausbau erforderlich sind. Es wird sich zeigen, ob Linz als Kulturhauptstadt von 2009 dieser Verpflichtung gegenüber der Baukultur entspricht.
Fabrik der Arbeit | Andreas Treusch
Die Beschäftigung mit Kultur- und Industriebau ermöglichte es mir, zwei Bauwerke in Linz zu realisieren, die durchaus verwandte Grundgedanken mit dem Bau der Tabakfabrik von Behrens und Popp prägen: das Ars Electronica Center und das Logistikcenter Linz.
Das Gebäude der Tabakfabrik begleitete mich stets und war ein Richtpeiler. Schon das daran Vorbeifahren oder das Betrachten aus der Ferne sind ein Genuss und Erlebnis zugleich. Die Tabakfabrik zählt zu den bauhistorisch wichtigsten Industriebauten in Europa. Man kann aber auch von einem Kulturbau sprechen, denn die Architektur der urbanen Anlage ist von gro­ßer Eleganz, Funktionalität und Schönheit.
Die Erfahrungen mit der industriellen Welt des Bauens, die Behrens bei seiner für die Zeit revolutionären AEG Turbinenfabrik gewonnen hatte, beeinflussten die Konstruktion der Tabakfabrik wesentlich. Die Turbinenfabrik war noch sehr der traditionellen Handwerksbauweise des Deutschen Werkbundes und Jugendstils ver-bunden. Die funktionalistische Denkweise der Ta- bakfabrik in Linz stellte für Behrens, der auch Professor an der Akademie in Wien war, einen neuen Abschnitt seiner späten Tätigkeit dar.
Als internationales Vergleichsprojekt kann die Tabak-, Tee- und Kaffeefabrik Van Nelle in Rotterdam von Jan Brinkman und Leen van der Vlugt (1925–31) herangezogen werden. Betrachtet man die beiden Bauwerke, sieht man die offene moderne Haltung in Holland und erkennt auch die traditionellere oder vielleicht „abgeklärte“ Haltung in Linz.
Seit geraumer Zeit wird über die Nachnutzung diskutiert. Der Entschluss der Stadt, das Areal anzukaufen, kann als Glücksgriff gesehen werden. Alle Chancen einer fruchtbaren Entwick­lung im Sinne einer komplett neuen Orientierung des Quartiers sind nun möglich.
Die offenen Strukturen und Grundrisse der industriellen Zeit eignen sich ideal für eine bestimmte Nutzergruppe mit kreativen Berufen. Ateliers, Lofts und offene Büros passen sehr gut in derart rigide Strukturen der Industriearchitektur. Die Gebäude sind innen stets flexi-bel und veränderbar. Wesentlich erscheint mir dabei, dass in der ehemaligen Fabrik in Zu-kunft auch wieder – zumindest teilweise – gearbeitet wird. Ein Kreativzentrum als „Arbeitsgerüst“ für Neugründer und Querdenker.

0 Kommentare


loading
x
loading

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.