Abgehängte Decken und die brutale Schönheit Italiens
Elements und Monditalia
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Abgehängte Decken und die brutale Schönheit Italiens
Elements und Monditalia
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Die Erwartungen an Rem Koolhaas waren hoch, und er hat sie wieder einmal erfolgreich unterlaufen. Als Direktor der Architekturbiennale in Venedig verwirrt er all jene, die nach einfachen Antworten suchen. In den Arsenale legt er die italienische Halbinsel auf den Seziertisch, in den Giardini gar die Architektur selbst.
Einzelteile und Erzählungen werden präsentiert, auch Widersprüche und Klischees: Ein Bild muss sich schon jeder selbst machen. Das ist anstrengend, anregend – und enorm unterhaltsam.
Kennen Sie Friedrich Mielke, den „Godfather of Stairs“? Oder Tim Nugent? Letzterer ist ein US-amerikanischer Kriegsveteran, der sein Leben der rollstuhltauglichen Rampe gewidmet hat. Mielke, ebenfalls über 90, erforschte sechzig Jahre lang in Regensburg die Treppe in all ihren Ausformungen. Nicht die global erfolgreichen Architekten, sondern obsessive Sammler und Forscher sind in diesem Jahr die Stars der Biennale. Koolhaas hat sie ausgegraben und überlässt ihnen die Bühne im Zentralpavillon der Giardini, den er mit der „Elements“-Ausstellung in eine Enzyklopädie der Architektur verwandelt: Decke, Wand, Boden, aber auch Balkon, Aufzug und Klo – jeder Raum schlägt ein neues Kapitel auf. Die Analyse einzelner Elemente ist bekanntermaßen kein Neuland für Koolhaas, bereits in „Delirious New York“ (1978) spielte der Aufzug eine zentrale Rolle. Doch was er für die Biennale mit Heerscharen von Studierenden (der Harvard University, wo er Professor ist, aber auch aus Yale, vom MIT und anderen) zusammengetragen hat, sprengt alle Kategorien: Mal sieht es aus wie auf einer Baumesse, dann wieder wie im ethnographischen Museum oder bei einer Präsentation in der Universität – Ko-Kurator Stephan Trüby hat gar seine gesamte Doktorarbeit zur Geschichte des Korridors kleingedruckt an die Wand gepinnt. Es gibt eine Sammlung britischer Fenster, Türgriffe en masse, Styro-Modelle chinesischer Dächer, ein japanisches High-Tech-Klo und eine römische Latrine (selbst für diesen Bereich wurde noch ein Forscher gefunden, Alexander Kira mit seiner „Wissenschaft der Entleerung“ von 1976), und dazwischen fulminante räumliche Installationen wie die abgehängte Decke oder die politische Geschichte des Balkons. Das strenge Gerüst der „Elements“ hält diese überbordende Fülle zusammen und integriert sogar die Produkte von Sponsoren. Vielleicht hätte man es anderen Kuratoren um die Ohren gehauen, dieses Nebeneinander von Kultur- und Firmengeschichte, wie etwa im Raum „Fireplaces“, der die Entwicklung vom Lagerfeuer zum Smartphone erzählt und daneben eine amerikanische Firma ihr „Nest Learning Thermostat“ präsentieren lässt. Doch Koolhaas gelingt dieser eiskalte Schnitt durch alle Schichten: Architektur ist eben nicht nur Idee und Entwurf, sondern auch Tradition, Technologie, Material und Macht – ein hartes Geschäft, das zunehmend von großen Unternehmen bestimmt wird. Eine von den USA geprägte Sichtweise, vielleicht, doch wer Widersprüche aushält, wird von dieser Ausstellung ungleich mehr mit nachhause nehmen als in den Jahren zuvor.
Kennen Sie Friedrich Mielke, den „Godfather of Stairs“? Oder Tim Nugent? Letzterer ist ein US-amerikanischer Kriegsveteran, der sein Leben der rollstuhltauglichen Rampe gewidmet hat. Mielke, ebenfalls über 90, erforschte sechzig Jahre lang in Regensburg die Treppe in all ihren Ausformungen. Nicht die global erfolgreichen Architekten, sondern obsessive Sammler und Forscher sind in diesem Jahr die Stars der Biennale. Koolhaas hat sie ausgegraben und überlässt ihnen die Bühne im Zentralpavillon der Giardini, den er mit der „Elements“-Ausstellung in eine Enzyklopädie der Architektur verwandelt: Decke, Wand, Boden, aber auch Balkon, Aufzug und Klo – jeder Raum schlägt ein neues Kapitel auf. Die Analyse einzelner Elemente ist bekanntermaßen kein Neuland für Koolhaas, bereits in „Delirious New York“ (1978) spielte der Aufzug eine zentrale Rolle. Doch was er für die Biennale mit Heerscharen von Studierenden (der Harvard University, wo er Professor ist, aber auch aus Yale, vom MIT und anderen) zusammengetragen hat, sprengt alle Kategorien: Mal sieht es aus wie auf einer Baumesse, dann wieder wie im ethnographischen Museum oder bei einer Präsentation in der Universität – Ko-Kurator Stephan Trüby hat gar seine gesamte Doktorarbeit zur Geschichte des Korridors kleingedruckt an die Wand gepinnt. Es gibt eine Sammlung britischer Fenster, Türgriffe en masse, Styro-Modelle chinesischer Dächer, ein japanisches High-Tech-Klo und eine römische Latrine (selbst für diesen Bereich wurde noch ein Forscher gefunden, Alexander Kira mit seiner „Wissenschaft der Entleerung“ von 1976), und dazwischen fulminante räumliche Installationen wie die abgehängte Decke oder die politische Geschichte des Balkons. Das strenge Gerüst der „Elements“ hält diese überbordende Fülle zusammen und integriert sogar die Produkte von Sponsoren. Vielleicht hätte man es anderen Kuratoren um die Ohren gehauen, dieses Nebeneinander von Kultur- und Firmengeschichte, wie etwa im Raum „Fireplaces“, der die Entwicklung vom Lagerfeuer zum Smartphone erzählt und daneben eine amerikanische Firma ihr „Nest Learning Thermostat“ präsentieren lässt. Doch Koolhaas gelingt dieser eiskalte Schnitt durch alle Schichten: Architektur ist eben nicht nur Idee und Entwurf, sondern auch Tradition, Technologie, Material und Macht – ein hartes Geschäft, das zunehmend von großen Unternehmen bestimmt wird. Eine von den USA geprägte Sichtweise, vielleicht, doch wer Widersprüche aushält, wird von dieser Ausstellung ungleich mehr mit nachhause nehmen als in den Jahren zuvor.
Monditalia
In den Arsenale, die Koolhaas anfangs erst gar nicht bespielen wollte, behaupten mehr als 40 meist jüngere italienische Architektenteams die Deutungshoheit über ihr Territorium. „Monditalia“ spannt den Bogen von der Renaissance bis zur Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa. Dabei werden auch Klischees nicht ausgespart: die Wohnhäuser der Mafia, die Villen auf Capri, Verfall in Pompeji und den Alpen – alles ist dabei, was von Süd nach Nord die Halbinsel definiert. Der 300 Meter lange Schlauch des Arsenale ist durch Vorhänge gegliedert, auf die die „Tabula Peutingeriana“, eine Karte Italiens aus dem 5. Jahrhundert gedruckt ist – ein Element, dass als Idee mehr überzeugt als in der Ausführung. Auf der einen Seite sind Arbeiten lose aufgereiht, auf der anderen hängen Screens von der Decke, auf denen Italien in 80 Filmloops zu sehen ist. Während man sich etwa mit verlassenen Meisterwerken der Moderne auseinandersetzt, eilt Brigitte Bardot immer wieder durch die Cinecittà („Le Mépris“, Godard, 1963). Das Multitasking wird auf die Spitze getrieben durch lose in den Parcours integrierte Bühnen der Tanzbiennale, auf denen an den Preview-Tagen weißhaarige Tänzer jenseits der 60 proben. Monditalia erzählt keine Erfolgsgeschichten. Eines der wenigen Architekturmodelle ist eine zynische Vision für die Abschottung der europäischen Südgrenze. Die Ausstellung führt dem Besucher auf populäre, auch für Nicht-Architekten zugängliche Art ein Land vor Augen, das hinter Finanzkrise und Ferienlaune oft nur verschwommen wahrgenommen wird. Der Blick zurück, der diese Biennale kennzeichnet, ist ein Blick auf die Realität.
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